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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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die Gesellschaft gefährden, wie ihn selbst dem Verderben anheim geben. Der
Sklave muß zunächst nicht zu den Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens
der Weißen erzogen werden, nein er muß erst wieder zum Bewußtsein seiner
Individualität, zu dem Begriff persönlicher Freiheit, die er bis jetzt nur noch
als ein Institut betrachtet, das ihm von außen gegeben und entzogen werden
kann, gelangen, ehe an geistige oder religiöse Bildung gedacht werden darf. Nur
durch die freie Arbeit und zwar durch die Arbeit für sich und seinen Unterhalt gelangt
er wieder zu diesen heiligsten Begriffen der Menschheit, nicht durch die sentimentalen
Salbadereien eines an sich krankhaften Pietismus, der, indem er ein christliches Werk
zu verrichten glaubt, nur den natürlichen Hang des Sklaven zur Faulheit begünstigt.
Wir werden im Laufe unsrer Erzählung genug lächerliche Illustrationen zu
dieser Behauptung finden. Das Bedürfniß nach Emancipation, nach freiheit¬
licher Entwicklung ist, wenn auch noch so sehr überwuchert und verdunkelt, noch
überall vorhanden und offenbart sich oft da, wo man es am wenigsten vermuthet;
es ist durch die Anstrengungen der Abolitionisten unter Gefahr und Entbehrung
seit den letzten zwanzig Jahren und namentlich in letzterer Zeit geschürt worden.
John Browns unüberlegter, tollkühner Streich bei Harpers - Ferry war schon
für die Sklavenhalter eine furchtbare Mahnung; sie fallen ihrer eignen Kurz¬
sichtigkeit zum Opfer, weil sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt oder ihre Be¬
deutung unterschätzt haben. Sie konnten den göttlichen Funken nicht ganz er"
tödten, welchen die Natur in jede Menschenbrust gelegt hat, welcher unser ein¬
ziger sichrer Beweis für die Fortdauer der Seele ist. Es ist die unabweisbare
Pflicht jedes Menschen, diesen Funken wieder anzufachen, und sein Vorhanden¬
sein gibt uns die beste Garantie für die Gieichberechtung wenn nicht Glcich-
begabung jener unglücklichen Wesen mit uns, mag ihre Hautfarbe schwarz oder
braun, mag Afrika, Virginien oder Louisiana ihr Vaterland sein.

Wir wollen nach dieser Abschweifung, welche der Leser uns als Substrat für
künftige Beobachtungen verzeihen wird, wieder an Bord der Matanzas zurückkehren.
Wir hatten kaum Anker geworfen, als auch schon das Boot des Provost-
Marschall vom Ufer abstieß, um Alles an Bord zu untersuchen und die Loya¬
lität der nicht im Militärdienste stehende Passagiere durch Abnahme des gewöhn¬
lichen Eides zu bestärken. Die Ruder wurden von acht "Contrebands"
gehandhabt, die an der Uniform, welche man ihnen zum Zeichen ihres beson¬
deren Dienstes gegeben hatte, außerordentliches Gefallen zu finden schienen und
Alles mit dem nur dem Vollblutnigger eigenen Grinsen betrachteten, welches
im Verein mit den Bewegungen der großen weißen Augäpfel und der perl¬
weißen Zähne auf den Ungewohnten einen urkomischen Eindruck macht. Die
Bursche grinsten, als sie die Ruder einlegten, grinsten dann zu uns herauf, in-
d'em sie mit jener unnachahmlichen linkischer Behendigkeit die Mützen schwenk¬
ten, grinsten, als sie von. dem im Stern sitzenden Korporal für ihre Dreistigkeit


die Gesellschaft gefährden, wie ihn selbst dem Verderben anheim geben. Der
Sklave muß zunächst nicht zu den Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens
der Weißen erzogen werden, nein er muß erst wieder zum Bewußtsein seiner
Individualität, zu dem Begriff persönlicher Freiheit, die er bis jetzt nur noch
als ein Institut betrachtet, das ihm von außen gegeben und entzogen werden
kann, gelangen, ehe an geistige oder religiöse Bildung gedacht werden darf. Nur
durch die freie Arbeit und zwar durch die Arbeit für sich und seinen Unterhalt gelangt
er wieder zu diesen heiligsten Begriffen der Menschheit, nicht durch die sentimentalen
Salbadereien eines an sich krankhaften Pietismus, der, indem er ein christliches Werk
zu verrichten glaubt, nur den natürlichen Hang des Sklaven zur Faulheit begünstigt.
Wir werden im Laufe unsrer Erzählung genug lächerliche Illustrationen zu
dieser Behauptung finden. Das Bedürfniß nach Emancipation, nach freiheit¬
licher Entwicklung ist, wenn auch noch so sehr überwuchert und verdunkelt, noch
überall vorhanden und offenbart sich oft da, wo man es am wenigsten vermuthet;
es ist durch die Anstrengungen der Abolitionisten unter Gefahr und Entbehrung
seit den letzten zwanzig Jahren und namentlich in letzterer Zeit geschürt worden.
John Browns unüberlegter, tollkühner Streich bei Harpers - Ferry war schon
für die Sklavenhalter eine furchtbare Mahnung; sie fallen ihrer eignen Kurz¬
sichtigkeit zum Opfer, weil sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt oder ihre Be¬
deutung unterschätzt haben. Sie konnten den göttlichen Funken nicht ganz er«
tödten, welchen die Natur in jede Menschenbrust gelegt hat, welcher unser ein¬
ziger sichrer Beweis für die Fortdauer der Seele ist. Es ist die unabweisbare
Pflicht jedes Menschen, diesen Funken wieder anzufachen, und sein Vorhanden¬
sein gibt uns die beste Garantie für die Gieichberechtung wenn nicht Glcich-
begabung jener unglücklichen Wesen mit uns, mag ihre Hautfarbe schwarz oder
braun, mag Afrika, Virginien oder Louisiana ihr Vaterland sein.

Wir wollen nach dieser Abschweifung, welche der Leser uns als Substrat für
künftige Beobachtungen verzeihen wird, wieder an Bord der Matanzas zurückkehren.
Wir hatten kaum Anker geworfen, als auch schon das Boot des Provost-
Marschall vom Ufer abstieß, um Alles an Bord zu untersuchen und die Loya¬
lität der nicht im Militärdienste stehende Passagiere durch Abnahme des gewöhn¬
lichen Eides zu bestärken. Die Ruder wurden von acht „Contrebands"
gehandhabt, die an der Uniform, welche man ihnen zum Zeichen ihres beson¬
deren Dienstes gegeben hatte, außerordentliches Gefallen zu finden schienen und
Alles mit dem nur dem Vollblutnigger eigenen Grinsen betrachteten, welches
im Verein mit den Bewegungen der großen weißen Augäpfel und der perl¬
weißen Zähne auf den Ungewohnten einen urkomischen Eindruck macht. Die
Bursche grinsten, als sie die Ruder einlegten, grinsten dann zu uns herauf, in-
d'em sie mit jener unnachahmlichen linkischer Behendigkeit die Mützen schwenk¬
ten, grinsten, als sie von. dem im Stern sitzenden Korporal für ihre Dreistigkeit


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[0157] die Gesellschaft gefährden, wie ihn selbst dem Verderben anheim geben. Der Sklave muß zunächst nicht zu den Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens der Weißen erzogen werden, nein er muß erst wieder zum Bewußtsein seiner Individualität, zu dem Begriff persönlicher Freiheit, die er bis jetzt nur noch als ein Institut betrachtet, das ihm von außen gegeben und entzogen werden kann, gelangen, ehe an geistige oder religiöse Bildung gedacht werden darf. Nur durch die freie Arbeit und zwar durch die Arbeit für sich und seinen Unterhalt gelangt er wieder zu diesen heiligsten Begriffen der Menschheit, nicht durch die sentimentalen Salbadereien eines an sich krankhaften Pietismus, der, indem er ein christliches Werk zu verrichten glaubt, nur den natürlichen Hang des Sklaven zur Faulheit begünstigt. Wir werden im Laufe unsrer Erzählung genug lächerliche Illustrationen zu dieser Behauptung finden. Das Bedürfniß nach Emancipation, nach freiheit¬ licher Entwicklung ist, wenn auch noch so sehr überwuchert und verdunkelt, noch überall vorhanden und offenbart sich oft da, wo man es am wenigsten vermuthet; es ist durch die Anstrengungen der Abolitionisten unter Gefahr und Entbehrung seit den letzten zwanzig Jahren und namentlich in letzterer Zeit geschürt worden. John Browns unüberlegter, tollkühner Streich bei Harpers - Ferry war schon für die Sklavenhalter eine furchtbare Mahnung; sie fallen ihrer eignen Kurz¬ sichtigkeit zum Opfer, weil sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt oder ihre Be¬ deutung unterschätzt haben. Sie konnten den göttlichen Funken nicht ganz er« tödten, welchen die Natur in jede Menschenbrust gelegt hat, welcher unser ein¬ ziger sichrer Beweis für die Fortdauer der Seele ist. Es ist die unabweisbare Pflicht jedes Menschen, diesen Funken wieder anzufachen, und sein Vorhanden¬ sein gibt uns die beste Garantie für die Gieichberechtung wenn nicht Glcich- begabung jener unglücklichen Wesen mit uns, mag ihre Hautfarbe schwarz oder braun, mag Afrika, Virginien oder Louisiana ihr Vaterland sein. Wir wollen nach dieser Abschweifung, welche der Leser uns als Substrat für künftige Beobachtungen verzeihen wird, wieder an Bord der Matanzas zurückkehren. Wir hatten kaum Anker geworfen, als auch schon das Boot des Provost- Marschall vom Ufer abstieß, um Alles an Bord zu untersuchen und die Loya¬ lität der nicht im Militärdienste stehende Passagiere durch Abnahme des gewöhn¬ lichen Eides zu bestärken. Die Ruder wurden von acht „Contrebands" gehandhabt, die an der Uniform, welche man ihnen zum Zeichen ihres beson¬ deren Dienstes gegeben hatte, außerordentliches Gefallen zu finden schienen und Alles mit dem nur dem Vollblutnigger eigenen Grinsen betrachteten, welches im Verein mit den Bewegungen der großen weißen Augäpfel und der perl¬ weißen Zähne auf den Ungewohnten einen urkomischen Eindruck macht. Die Bursche grinsten, als sie die Ruder einlegten, grinsten dann zu uns herauf, in- d'em sie mit jener unnachahmlichen linkischer Behendigkeit die Mützen schwenk¬ ten, grinsten, als sie von. dem im Stern sitzenden Korporal für ihre Dreistigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/157>, abgerufen am 29.05.2024.