Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Hauptsache zu thun. Es war ein Glück, daß wenigstens der eine Metz anders
aufgelegt war. Die regelmäßigen Nationalvereins-Versammlungen in Frank¬
furt, bei denen er die Hauptrolle spielte, lösten allmcilig den Bann, der auf dem
Nachbarlande lag. Als hundertundneun Bürger von Offenbach sich dann ent¬
schlossen, des Regierungsverbots ungeachtet dem Nationalverein aus einmal bei¬
zutreten, war die Kette, mit welcher Hr. v. Dalrvigk die durch ihn verwaltete
Domäne von dem übrigen Deutschland getrennt hatte, durchbrochen. Seine
Strafgewalt scheiterte an der Unmöglichkeit, ganze Bürgerschaften gleichzeitig we¬
gen eines gesetzlich erlaubten und sittlich untadelhafter Actes in Untersuchung
zu ziehen. Aber wenn der Nativnalverein ein paar Tausend Mitglieder mehr
gewann, so war damit Hessen-Darmstadt noch nicht für den deutschen Liberalis¬
mus erobert. Weder Metz noch einer seiner Anhänger hatte einen Sitz im
Landtage. Jetzt rächte sich an ihnen die schlechte Praxis der Wahlenthaltung.
Mochte in Frankfurt und anderswo noch so heftig gegen dle "Dalwigksche
Wirthschaft" und den "Kettclerschen Glaubensdruck" gedonnert werden, in
Darmstadt und Mainz ließ man sich das wenig anfechten, denn es entzog den
herrschenden Mächten weder die juristischen noch die finanziellen Mittel zur Aus¬
führung ihrer Pläne. Die Minister und der Bischof konnten es sich gefallen
lassen, von ihren unermüdlichen Gegnern in allen Theilen Deutschlands dem er¬
wachenden Volksgeiste denuncirt zu werden, so lange auf dem Landtage in Darm¬
stadt kein Echo laut ward, sondern ein paar gemäßigte Liberale höchstens in
einzelnen Angelegenheiten eine Opposition machten, die nicht sonderlich wehe
that.

Diesen behaglichen Zustand haben die eben vollzogenen Wahlen nun von
Grund aus erschüttert. Statt aus einer unbedingt ergebenen Mehrheit und
einem halben Dutzend unabhängig handelnder Beamten, wird die zweite Kam¬
mer fortan gerade umgekehrt aus wenig über einem halben Dutzend Regierungs¬
freunden und einer entschieden oppositionellen Mehrheit zusammengesetzt
sein. Die Regierung hat obendrein gerade ihre sähigeren Vertreter im
Wahlkampf eingebüßt, und die Anhänger des Bischofs von Mainz sind über¬
haupt nur auf dem Schlachtfelde erschienen, um allenthalben schimpflich nach
Hause gejagt zu werden. Die Mehrheit wird zwar zu annähernd gleichen
Theilen aus Altconstitutionellen und Altdemokraten bestehen; aber schon der
Verlauf der Wahlen hat jede Gefahr beseitigt, als könnten diese beiden Par¬
teien den herrschenden Mächten gegenüber jemals uneins sein. So steht dem
Frcundcspaar Dalwigk-Ketteler denn Niederlage auf Niederlage in Aussicht. Die'
dessen-darmstädtische Volksvertretung wird sich der preußischen Volksvertretung
würdig anschließen, ebenso ehrlich liberal als praktisch-national gesinnt. Die
deutsche Reformpartei hat durch sie sich ein neues Gebiet erobert; denn früher
oder später muß der Umwandlung des Landtags ein entsprechender Regierungs-


Hauptsache zu thun. Es war ein Glück, daß wenigstens der eine Metz anders
aufgelegt war. Die regelmäßigen Nationalvereins-Versammlungen in Frank¬
furt, bei denen er die Hauptrolle spielte, lösten allmcilig den Bann, der auf dem
Nachbarlande lag. Als hundertundneun Bürger von Offenbach sich dann ent¬
schlossen, des Regierungsverbots ungeachtet dem Nationalverein aus einmal bei¬
zutreten, war die Kette, mit welcher Hr. v. Dalrvigk die durch ihn verwaltete
Domäne von dem übrigen Deutschland getrennt hatte, durchbrochen. Seine
Strafgewalt scheiterte an der Unmöglichkeit, ganze Bürgerschaften gleichzeitig we¬
gen eines gesetzlich erlaubten und sittlich untadelhafter Actes in Untersuchung
zu ziehen. Aber wenn der Nativnalverein ein paar Tausend Mitglieder mehr
gewann, so war damit Hessen-Darmstadt noch nicht für den deutschen Liberalis¬
mus erobert. Weder Metz noch einer seiner Anhänger hatte einen Sitz im
Landtage. Jetzt rächte sich an ihnen die schlechte Praxis der Wahlenthaltung.
Mochte in Frankfurt und anderswo noch so heftig gegen dle „Dalwigksche
Wirthschaft" und den „Kettclerschen Glaubensdruck" gedonnert werden, in
Darmstadt und Mainz ließ man sich das wenig anfechten, denn es entzog den
herrschenden Mächten weder die juristischen noch die finanziellen Mittel zur Aus¬
führung ihrer Pläne. Die Minister und der Bischof konnten es sich gefallen
lassen, von ihren unermüdlichen Gegnern in allen Theilen Deutschlands dem er¬
wachenden Volksgeiste denuncirt zu werden, so lange auf dem Landtage in Darm¬
stadt kein Echo laut ward, sondern ein paar gemäßigte Liberale höchstens in
einzelnen Angelegenheiten eine Opposition machten, die nicht sonderlich wehe
that.

Diesen behaglichen Zustand haben die eben vollzogenen Wahlen nun von
Grund aus erschüttert. Statt aus einer unbedingt ergebenen Mehrheit und
einem halben Dutzend unabhängig handelnder Beamten, wird die zweite Kam¬
mer fortan gerade umgekehrt aus wenig über einem halben Dutzend Regierungs¬
freunden und einer entschieden oppositionellen Mehrheit zusammengesetzt
sein. Die Regierung hat obendrein gerade ihre sähigeren Vertreter im
Wahlkampf eingebüßt, und die Anhänger des Bischofs von Mainz sind über¬
haupt nur auf dem Schlachtfelde erschienen, um allenthalben schimpflich nach
Hause gejagt zu werden. Die Mehrheit wird zwar zu annähernd gleichen
Theilen aus Altconstitutionellen und Altdemokraten bestehen; aber schon der
Verlauf der Wahlen hat jede Gefahr beseitigt, als könnten diese beiden Par¬
teien den herrschenden Mächten gegenüber jemals uneins sein. So steht dem
Frcundcspaar Dalwigk-Ketteler denn Niederlage auf Niederlage in Aussicht. Die'
dessen-darmstädtische Volksvertretung wird sich der preußischen Volksvertretung
würdig anschließen, ebenso ehrlich liberal als praktisch-national gesinnt. Die
deutsche Reformpartei hat durch sie sich ein neues Gebiet erobert; denn früher
oder später muß der Umwandlung des Landtags ein entsprechender Regierungs-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115028"/>
          <p xml:id="ID_550" prev="#ID_549"> Hauptsache zu thun. Es war ein Glück, daß wenigstens der eine Metz anders<lb/>
aufgelegt war. Die regelmäßigen Nationalvereins-Versammlungen in Frank¬<lb/>
furt, bei denen er die Hauptrolle spielte, lösten allmcilig den Bann, der auf dem<lb/>
Nachbarlande lag. Als hundertundneun Bürger von Offenbach sich dann ent¬<lb/>
schlossen, des Regierungsverbots ungeachtet dem Nationalverein aus einmal bei¬<lb/>
zutreten, war die Kette, mit welcher Hr. v. Dalrvigk die durch ihn verwaltete<lb/>
Domäne von dem übrigen Deutschland getrennt hatte, durchbrochen. Seine<lb/>
Strafgewalt scheiterte an der Unmöglichkeit, ganze Bürgerschaften gleichzeitig we¬<lb/>
gen eines gesetzlich erlaubten und sittlich untadelhafter Actes in Untersuchung<lb/>
zu ziehen. Aber wenn der Nativnalverein ein paar Tausend Mitglieder mehr<lb/>
gewann, so war damit Hessen-Darmstadt noch nicht für den deutschen Liberalis¬<lb/>
mus erobert. Weder Metz noch einer seiner Anhänger hatte einen Sitz im<lb/>
Landtage. Jetzt rächte sich an ihnen die schlechte Praxis der Wahlenthaltung.<lb/>
Mochte in Frankfurt und anderswo noch so heftig gegen dle &#x201E;Dalwigksche<lb/>
Wirthschaft" und den &#x201E;Kettclerschen Glaubensdruck" gedonnert werden, in<lb/>
Darmstadt und Mainz ließ man sich das wenig anfechten, denn es entzog den<lb/>
herrschenden Mächten weder die juristischen noch die finanziellen Mittel zur Aus¬<lb/>
führung ihrer Pläne. Die Minister und der Bischof konnten es sich gefallen<lb/>
lassen, von ihren unermüdlichen Gegnern in allen Theilen Deutschlands dem er¬<lb/>
wachenden Volksgeiste denuncirt zu werden, so lange auf dem Landtage in Darm¬<lb/>
stadt kein Echo laut ward, sondern ein paar gemäßigte Liberale höchstens in<lb/>
einzelnen Angelegenheiten eine Opposition machten, die nicht sonderlich wehe<lb/>
that.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_551" next="#ID_552"> Diesen behaglichen Zustand haben die eben vollzogenen Wahlen nun von<lb/>
Grund aus erschüttert. Statt aus einer unbedingt ergebenen Mehrheit und<lb/>
einem halben Dutzend unabhängig handelnder Beamten, wird die zweite Kam¬<lb/>
mer fortan gerade umgekehrt aus wenig über einem halben Dutzend Regierungs¬<lb/>
freunden und einer entschieden oppositionellen Mehrheit zusammengesetzt<lb/>
sein. Die Regierung hat obendrein gerade ihre sähigeren Vertreter im<lb/>
Wahlkampf eingebüßt, und die Anhänger des Bischofs von Mainz sind über¬<lb/>
haupt nur auf dem Schlachtfelde erschienen, um allenthalben schimpflich nach<lb/>
Hause gejagt zu werden. Die Mehrheit wird zwar zu annähernd gleichen<lb/>
Theilen aus Altconstitutionellen und Altdemokraten bestehen; aber schon der<lb/>
Verlauf der Wahlen hat jede Gefahr beseitigt, als könnten diese beiden Par¬<lb/>
teien den herrschenden Mächten gegenüber jemals uneins sein. So steht dem<lb/>
Frcundcspaar Dalwigk-Ketteler denn Niederlage auf Niederlage in Aussicht. Die'<lb/>
dessen-darmstädtische Volksvertretung wird sich der preußischen Volksvertretung<lb/>
würdig anschließen, ebenso ehrlich liberal als praktisch-national gesinnt. Die<lb/>
deutsche Reformpartei hat durch sie sich ein neues Gebiet erobert; denn früher<lb/>
oder später muß der Umwandlung des Landtags ein entsprechender Regierungs-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0176] Hauptsache zu thun. Es war ein Glück, daß wenigstens der eine Metz anders aufgelegt war. Die regelmäßigen Nationalvereins-Versammlungen in Frank¬ furt, bei denen er die Hauptrolle spielte, lösten allmcilig den Bann, der auf dem Nachbarlande lag. Als hundertundneun Bürger von Offenbach sich dann ent¬ schlossen, des Regierungsverbots ungeachtet dem Nationalverein aus einmal bei¬ zutreten, war die Kette, mit welcher Hr. v. Dalrvigk die durch ihn verwaltete Domäne von dem übrigen Deutschland getrennt hatte, durchbrochen. Seine Strafgewalt scheiterte an der Unmöglichkeit, ganze Bürgerschaften gleichzeitig we¬ gen eines gesetzlich erlaubten und sittlich untadelhafter Actes in Untersuchung zu ziehen. Aber wenn der Nativnalverein ein paar Tausend Mitglieder mehr gewann, so war damit Hessen-Darmstadt noch nicht für den deutschen Liberalis¬ mus erobert. Weder Metz noch einer seiner Anhänger hatte einen Sitz im Landtage. Jetzt rächte sich an ihnen die schlechte Praxis der Wahlenthaltung. Mochte in Frankfurt und anderswo noch so heftig gegen dle „Dalwigksche Wirthschaft" und den „Kettclerschen Glaubensdruck" gedonnert werden, in Darmstadt und Mainz ließ man sich das wenig anfechten, denn es entzog den herrschenden Mächten weder die juristischen noch die finanziellen Mittel zur Aus¬ führung ihrer Pläne. Die Minister und der Bischof konnten es sich gefallen lassen, von ihren unermüdlichen Gegnern in allen Theilen Deutschlands dem er¬ wachenden Volksgeiste denuncirt zu werden, so lange auf dem Landtage in Darm¬ stadt kein Echo laut ward, sondern ein paar gemäßigte Liberale höchstens in einzelnen Angelegenheiten eine Opposition machten, die nicht sonderlich wehe that. Diesen behaglichen Zustand haben die eben vollzogenen Wahlen nun von Grund aus erschüttert. Statt aus einer unbedingt ergebenen Mehrheit und einem halben Dutzend unabhängig handelnder Beamten, wird die zweite Kam¬ mer fortan gerade umgekehrt aus wenig über einem halben Dutzend Regierungs¬ freunden und einer entschieden oppositionellen Mehrheit zusammengesetzt sein. Die Regierung hat obendrein gerade ihre sähigeren Vertreter im Wahlkampf eingebüßt, und die Anhänger des Bischofs von Mainz sind über¬ haupt nur auf dem Schlachtfelde erschienen, um allenthalben schimpflich nach Hause gejagt zu werden. Die Mehrheit wird zwar zu annähernd gleichen Theilen aus Altconstitutionellen und Altdemokraten bestehen; aber schon der Verlauf der Wahlen hat jede Gefahr beseitigt, als könnten diese beiden Par¬ teien den herrschenden Mächten gegenüber jemals uneins sein. So steht dem Frcundcspaar Dalwigk-Ketteler denn Niederlage auf Niederlage in Aussicht. Die' dessen-darmstädtische Volksvertretung wird sich der preußischen Volksvertretung würdig anschließen, ebenso ehrlich liberal als praktisch-national gesinnt. Die deutsche Reformpartei hat durch sie sich ein neues Gebiet erobert; denn früher oder später muß der Umwandlung des Landtags ein entsprechender Regierungs-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/176
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/176>, abgerufen am 14.05.2024.