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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Wechsel folgen, und zwar ist dies ein Gebiet auf jener kritischen Linie, die Nord
und Süd entweder scheidet oder -- für immer hoffentlich -- zusammenhält.

Es mag zwar sein, daß die ultramontan-reactionäre Partei, die im Groß-
herzogthUm augenblicklich noch dominirt, noch einige heimliche Hoffnungen auf
einen bald ausbrechenden Zwiespalt zwischen dem rechten und dem linken Flügel
der Opposition gründet. Aber sie wird sich verrechnen. Metz ist nicht der
Radicale, mit dem man die zaghaften Seelen unter dem Beamtenstande gern
ins Joch zurückschreckte. Die Altliberalen andrerseits, mit denen er in der
Kammer zu thun haben wird, sind über die früher so häufige Angst vor dem
Verkehr mit Demokraten und über sentimentale Rücksichten auf die Gegenpartei
ebenfalls längst hinaus. Gerade sie haben den Gegensatz zum Ministerium
Dalwigk zum Feldgeschrei der jetzt siegreich beendigten Wahlschlacht erhoben.
Es sind bedächtige Männer unter ihnen, die sich nach Gagerns Vorbilde die
strengste Reinheit, Redlichkeit und Würde zum politischen Gesetz gemacht haben;
aber die Entschiedenheit des Ganzen hat durch sie nichts zu befürchten. Wenn
die Abgeordneten Hofmann und Mohrmann auf dem letzten Landtage nicht
ernstlichere Angriffe wagten, so lag das vornehmlich an dem Mangel wirksamer
Unterstützung sowohl in der Kammer selbst wie draußen im Lande. Nicht hin¬
ter ihnen stand die von der nationalen Agitation ergriffene Masse; ihre eigene
Partei, größtentheils im Beamtenstande wurzelnd, hatte mit dem früher ein¬
getretenen Umschwung in den obern Regionen und der unmittelbar darauf
folgenden Erstarrung in den untern die Fähigkeit zum Widerstande wie zur
Führung verloren, die sie vor dem März und in der ersten Zeit nachher noch
besaß. Daß die Ueberreste dieser Partei, der Gagern, Jaup und Eigenbrodt
angehörten, bei den gegenwärtigen Wahlen einen aufrichtigen Bund mit Metz
eingehen konnten, ist gleich rühmlich für die Einen wie für den Andern. Es
zeigt, daß man sich über Vorurtheile und beschränkte Auffassungen der frühern
Zeit hinausgehoben hat; daß der Tugendstolz, der die Gagernsche Partei einst
mit einem erkältenden aristokratischen Dunstkreise umgab, einer nüchternen und
entschlossenen Einsicht in die Bedingungen politischen Wirkens, einer Unbe¬
fangenheit, die nichts weniger ist als sittliche Gleichgiltigkeit, Platz gemacht hat.
Es zeigt aber auch, daß Metz und seine Anhänger ihren eignen im Wesentlichen
gleichgesinnten Landsleuten nicht mehr das Mißtrauen einflößen, das ihnen
anfangs entgegenkam. Der Führer der hessischen Demokratie hat es verstan¬
den, sich eine allgemein geachtete Stellung innerhalb des deutschen Liberalismus
zu erringen. Er dient der nationalen Bewegung nicht blos aus Ehrgeiz oder
Eitelkeit; er ist von ihrem ganzen Idealismus erfüllt. Er dient ihr mit einer
Hingebung, die ihres Gleichen finden mag, aber die kein Anderer übertrifft. Und
gerade diejenige Seite der Aufgabe hat er sich zu besonderer Pflege ausgesucht, die
für seinen Platz vorzugsweise geeignet erscheint, die Ausgleichung der noch bestehen--


Vrenzboten IV. 1862. 22

Wechsel folgen, und zwar ist dies ein Gebiet auf jener kritischen Linie, die Nord
und Süd entweder scheidet oder — für immer hoffentlich — zusammenhält.

Es mag zwar sein, daß die ultramontan-reactionäre Partei, die im Groß-
herzogthUm augenblicklich noch dominirt, noch einige heimliche Hoffnungen auf
einen bald ausbrechenden Zwiespalt zwischen dem rechten und dem linken Flügel
der Opposition gründet. Aber sie wird sich verrechnen. Metz ist nicht der
Radicale, mit dem man die zaghaften Seelen unter dem Beamtenstande gern
ins Joch zurückschreckte. Die Altliberalen andrerseits, mit denen er in der
Kammer zu thun haben wird, sind über die früher so häufige Angst vor dem
Verkehr mit Demokraten und über sentimentale Rücksichten auf die Gegenpartei
ebenfalls längst hinaus. Gerade sie haben den Gegensatz zum Ministerium
Dalwigk zum Feldgeschrei der jetzt siegreich beendigten Wahlschlacht erhoben.
Es sind bedächtige Männer unter ihnen, die sich nach Gagerns Vorbilde die
strengste Reinheit, Redlichkeit und Würde zum politischen Gesetz gemacht haben;
aber die Entschiedenheit des Ganzen hat durch sie nichts zu befürchten. Wenn
die Abgeordneten Hofmann und Mohrmann auf dem letzten Landtage nicht
ernstlichere Angriffe wagten, so lag das vornehmlich an dem Mangel wirksamer
Unterstützung sowohl in der Kammer selbst wie draußen im Lande. Nicht hin¬
ter ihnen stand die von der nationalen Agitation ergriffene Masse; ihre eigene
Partei, größtentheils im Beamtenstande wurzelnd, hatte mit dem früher ein¬
getretenen Umschwung in den obern Regionen und der unmittelbar darauf
folgenden Erstarrung in den untern die Fähigkeit zum Widerstande wie zur
Führung verloren, die sie vor dem März und in der ersten Zeit nachher noch
besaß. Daß die Ueberreste dieser Partei, der Gagern, Jaup und Eigenbrodt
angehörten, bei den gegenwärtigen Wahlen einen aufrichtigen Bund mit Metz
eingehen konnten, ist gleich rühmlich für die Einen wie für den Andern. Es
zeigt, daß man sich über Vorurtheile und beschränkte Auffassungen der frühern
Zeit hinausgehoben hat; daß der Tugendstolz, der die Gagernsche Partei einst
mit einem erkältenden aristokratischen Dunstkreise umgab, einer nüchternen und
entschlossenen Einsicht in die Bedingungen politischen Wirkens, einer Unbe¬
fangenheit, die nichts weniger ist als sittliche Gleichgiltigkeit, Platz gemacht hat.
Es zeigt aber auch, daß Metz und seine Anhänger ihren eignen im Wesentlichen
gleichgesinnten Landsleuten nicht mehr das Mißtrauen einflößen, das ihnen
anfangs entgegenkam. Der Führer der hessischen Demokratie hat es verstan¬
den, sich eine allgemein geachtete Stellung innerhalb des deutschen Liberalismus
zu erringen. Er dient der nationalen Bewegung nicht blos aus Ehrgeiz oder
Eitelkeit; er ist von ihrem ganzen Idealismus erfüllt. Er dient ihr mit einer
Hingebung, die ihres Gleichen finden mag, aber die kein Anderer übertrifft. Und
gerade diejenige Seite der Aufgabe hat er sich zu besonderer Pflege ausgesucht, die
für seinen Platz vorzugsweise geeignet erscheint, die Ausgleichung der noch bestehen--


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/177>, abgerufen am 28.05.2024.