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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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heit Gelegenheit geben, ihre Mäßigung und politische Klugheit an den Tag zu
legen. Die Wähler der Städte Mainz und Gießen haben gegen die Nechts-
gilligkeit der bestehenden Verfassung protestirt. Ein paar Heißsporne sollen
der Meinung sein, man müsse diesen Protesten dadurch Nachdruck geben, daß
die neue Kammer sich gleich am ersten Tage für incompetent erkläre. Es
würde also ein Verfassungskampf wie in Kurhessen eröffnet werden. Ungeachtet
nun der Weimarer Abgcordnetentag fast einstimmig beschlossen hat zu erklären,
es sei ein allgemein deutsches Interesse, daß die durch die Reaction verübten
Rechtsbrüche allenthalben gesühnt würden, scheint es doch nicht, als wolle man
in Hessen-Darmstadt das wie eine buchstäblich bindende Vorschrift nehmen.
Man wird sich vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer Verwahrung
des Volksrechts begnügen und den Kampf selbst um die alte, nicht durch
Octroyirung verunreinigte Verfassung höchstens dann erst aufnehmen, wenn sich
klar herausstellen sollte, daß auf keinem anderen Wege vorwärtszukommen ist.
Es ist dringend zu wünschen, daß die Demokraten über diese Linie nicht hinaus¬
schweifen; es ist aber auch ebenso dringend zu wünschen, daß die Konstitutio¬
nellen sich ihrer Rechtsverwahrung anschließen, gleichviel was sie über den prak¬
tischen Werth und Sinn derselben denken.

Von den praktischen Aufgaben des nächsten Landtags ist noch weniger zu
fürchten, daß aus ihnen ein Grund zu Zerklüftungen innerhalb der Opposition
hervorgehen werde. Ueber die Convention mit dem Bischof von Mainz, über
dasZConsistorialrestiment in der evangelischen Kirche, über das Wahlgesetz, das Preß-
und Vereinsrecht, die Gewerbeordnung und was sonst vorkommen mag, denkt der
gemäßigtste Reformer kaum anders als der radikalste. Die Revolutionäre aber
haben schon deswegen auch in Hessen-Darmstadt ihr Spiel verloren, weil der
Kampf jetzt in die geordneten Bahnen des Parlamentarismus einlenkt. Von
den Reactionären andrerseits, die nicht wieder gewählt worden sind, hört man,
daß sie zu , der in Frankfurt sich sammelnden "östreichischen Landwehr", die
"nicht mitkommen kann", zu stoßen vorhaben. Dies wird man ihnen gönnen
können. Unsre nationale Revolution muß ihr "Koblenz" haben, und zwar,
da es eine friedliche und gesetzliche Revolution ist, nicht außerhalb Landes, son¬
dern mitten unter ihren eigenen Heerhaufen. Wenn die deutschen "Emigran¬
ten" erst einmal beisammen sind, wird man an den recht dunkel gefärbten auch
die blassen oder blos schillernden besser kennen lernen, und die concentrirte Folie
wird unser eignes Schwarzrothgold um so nachdrücklicher hervorheben.




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heit Gelegenheit geben, ihre Mäßigung und politische Klugheit an den Tag zu
legen. Die Wähler der Städte Mainz und Gießen haben gegen die Nechts-
gilligkeit der bestehenden Verfassung protestirt. Ein paar Heißsporne sollen
der Meinung sein, man müsse diesen Protesten dadurch Nachdruck geben, daß
die neue Kammer sich gleich am ersten Tage für incompetent erkläre. Es
würde also ein Verfassungskampf wie in Kurhessen eröffnet werden. Ungeachtet
nun der Weimarer Abgcordnetentag fast einstimmig beschlossen hat zu erklären,
es sei ein allgemein deutsches Interesse, daß die durch die Reaction verübten
Rechtsbrüche allenthalben gesühnt würden, scheint es doch nicht, als wolle man
in Hessen-Darmstadt das wie eine buchstäblich bindende Vorschrift nehmen.
Man wird sich vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer Verwahrung
des Volksrechts begnügen und den Kampf selbst um die alte, nicht durch
Octroyirung verunreinigte Verfassung höchstens dann erst aufnehmen, wenn sich
klar herausstellen sollte, daß auf keinem anderen Wege vorwärtszukommen ist.
Es ist dringend zu wünschen, daß die Demokraten über diese Linie nicht hinaus¬
schweifen; es ist aber auch ebenso dringend zu wünschen, daß die Konstitutio¬
nellen sich ihrer Rechtsverwahrung anschließen, gleichviel was sie über den prak¬
tischen Werth und Sinn derselben denken.

Von den praktischen Aufgaben des nächsten Landtags ist noch weniger zu
fürchten, daß aus ihnen ein Grund zu Zerklüftungen innerhalb der Opposition
hervorgehen werde. Ueber die Convention mit dem Bischof von Mainz, über
dasZConsistorialrestiment in der evangelischen Kirche, über das Wahlgesetz, das Preß-
und Vereinsrecht, die Gewerbeordnung und was sonst vorkommen mag, denkt der
gemäßigtste Reformer kaum anders als der radikalste. Die Revolutionäre aber
haben schon deswegen auch in Hessen-Darmstadt ihr Spiel verloren, weil der
Kampf jetzt in die geordneten Bahnen des Parlamentarismus einlenkt. Von
den Reactionären andrerseits, die nicht wieder gewählt worden sind, hört man,
daß sie zu , der in Frankfurt sich sammelnden „östreichischen Landwehr", die
„nicht mitkommen kann", zu stoßen vorhaben. Dies wird man ihnen gönnen
können. Unsre nationale Revolution muß ihr „Koblenz" haben, und zwar,
da es eine friedliche und gesetzliche Revolution ist, nicht außerhalb Landes, son¬
dern mitten unter ihren eigenen Heerhaufen. Wenn die deutschen „Emigran¬
ten" erst einmal beisammen sind, wird man an den recht dunkel gefärbten auch
die blassen oder blos schillernden besser kennen lernen, und die concentrirte Folie
wird unser eignes Schwarzrothgold um so nachdrücklicher hervorheben.




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[0179] heit Gelegenheit geben, ihre Mäßigung und politische Klugheit an den Tag zu legen. Die Wähler der Städte Mainz und Gießen haben gegen die Nechts- gilligkeit der bestehenden Verfassung protestirt. Ein paar Heißsporne sollen der Meinung sein, man müsse diesen Protesten dadurch Nachdruck geben, daß die neue Kammer sich gleich am ersten Tage für incompetent erkläre. Es würde also ein Verfassungskampf wie in Kurhessen eröffnet werden. Ungeachtet nun der Weimarer Abgcordnetentag fast einstimmig beschlossen hat zu erklären, es sei ein allgemein deutsches Interesse, daß die durch die Reaction verübten Rechtsbrüche allenthalben gesühnt würden, scheint es doch nicht, als wolle man in Hessen-Darmstadt das wie eine buchstäblich bindende Vorschrift nehmen. Man wird sich vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer Verwahrung des Volksrechts begnügen und den Kampf selbst um die alte, nicht durch Octroyirung verunreinigte Verfassung höchstens dann erst aufnehmen, wenn sich klar herausstellen sollte, daß auf keinem anderen Wege vorwärtszukommen ist. Es ist dringend zu wünschen, daß die Demokraten über diese Linie nicht hinaus¬ schweifen; es ist aber auch ebenso dringend zu wünschen, daß die Konstitutio¬ nellen sich ihrer Rechtsverwahrung anschließen, gleichviel was sie über den prak¬ tischen Werth und Sinn derselben denken. Von den praktischen Aufgaben des nächsten Landtags ist noch weniger zu fürchten, daß aus ihnen ein Grund zu Zerklüftungen innerhalb der Opposition hervorgehen werde. Ueber die Convention mit dem Bischof von Mainz, über dasZConsistorialrestiment in der evangelischen Kirche, über das Wahlgesetz, das Preß- und Vereinsrecht, die Gewerbeordnung und was sonst vorkommen mag, denkt der gemäßigtste Reformer kaum anders als der radikalste. Die Revolutionäre aber haben schon deswegen auch in Hessen-Darmstadt ihr Spiel verloren, weil der Kampf jetzt in die geordneten Bahnen des Parlamentarismus einlenkt. Von den Reactionären andrerseits, die nicht wieder gewählt worden sind, hört man, daß sie zu , der in Frankfurt sich sammelnden „östreichischen Landwehr", die „nicht mitkommen kann", zu stoßen vorhaben. Dies wird man ihnen gönnen können. Unsre nationale Revolution muß ihr „Koblenz" haben, und zwar, da es eine friedliche und gesetzliche Revolution ist, nicht außerhalb Landes, son¬ dern mitten unter ihren eigenen Heerhaufen. Wenn die deutschen „Emigran¬ ten" erst einmal beisammen sind, wird man an den recht dunkel gefärbten auch die blassen oder blos schillernden besser kennen lernen, und die concentrirte Folie wird unser eignes Schwarzrothgold um so nachdrücklicher hervorheben. 22*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/179>, abgerufen am 15.05.2024.