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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Liedes hinaus hat Hebbel mit bewunderungswürdiger Kunst vollzogen. Seine
Nibelungen sind wirklich wie Dietrich sie dem Etzel schildert:


Du bist auch gewohnt


Dem Tod zu trotzen, doch Du brauchst noch Grund.
Die nicht! Wie ihre wilden Väter sich
Mit eigner Hand nach einem lust'gen Mahl
Bei Sang und Klang im Kreise ihrer Gäste
Durchbohrten, wenn des Lebens beste Zeit
Vorüber schien--
So ist der Teufel, der das Blut regiert,
Auch noch in ihnen mächtig, und sie folgen
Ihm freudig, wenn es einmal kocht und dampft.

Wie vertraut sind diese Menschen mit aller Heimlichkeit des Naturlebens,
beredt wird ihre Zunge nur, wenn sie sich erzählen von den Geheimnissen des
Waldes, von den Scberworten, die aus dem Nixenbrunnen ertönen, von den
Wundern des nordischen Eislandcs, von jenen Runen, darüber ein Held ver¬
geblich sinnen mag bis an seinen Tod. Wo es zu handeln gilt, gehen sie ans
Werk wortlos, sicher, unentwegt, wie der Schweizer sagt; dann und wann
bricht aus den geschlossenen Lippen ein Ausruf jenes gräßlich wilden Humors
hervor, der sich schon in dem alten Liede findet, wenn es von Volker spricht:


"Das ist ein rother Anstrich, den er am Fidelbogen hat."

Am gewaltigsten tritt uns die unbändige Kraft der Recken dann entgegen,
wenn sie versuchen sich der höflichen Sitte zu fügen: als Hagen im artigen Ge¬
spräche mit Nuvungs Tochter Nudungs gewaltige Waffen erblickt, ruft er arg¬
los die bewundernden Worte:


Ich hätt' -- verzeiht -- ihn selbst erschlagen mögen:
Es muß ein trotz'ger Held gewesen sein.

Doch während Hebbel so trotzig allen unseren conventionellen Begriffen
ins Gesicht schlägt, ist er um so maßvoller und schonender verfahren, wo er
unser sittliches Gefühl zu verletzen fürchten muß -- im erfreulichen Gegensatze
zu Geibel, der in seiner Brunhild den Anstand ängstlich zu wahren sucht und
dafür unsre sittliche Würde tödtlich beleidigt. Jener König Günther, der schon
in dem alten Liede eine sehr widerwärtige Rolle spielt und bei jedem Versuche
eingehender psychologischer Zergliederung nothwendig ekelhaft erscheinen muß,
ist von Hebbel mit sicherem künstlerischem Takte in den Hintergrund geschoben
worden. Jung und schwach läßt er den grimmen Hagen gewähren, der ihn
und seine Brüder ganz beherrscht. Ebenso ist jener nächtliche Ringkampf auf
Brunhilds Lager von Hebbel weit schamhafter behandelt als von Geibel, und
wer sich einmal eingelebt in die wunderbare Lust dieses Dramas, wird ohne
jeden Anstoß daran vorübergehen.


Liedes hinaus hat Hebbel mit bewunderungswürdiger Kunst vollzogen. Seine
Nibelungen sind wirklich wie Dietrich sie dem Etzel schildert:


Du bist auch gewohnt


Dem Tod zu trotzen, doch Du brauchst noch Grund.
Die nicht! Wie ihre wilden Väter sich
Mit eigner Hand nach einem lust'gen Mahl
Bei Sang und Klang im Kreise ihrer Gäste
Durchbohrten, wenn des Lebens beste Zeit
Vorüber schien--
So ist der Teufel, der das Blut regiert,
Auch noch in ihnen mächtig, und sie folgen
Ihm freudig, wenn es einmal kocht und dampft.

Wie vertraut sind diese Menschen mit aller Heimlichkeit des Naturlebens,
beredt wird ihre Zunge nur, wenn sie sich erzählen von den Geheimnissen des
Waldes, von den Scberworten, die aus dem Nixenbrunnen ertönen, von den
Wundern des nordischen Eislandcs, von jenen Runen, darüber ein Held ver¬
geblich sinnen mag bis an seinen Tod. Wo es zu handeln gilt, gehen sie ans
Werk wortlos, sicher, unentwegt, wie der Schweizer sagt; dann und wann
bricht aus den geschlossenen Lippen ein Ausruf jenes gräßlich wilden Humors
hervor, der sich schon in dem alten Liede findet, wenn es von Volker spricht:


„Das ist ein rother Anstrich, den er am Fidelbogen hat."

Am gewaltigsten tritt uns die unbändige Kraft der Recken dann entgegen,
wenn sie versuchen sich der höflichen Sitte zu fügen: als Hagen im artigen Ge¬
spräche mit Nuvungs Tochter Nudungs gewaltige Waffen erblickt, ruft er arg¬
los die bewundernden Worte:


Ich hätt' — verzeiht — ihn selbst erschlagen mögen:
Es muß ein trotz'ger Held gewesen sein.

Doch während Hebbel so trotzig allen unseren conventionellen Begriffen
ins Gesicht schlägt, ist er um so maßvoller und schonender verfahren, wo er
unser sittliches Gefühl zu verletzen fürchten muß — im erfreulichen Gegensatze
zu Geibel, der in seiner Brunhild den Anstand ängstlich zu wahren sucht und
dafür unsre sittliche Würde tödtlich beleidigt. Jener König Günther, der schon
in dem alten Liede eine sehr widerwärtige Rolle spielt und bei jedem Versuche
eingehender psychologischer Zergliederung nothwendig ekelhaft erscheinen muß,
ist von Hebbel mit sicherem künstlerischem Takte in den Hintergrund geschoben
worden. Jung und schwach läßt er den grimmen Hagen gewähren, der ihn
und seine Brüder ganz beherrscht. Ebenso ist jener nächtliche Ringkampf auf
Brunhilds Lager von Hebbel weit schamhafter behandelt als von Geibel, und
wer sich einmal eingelebt in die wunderbare Lust dieses Dramas, wird ohne
jeden Anstoß daran vorübergehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/182>, abgerufen am 29.05.2024.