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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Und fragen wir, was Hebbel neu geschaffen hat in dem alten Stoffe, so
finden wir zwar einzelne überraschend feine Motivirungen, welche das Lied gar
nicht oder nur leise andeutet, wir sehen Brunhilds geheime Liebe zu Siegfried,
wir erfahren, daß die Eifersucht Kriemhild bewog, ihre Schwägerin zu schelten,
und daß der Neid der letzte Grund des Hasses ist, den Hagen gegen Siegfried
hegt, aber wir können nicht sagen, die Helden seien uns in dem modernen
Drama vertrauter geworden als in dem alten Liede. Unvermeidlicher Weise
vielmehr treten in dem Drama einige moderne Züge störend hervor: die alten
Necken beurtheilen sich gegenseitig mit einer bewußten Klarheit, welche zu ihrem
eigenen Thun wenig stimmt, und wenn Brunhild zu Günther spricht:


in Dir und mir
Hat Mann und Weib für alle Ewigkeit
Den Kampf um's Vorrecht ausgekämpft --

so offenbaren auch diese Worte ein Helles Bewußtsein, das wir der
Königin von Jftnland nicht zutrauen. Gestehen wir also: wenn uns die
Lust anwandelt uns zu erfreuen an der Größe unsrer Sagenzeit, so greifen
wir lieber .zu dem Nibelungenliede selber, als zu dem neuen Drama. Denn
in einer Erzählung vergangener Thaten nehmen wir Vieles arglos und willig
hin, was uns in der unmittelbaren Gegenwart des Dramas verletzt, und
während die Mängel des alten Liedes uns nur wie das Blei erscheinen, worein
die Natur das Silber verborgen hat, machen die Mängel des modernen
Werkes den Eindruck einer fremden künstlichen Zuthat. Diese Worte sollen
kein Vorwurf gegen den Dichter sein; er hat das Mögliche geleistet, aber er
hat gewisse Bedenken nicht überwinden können, welche unvermeidlich gegeben
sind durch die Thatsache, daß unser Volk das Gemüthsleben der epischen Zeit
längst überwunden hat.

Alle anderen Bedenken, die ein wohlgeschulter Regisseur aus den fremd¬
artigen Sitten der Heidenzeit entnehmen wird, scheinen uns nicht durchschlagend.
Wir glauben, gerade diesem Stoffe werde das Publicum leidlich willig und
gläubig entgegenkommen, und die Aufführung in Weimar hat diese Meinung
bestätigt. Solche Schwierigkeiten des Costüms dürfen die Vorstellung des
Werks nicht hindern, wenn anders zu den Schauspielerinnen, welche heute die
Kriemhild spielen können, sich der Schauspieler für den Hagen findet. Wir
begrüßen das Drama als ein neues Zeichen der Rückkehr Hebbels von den
Experimenten des grübelnden Verstandes zur ächten lebendigen Dichtung.




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Und fragen wir, was Hebbel neu geschaffen hat in dem alten Stoffe, so
finden wir zwar einzelne überraschend feine Motivirungen, welche das Lied gar
nicht oder nur leise andeutet, wir sehen Brunhilds geheime Liebe zu Siegfried,
wir erfahren, daß die Eifersucht Kriemhild bewog, ihre Schwägerin zu schelten,
und daß der Neid der letzte Grund des Hasses ist, den Hagen gegen Siegfried
hegt, aber wir können nicht sagen, die Helden seien uns in dem modernen
Drama vertrauter geworden als in dem alten Liede. Unvermeidlicher Weise
vielmehr treten in dem Drama einige moderne Züge störend hervor: die alten
Necken beurtheilen sich gegenseitig mit einer bewußten Klarheit, welche zu ihrem
eigenen Thun wenig stimmt, und wenn Brunhild zu Günther spricht:


in Dir und mir
Hat Mann und Weib für alle Ewigkeit
Den Kampf um's Vorrecht ausgekämpft —

so offenbaren auch diese Worte ein Helles Bewußtsein, das wir der
Königin von Jftnland nicht zutrauen. Gestehen wir also: wenn uns die
Lust anwandelt uns zu erfreuen an der Größe unsrer Sagenzeit, so greifen
wir lieber .zu dem Nibelungenliede selber, als zu dem neuen Drama. Denn
in einer Erzählung vergangener Thaten nehmen wir Vieles arglos und willig
hin, was uns in der unmittelbaren Gegenwart des Dramas verletzt, und
während die Mängel des alten Liedes uns nur wie das Blei erscheinen, worein
die Natur das Silber verborgen hat, machen die Mängel des modernen
Werkes den Eindruck einer fremden künstlichen Zuthat. Diese Worte sollen
kein Vorwurf gegen den Dichter sein; er hat das Mögliche geleistet, aber er
hat gewisse Bedenken nicht überwinden können, welche unvermeidlich gegeben
sind durch die Thatsache, daß unser Volk das Gemüthsleben der epischen Zeit
längst überwunden hat.

Alle anderen Bedenken, die ein wohlgeschulter Regisseur aus den fremd¬
artigen Sitten der Heidenzeit entnehmen wird, scheinen uns nicht durchschlagend.
Wir glauben, gerade diesem Stoffe werde das Publicum leidlich willig und
gläubig entgegenkommen, und die Aufführung in Weimar hat diese Meinung
bestätigt. Solche Schwierigkeiten des Costüms dürfen die Vorstellung des
Werks nicht hindern, wenn anders zu den Schauspielerinnen, welche heute die
Kriemhild spielen können, sich der Schauspieler für den Hagen findet. Wir
begrüßen das Drama als ein neues Zeichen der Rückkehr Hebbels von den
Experimenten des grübelnden Verstandes zur ächten lebendigen Dichtung.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/187>, abgerufen am 14.05.2024.