Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Pfeifen. Nun beginnt das Hauptvergnügen, das Lotto. Jeder, der im Be¬
sitze eines Looses ist, sucht sich mit Hülfe seiner Ellbogen bis in die Arena in
die Nähe der Tribünen durchzuarbeiten, wo die Nummern von einem Knaben
gezogen werden. Die Preise bestehen in 400, 200, 100, 50 Scudi und mehren
kleinern Gewinnen. Die ersten drei Nummern, die man auf seinem Loose
in einer Reihe, als gerufen angestrichen hat, berechtigen zum niedrigsten Ge¬
winne, die vier folgenden zum höheren und sofort, so daß derjenige, welcher
zuerst alle Nummern seines Blattes gerufen sieht, den Hauptgewinn davcnträgt.
Jede von den Schiedsrichtern auf der Tribüne mit lauter Stimme ausgerufene
Nummer wird auf den Holzthürmen mittelst großer Tafeln gezeigt und von einem
Trompetentusch begleitet. Jedes Mal kräht und schreit die Menge die Nummer
nach, den Ausrufer verhöhnend, bis das neue Trompetensignal die Aufmerksam¬
kett auf die nächste Nummer fesselt; dann wiederholt sich dasselbe Schauspiel.
Sind die ersten drei Nummern in einer Reihe, eine Terre, heraus, so steigt der
glückliche Gewinner unter den Verwünschungen, dem Pfeifen, Grunzen und
Heulen der Menge zur Richtertribüne empor. Wehe ihm, wenn er sich in
seinen Nummern getäuscht hat, denn in diesem Falle empfängt ihn ein wahr¬
haft infernalisches Hohngeschrei und ein Bombardement von Apfelsinen und
Nußschaalen, vor dem er sich nur durch die schleunigste Flucht retten kann.
Das alles hat aber keinen brutalen, bösartigen Anstrich, sondern mehr den
Charakter der ausgelassensten, heitersten Lust. Die Landleute und Trasteveriner
sind,, so harmlos vergnügt, bieten uns von ihren Pagnatelten an. erkundigen
sich nach unserem Baterlande und rufen: elrL w'ullo rMss!" wenn wir ihnen
erzählen, wie kalt es um diese Zeit bei uns im Norden ist, wie die Landschaft mit
schneebedeckt ist und man auf dem "Stil" fährt. Die Kinder klatschen vor Freuden
in die Hände, daß die Knaben bei uns einander mit Schneeballen werfen --
denn wenn in Rom einmal Schnee fällt, so daß er einen Tag liegen bleibt,
so fallen in den Schulen die Unterrichtsstunden aus, damit die Kinder sich
an dem ungewöhnlichen Schauspiel erfreuen tonnen. Einstmals soll es sogar
so stark in Rom gefroren haben, daß einer "av Meil töäWotu" aus dem Eise ganz
wunderlich umhergefahren ist, nur einer, denn in ganz Rom war nur ein Paar Schlitt¬
schuhe auszutrerben. -- Wenn nun der letzte der Hauptgewinne gezogen ist, fin¬
det ein letztes Nennen zwischen den drei Siegern der vorigen Rennen statt.
Sodann strömt die Menge dem Thore zu, .wenn schon die Abendsonne hinter
der Kuppel von Se. Peter verschwindet und das großartige Panorama der
ewigen Stadt mit einem magischen, unbeschreiblichen Lichtglanze tränkt. Will
man diesen Anblick in seiner ganzen Herrlichkeit genießen, so steige man zum
nahen Pincio hinauf. Das Bild, welches sich vor den Augen aufrollt, wird
heut belebt durch die über den Popoloplatz hereinströmenden Massen des
Volks und der heimkehrenden Truppen.


2*

Pfeifen. Nun beginnt das Hauptvergnügen, das Lotto. Jeder, der im Be¬
sitze eines Looses ist, sucht sich mit Hülfe seiner Ellbogen bis in die Arena in
die Nähe der Tribünen durchzuarbeiten, wo die Nummern von einem Knaben
gezogen werden. Die Preise bestehen in 400, 200, 100, 50 Scudi und mehren
kleinern Gewinnen. Die ersten drei Nummern, die man auf seinem Loose
in einer Reihe, als gerufen angestrichen hat, berechtigen zum niedrigsten Ge¬
winne, die vier folgenden zum höheren und sofort, so daß derjenige, welcher
zuerst alle Nummern seines Blattes gerufen sieht, den Hauptgewinn davcnträgt.
Jede von den Schiedsrichtern auf der Tribüne mit lauter Stimme ausgerufene
Nummer wird auf den Holzthürmen mittelst großer Tafeln gezeigt und von einem
Trompetentusch begleitet. Jedes Mal kräht und schreit die Menge die Nummer
nach, den Ausrufer verhöhnend, bis das neue Trompetensignal die Aufmerksam¬
kett auf die nächste Nummer fesselt; dann wiederholt sich dasselbe Schauspiel.
Sind die ersten drei Nummern in einer Reihe, eine Terre, heraus, so steigt der
glückliche Gewinner unter den Verwünschungen, dem Pfeifen, Grunzen und
Heulen der Menge zur Richtertribüne empor. Wehe ihm, wenn er sich in
seinen Nummern getäuscht hat, denn in diesem Falle empfängt ihn ein wahr¬
haft infernalisches Hohngeschrei und ein Bombardement von Apfelsinen und
Nußschaalen, vor dem er sich nur durch die schleunigste Flucht retten kann.
Das alles hat aber keinen brutalen, bösartigen Anstrich, sondern mehr den
Charakter der ausgelassensten, heitersten Lust. Die Landleute und Trasteveriner
sind,, so harmlos vergnügt, bieten uns von ihren Pagnatelten an. erkundigen
sich nach unserem Baterlande und rufen: elrL w'ullo rMss!" wenn wir ihnen
erzählen, wie kalt es um diese Zeit bei uns im Norden ist, wie die Landschaft mit
schneebedeckt ist und man auf dem „Stil" fährt. Die Kinder klatschen vor Freuden
in die Hände, daß die Knaben bei uns einander mit Schneeballen werfen —
denn wenn in Rom einmal Schnee fällt, so daß er einen Tag liegen bleibt,
so fallen in den Schulen die Unterrichtsstunden aus, damit die Kinder sich
an dem ungewöhnlichen Schauspiel erfreuen tonnen. Einstmals soll es sogar
so stark in Rom gefroren haben, daß einer „av Meil töäWotu" aus dem Eise ganz
wunderlich umhergefahren ist, nur einer, denn in ganz Rom war nur ein Paar Schlitt¬
schuhe auszutrerben. — Wenn nun der letzte der Hauptgewinne gezogen ist, fin¬
det ein letztes Nennen zwischen den drei Siegern der vorigen Rennen statt.
Sodann strömt die Menge dem Thore zu, .wenn schon die Abendsonne hinter
der Kuppel von Se. Peter verschwindet und das großartige Panorama der
ewigen Stadt mit einem magischen, unbeschreiblichen Lichtglanze tränkt. Will
man diesen Anblick in seiner ganzen Herrlichkeit genießen, so steige man zum
nahen Pincio hinauf. Das Bild, welches sich vor den Augen aufrollt, wird
heut belebt durch die über den Popoloplatz hereinströmenden Massen des
Volks und der heimkehrenden Truppen.


2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0019" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114875"/>
          <p xml:id="ID_39" prev="#ID_38"> Pfeifen. Nun beginnt das Hauptvergnügen, das Lotto. Jeder, der im Be¬<lb/>
sitze eines Looses ist, sucht sich mit Hülfe seiner Ellbogen bis in die Arena in<lb/>
die Nähe der Tribünen durchzuarbeiten, wo die Nummern von einem Knaben<lb/>
gezogen werden. Die Preise bestehen in 400, 200, 100, 50 Scudi und mehren<lb/>
kleinern Gewinnen. Die ersten drei Nummern, die man auf seinem Loose<lb/>
in einer Reihe, als gerufen angestrichen hat, berechtigen zum niedrigsten Ge¬<lb/>
winne, die vier folgenden zum höheren und sofort, so daß derjenige, welcher<lb/>
zuerst alle Nummern seines Blattes gerufen sieht, den Hauptgewinn davcnträgt.<lb/>
Jede von den Schiedsrichtern auf der Tribüne mit lauter Stimme ausgerufene<lb/>
Nummer wird auf den Holzthürmen mittelst großer Tafeln gezeigt und von einem<lb/>
Trompetentusch begleitet. Jedes Mal kräht und schreit die Menge die Nummer<lb/>
nach, den Ausrufer verhöhnend, bis das neue Trompetensignal die Aufmerksam¬<lb/>
kett auf die nächste Nummer fesselt; dann wiederholt sich dasselbe Schauspiel.<lb/>
Sind die ersten drei Nummern in einer Reihe, eine Terre, heraus, so steigt der<lb/>
glückliche Gewinner unter den Verwünschungen, dem Pfeifen, Grunzen und<lb/>
Heulen der Menge zur Richtertribüne empor. Wehe ihm, wenn er sich in<lb/>
seinen Nummern getäuscht hat, denn in diesem Falle empfängt ihn ein wahr¬<lb/>
haft infernalisches Hohngeschrei und ein Bombardement von Apfelsinen und<lb/>
Nußschaalen, vor dem er sich nur durch die schleunigste Flucht retten kann.<lb/>
Das alles hat aber keinen brutalen, bösartigen Anstrich, sondern mehr den<lb/>
Charakter der ausgelassensten, heitersten Lust. Die Landleute und Trasteveriner<lb/>
sind,, so harmlos vergnügt, bieten uns von ihren Pagnatelten an. erkundigen<lb/>
sich nach unserem Baterlande und rufen: elrL w'ullo rMss!" wenn wir ihnen<lb/>
erzählen, wie kalt es um diese Zeit bei uns im Norden ist, wie die Landschaft mit<lb/>
schneebedeckt ist und man auf dem &#x201E;Stil" fährt. Die Kinder klatschen vor Freuden<lb/>
in die Hände, daß die Knaben bei uns einander mit Schneeballen werfen &#x2014;<lb/>
denn wenn in Rom einmal Schnee fällt, so daß er einen Tag liegen bleibt,<lb/>
so fallen in den Schulen die Unterrichtsstunden aus, damit die Kinder sich<lb/>
an dem ungewöhnlichen Schauspiel erfreuen tonnen. Einstmals soll es sogar<lb/>
so stark in Rom gefroren haben, daß einer &#x201E;av Meil töäWotu" aus dem Eise ganz<lb/>
wunderlich umhergefahren ist, nur einer, denn in ganz Rom war nur ein Paar Schlitt¬<lb/>
schuhe auszutrerben. &#x2014; Wenn nun der letzte der Hauptgewinne gezogen ist, fin¬<lb/>
det ein letztes Nennen zwischen den drei Siegern der vorigen Rennen statt.<lb/>
Sodann strömt die Menge dem Thore zu, .wenn schon die Abendsonne hinter<lb/>
der Kuppel von Se. Peter verschwindet und das großartige Panorama der<lb/>
ewigen Stadt mit einem magischen, unbeschreiblichen Lichtglanze tränkt. Will<lb/>
man diesen Anblick in seiner ganzen Herrlichkeit genießen, so steige man zum<lb/>
nahen Pincio hinauf. Das Bild, welches sich vor den Augen aufrollt, wird<lb/>
heut belebt durch die über den Popoloplatz hereinströmenden Massen des<lb/>
Volks und der heimkehrenden Truppen.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 2*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] Pfeifen. Nun beginnt das Hauptvergnügen, das Lotto. Jeder, der im Be¬ sitze eines Looses ist, sucht sich mit Hülfe seiner Ellbogen bis in die Arena in die Nähe der Tribünen durchzuarbeiten, wo die Nummern von einem Knaben gezogen werden. Die Preise bestehen in 400, 200, 100, 50 Scudi und mehren kleinern Gewinnen. Die ersten drei Nummern, die man auf seinem Loose in einer Reihe, als gerufen angestrichen hat, berechtigen zum niedrigsten Ge¬ winne, die vier folgenden zum höheren und sofort, so daß derjenige, welcher zuerst alle Nummern seines Blattes gerufen sieht, den Hauptgewinn davcnträgt. Jede von den Schiedsrichtern auf der Tribüne mit lauter Stimme ausgerufene Nummer wird auf den Holzthürmen mittelst großer Tafeln gezeigt und von einem Trompetentusch begleitet. Jedes Mal kräht und schreit die Menge die Nummer nach, den Ausrufer verhöhnend, bis das neue Trompetensignal die Aufmerksam¬ kett auf die nächste Nummer fesselt; dann wiederholt sich dasselbe Schauspiel. Sind die ersten drei Nummern in einer Reihe, eine Terre, heraus, so steigt der glückliche Gewinner unter den Verwünschungen, dem Pfeifen, Grunzen und Heulen der Menge zur Richtertribüne empor. Wehe ihm, wenn er sich in seinen Nummern getäuscht hat, denn in diesem Falle empfängt ihn ein wahr¬ haft infernalisches Hohngeschrei und ein Bombardement von Apfelsinen und Nußschaalen, vor dem er sich nur durch die schleunigste Flucht retten kann. Das alles hat aber keinen brutalen, bösartigen Anstrich, sondern mehr den Charakter der ausgelassensten, heitersten Lust. Die Landleute und Trasteveriner sind,, so harmlos vergnügt, bieten uns von ihren Pagnatelten an. erkundigen sich nach unserem Baterlande und rufen: elrL w'ullo rMss!" wenn wir ihnen erzählen, wie kalt es um diese Zeit bei uns im Norden ist, wie die Landschaft mit schneebedeckt ist und man auf dem „Stil" fährt. Die Kinder klatschen vor Freuden in die Hände, daß die Knaben bei uns einander mit Schneeballen werfen — denn wenn in Rom einmal Schnee fällt, so daß er einen Tag liegen bleibt, so fallen in den Schulen die Unterrichtsstunden aus, damit die Kinder sich an dem ungewöhnlichen Schauspiel erfreuen tonnen. Einstmals soll es sogar so stark in Rom gefroren haben, daß einer „av Meil töäWotu" aus dem Eise ganz wunderlich umhergefahren ist, nur einer, denn in ganz Rom war nur ein Paar Schlitt¬ schuhe auszutrerben. — Wenn nun der letzte der Hauptgewinne gezogen ist, fin¬ det ein letztes Nennen zwischen den drei Siegern der vorigen Rennen statt. Sodann strömt die Menge dem Thore zu, .wenn schon die Abendsonne hinter der Kuppel von Se. Peter verschwindet und das großartige Panorama der ewigen Stadt mit einem magischen, unbeschreiblichen Lichtglanze tränkt. Will man diesen Anblick in seiner ganzen Herrlichkeit genießen, so steige man zum nahen Pincio hinauf. Das Bild, welches sich vor den Augen aufrollt, wird heut belebt durch die über den Popoloplatz hereinströmenden Massen des Volks und der heimkehrenden Truppen. 2*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/19
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/19>, abgerufen am 14.05.2024.