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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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erregter werdende höchst populäre Opposition, Alles in (Nahrung, keine feste
Hand, das Staatsschiff durch den wachsenden Sturm zu führen, kein besonnenes
Nachgeben an rechter Stelle, um dann an der Grenze des Möglichen mit um
so mehr Energie und um so sicherer Aussicht auf den Anschluß aller Verstän¬
digen festzuhalten, was nothwendig zu halten war, Schelten und polterndes
Beharren bei vorgefaßten Meinungen und zuletzt doch ein schwächliches Com-
promiß in dem Versprechen, die Ausschüsse schon diesmal gleich wieder zusam¬
menzurufen. Wie leicht wäre damals der Verfassungsstreit zu einem für alle
Theile ersprießlichen Austrag zu bringen gewesen, wie stark und sicher hätte
man dann den Ereignissen des nächsten Jahres gegenübergestanden! Aber
schon jetzt offenbarte sich, was später noch deutlicher hervortrat: phantastische
Pläne mit unklarer Auffassung von Zweck und Weg, vollkommenste Täuschung
über den Zustand des Landes und der Welt überhaupt, sanguinisches Beginnen
und rasches Ermatten bei der Ausführung des Beschlossenen, viel Worte und
wenig Thaten."

So kam die Februarrevolution, die Willisen, so sehr ihm auch die derselben
vorhergehenden Maßregeln Ludwig Philipps und seiner Minister mißfielen,
entschieden als eine ungerechtfertigte und als ein großes Unglück betrachtete,
und deren Ergebniß, die Erklärung der Republik, ihm "als politisches Mon¬
strum erschien und in innerster Seele zuwider war." So kamen die Berliner
Märztage, die ihn noch mehr überraschten und noch tiefer betrübten und
erschütterten.

"Die Art und Weise, wie unsre Regierung sich gegen den Landtag benahm."
heißt es in den uns vorliegenden Aufzeichnungen über diese Zeit, "erschien
mir zwar äußerst fehlerhaft; man konnte darin aber doch das von höherer
Hand geleitete retardirende Princip erkennen, welches sich bei jeder gesunden
Entwickelung einem zu schnellen Vorgehen entgegensetzen darf, und welches die
Regierungen als die eigentlichen Repräsentanten des ErHaltens mit vollem Rechte
handhaben. Der Schritt, welcher mit Einsetzung des allgemeinen Landtags
geschehen war, erschien außerdem als ein so bedeutungsvoller, daß man es ohne
Besorgniß mit ansehen konnte, wenn diesem nicht ohne Verzug alle constitutionellen
Gerechtsame zugestanden wurden, die man ihm freilich besser gleich von Haus
aus gegeben hätte. Ein unermeßliches Unglück würde es gewesen sein, wenn
der Landtag versucht hätte, sich auf^gewaltsame Weise in den Besitz ,der ihm
vorenthaltenen Rechte zu setzen, obschon dazu in dem bisherigen Verhalten der
Regierung hinsichtlich der Vcrfassungsangelegcnheit größere Veranlassung gelegen
hätte, als in dem, was die französische Regierung in Betreff der Verfassung von
1830 gethan hatte."

Nachdem sich Willisen von der ersten Bestürzung über die Ereignisse in
Wien und Berlin erholt, konnte er sie sich nur aus dem schlechten Gewissen


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erregter werdende höchst populäre Opposition, Alles in (Nahrung, keine feste
Hand, das Staatsschiff durch den wachsenden Sturm zu führen, kein besonnenes
Nachgeben an rechter Stelle, um dann an der Grenze des Möglichen mit um
so mehr Energie und um so sicherer Aussicht auf den Anschluß aller Verstän¬
digen festzuhalten, was nothwendig zu halten war, Schelten und polterndes
Beharren bei vorgefaßten Meinungen und zuletzt doch ein schwächliches Com-
promiß in dem Versprechen, die Ausschüsse schon diesmal gleich wieder zusam¬
menzurufen. Wie leicht wäre damals der Verfassungsstreit zu einem für alle
Theile ersprießlichen Austrag zu bringen gewesen, wie stark und sicher hätte
man dann den Ereignissen des nächsten Jahres gegenübergestanden! Aber
schon jetzt offenbarte sich, was später noch deutlicher hervortrat: phantastische
Pläne mit unklarer Auffassung von Zweck und Weg, vollkommenste Täuschung
über den Zustand des Landes und der Welt überhaupt, sanguinisches Beginnen
und rasches Ermatten bei der Ausführung des Beschlossenen, viel Worte und
wenig Thaten."

So kam die Februarrevolution, die Willisen, so sehr ihm auch die derselben
vorhergehenden Maßregeln Ludwig Philipps und seiner Minister mißfielen,
entschieden als eine ungerechtfertigte und als ein großes Unglück betrachtete,
und deren Ergebniß, die Erklärung der Republik, ihm „als politisches Mon¬
strum erschien und in innerster Seele zuwider war." So kamen die Berliner
Märztage, die ihn noch mehr überraschten und noch tiefer betrübten und
erschütterten.

„Die Art und Weise, wie unsre Regierung sich gegen den Landtag benahm."
heißt es in den uns vorliegenden Aufzeichnungen über diese Zeit, „erschien
mir zwar äußerst fehlerhaft; man konnte darin aber doch das von höherer
Hand geleitete retardirende Princip erkennen, welches sich bei jeder gesunden
Entwickelung einem zu schnellen Vorgehen entgegensetzen darf, und welches die
Regierungen als die eigentlichen Repräsentanten des ErHaltens mit vollem Rechte
handhaben. Der Schritt, welcher mit Einsetzung des allgemeinen Landtags
geschehen war, erschien außerdem als ein so bedeutungsvoller, daß man es ohne
Besorgniß mit ansehen konnte, wenn diesem nicht ohne Verzug alle constitutionellen
Gerechtsame zugestanden wurden, die man ihm freilich besser gleich von Haus
aus gegeben hätte. Ein unermeßliches Unglück würde es gewesen sein, wenn
der Landtag versucht hätte, sich auf^gewaltsame Weise in den Besitz ,der ihm
vorenthaltenen Rechte zu setzen, obschon dazu in dem bisherigen Verhalten der
Regierung hinsichtlich der Vcrfassungsangelegcnheit größere Veranlassung gelegen
hätte, als in dem, was die französische Regierung in Betreff der Verfassung von
1830 gethan hatte."

Nachdem sich Willisen von der ersten Bestürzung über die Ereignisse in
Wien und Berlin erholt, konnte er sie sich nur aus dem schlechten Gewissen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/195>, abgerufen am 15.05.2024.