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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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der Regierungen erklären, welches lähmend auf Kopf und Herz gewirkt. "Dieses
schlechte Gewissen regt sich in den Regierungen allen Sophistereien zum Trotz
immer, wenn sie sich sagen müssen, statt nach göttlicher Ordnung mit Liebe und
Aufopferung für die Unterthanen zu regieren, nur an ihre eigne Macht und
ihren Vortheil gedacht zu haben. Von einer guten Regierung gilt das noblesse
odliM noch viel mehr als vom Adel, und es ist das frömmste Wort, was je
ein König gesprochen, wenn Friedrich der Große nur der erste Diener des Staats
sein wollte. Nur unverständiger Hochmuth konnte das zu einer jakobinischen
Redensart stempeln."

Aus solchen Betrachtungen über die Ursachen der Revolution ergab sich
für Willisen die Stellung, die er zu ihr einnahm. Er wünschte, daß man sich
die begangenen Fehler im Einzelnen klar mache und sie praktisch zu sühnen suche,
daß man zwar das Mittel des Aufruhrs verwerfe, aber jeden sittlich berechtig¬
ten Anspruch der Massen anerkenne und darin zugleich die Kraft finde, un¬
berechtigten Forderungen mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. Dazu direct
mitzuwirken war er, der untergeordnete General in einer Provinzialstadt. nicht
berufen. Dagegen glaubte er in Betreff der militärischen Verhältnisse thätig
sein zu müssen. Er entwarf eine Art Programm, welches die Überschrift trug:
"Was wir wollen und nicht wollen", und für welches er in der Armee Unter¬
schriften zu sammeln gedachte. Es hieß darin: man wolle die Freiheit so sehr
wie irgend einer, aber auf dem Boden des Gesetzes und der Ordnung; man
wolle eine konstitutionelle Verfassung, aber keine Volksherrschaft, am wenigsten
die der Straße; man wisse, daß die erste Pflicht der bewaffneten Macht der
Gehorsam sei. und man werde diese Pflicht besonders da mit Freuden üben,
wo man zur Erhaltung der Ordnung, zur Handhabung der Gesetze in Anspruch
genommen würde, selbst wenn diese Gesetze Mängel hätten. Dieser Plan wurde
mit dem commandirenden General. Graf Brandenburg besprochen, der den Ge¬
danken zwar billigte, seine Ausführung aber doch für bedenklich hielt, und so
unterblieb die Sache. "Leider", meint der Verfasser des Tagebuchs. "Vielleicht
hätte dadurch sofort bei uns in Breslau Alles eine andere Farbe gewonnen,
die Bearbeitung der Soldaten durch die Demagogen, von der man übrigens
mehr gesprochen haben mag als sie wirklich stattfand, obwohl das zehnte Regi¬
ment starken Verdacht erregte, wäre wahrscheinlich sofort unterblieben, die ein¬
geschüchterte und zerstreute Ordnungspartei hätte sich um dieses Programm
gesammelt, und all der demokratische Unfug, der in der Folge getrieben wurde,
wäre im Keime erstickt worden."

Am 23. März reiste Willisen nach Berlin, um mit eignen Augen zu sehen,
was an den Nachrichten sei. welche die vorhergehende verhängnißvolle Woche
gebracht hatte. Wir übergehen die Schilderung des ersten Eindrucks, welchen
die Stadt, die Stille und Oede der Straßen, die Abwesenheit aller Soldaten,


der Regierungen erklären, welches lähmend auf Kopf und Herz gewirkt. „Dieses
schlechte Gewissen regt sich in den Regierungen allen Sophistereien zum Trotz
immer, wenn sie sich sagen müssen, statt nach göttlicher Ordnung mit Liebe und
Aufopferung für die Unterthanen zu regieren, nur an ihre eigne Macht und
ihren Vortheil gedacht zu haben. Von einer guten Regierung gilt das noblesse
odliM noch viel mehr als vom Adel, und es ist das frömmste Wort, was je
ein König gesprochen, wenn Friedrich der Große nur der erste Diener des Staats
sein wollte. Nur unverständiger Hochmuth konnte das zu einer jakobinischen
Redensart stempeln."

Aus solchen Betrachtungen über die Ursachen der Revolution ergab sich
für Willisen die Stellung, die er zu ihr einnahm. Er wünschte, daß man sich
die begangenen Fehler im Einzelnen klar mache und sie praktisch zu sühnen suche,
daß man zwar das Mittel des Aufruhrs verwerfe, aber jeden sittlich berechtig¬
ten Anspruch der Massen anerkenne und darin zugleich die Kraft finde, un¬
berechtigten Forderungen mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. Dazu direct
mitzuwirken war er, der untergeordnete General in einer Provinzialstadt. nicht
berufen. Dagegen glaubte er in Betreff der militärischen Verhältnisse thätig
sein zu müssen. Er entwarf eine Art Programm, welches die Überschrift trug:
„Was wir wollen und nicht wollen", und für welches er in der Armee Unter¬
schriften zu sammeln gedachte. Es hieß darin: man wolle die Freiheit so sehr
wie irgend einer, aber auf dem Boden des Gesetzes und der Ordnung; man
wolle eine konstitutionelle Verfassung, aber keine Volksherrschaft, am wenigsten
die der Straße; man wisse, daß die erste Pflicht der bewaffneten Macht der
Gehorsam sei. und man werde diese Pflicht besonders da mit Freuden üben,
wo man zur Erhaltung der Ordnung, zur Handhabung der Gesetze in Anspruch
genommen würde, selbst wenn diese Gesetze Mängel hätten. Dieser Plan wurde
mit dem commandirenden General. Graf Brandenburg besprochen, der den Ge¬
danken zwar billigte, seine Ausführung aber doch für bedenklich hielt, und so
unterblieb die Sache. „Leider", meint der Verfasser des Tagebuchs. „Vielleicht
hätte dadurch sofort bei uns in Breslau Alles eine andere Farbe gewonnen,
die Bearbeitung der Soldaten durch die Demagogen, von der man übrigens
mehr gesprochen haben mag als sie wirklich stattfand, obwohl das zehnte Regi¬
ment starken Verdacht erregte, wäre wahrscheinlich sofort unterblieben, die ein¬
geschüchterte und zerstreute Ordnungspartei hätte sich um dieses Programm
gesammelt, und all der demokratische Unfug, der in der Folge getrieben wurde,
wäre im Keime erstickt worden."

Am 23. März reiste Willisen nach Berlin, um mit eignen Augen zu sehen,
was an den Nachrichten sei. welche die vorhergehende verhängnißvolle Woche
gebracht hatte. Wir übergehen die Schilderung des ersten Eindrucks, welchen
die Stadt, die Stille und Oede der Straßen, die Abwesenheit aller Soldaten,


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[0196] der Regierungen erklären, welches lähmend auf Kopf und Herz gewirkt. „Dieses schlechte Gewissen regt sich in den Regierungen allen Sophistereien zum Trotz immer, wenn sie sich sagen müssen, statt nach göttlicher Ordnung mit Liebe und Aufopferung für die Unterthanen zu regieren, nur an ihre eigne Macht und ihren Vortheil gedacht zu haben. Von einer guten Regierung gilt das noblesse odliM noch viel mehr als vom Adel, und es ist das frömmste Wort, was je ein König gesprochen, wenn Friedrich der Große nur der erste Diener des Staats sein wollte. Nur unverständiger Hochmuth konnte das zu einer jakobinischen Redensart stempeln." Aus solchen Betrachtungen über die Ursachen der Revolution ergab sich für Willisen die Stellung, die er zu ihr einnahm. Er wünschte, daß man sich die begangenen Fehler im Einzelnen klar mache und sie praktisch zu sühnen suche, daß man zwar das Mittel des Aufruhrs verwerfe, aber jeden sittlich berechtig¬ ten Anspruch der Massen anerkenne und darin zugleich die Kraft finde, un¬ berechtigten Forderungen mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. Dazu direct mitzuwirken war er, der untergeordnete General in einer Provinzialstadt. nicht berufen. Dagegen glaubte er in Betreff der militärischen Verhältnisse thätig sein zu müssen. Er entwarf eine Art Programm, welches die Überschrift trug: „Was wir wollen und nicht wollen", und für welches er in der Armee Unter¬ schriften zu sammeln gedachte. Es hieß darin: man wolle die Freiheit so sehr wie irgend einer, aber auf dem Boden des Gesetzes und der Ordnung; man wolle eine konstitutionelle Verfassung, aber keine Volksherrschaft, am wenigsten die der Straße; man wisse, daß die erste Pflicht der bewaffneten Macht der Gehorsam sei. und man werde diese Pflicht besonders da mit Freuden üben, wo man zur Erhaltung der Ordnung, zur Handhabung der Gesetze in Anspruch genommen würde, selbst wenn diese Gesetze Mängel hätten. Dieser Plan wurde mit dem commandirenden General. Graf Brandenburg besprochen, der den Ge¬ danken zwar billigte, seine Ausführung aber doch für bedenklich hielt, und so unterblieb die Sache. „Leider", meint der Verfasser des Tagebuchs. „Vielleicht hätte dadurch sofort bei uns in Breslau Alles eine andere Farbe gewonnen, die Bearbeitung der Soldaten durch die Demagogen, von der man übrigens mehr gesprochen haben mag als sie wirklich stattfand, obwohl das zehnte Regi¬ ment starken Verdacht erregte, wäre wahrscheinlich sofort unterblieben, die ein¬ geschüchterte und zerstreute Ordnungspartei hätte sich um dieses Programm gesammelt, und all der demokratische Unfug, der in der Folge getrieben wurde, wäre im Keime erstickt worden." Am 23. März reiste Willisen nach Berlin, um mit eignen Augen zu sehen, was an den Nachrichten sei. welche die vorhergehende verhängnißvolle Woche gebracht hatte. Wir übergehen die Schilderung des ersten Eindrucks, welchen die Stadt, die Stille und Oede der Straßen, die Abwesenheit aller Soldaten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/196>, abgerufen am 30.05.2024.