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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Grundzüge für eine sogenannte parlamentarische Regierung: Zweikammersystem,
absolutes Veto der Krone. Macht der Kammer über das Geld, alleinige Ver¬
waltung der Regierung, volle Herrschaft derselben über das Heer u. s. w. zu
enthalten brauchte, leicht zu Stande zu bringen und, wenn man aus seine so¬
fortige Berathung drang, in den wesentlichen Punkten rasch der Annahme ent¬
gegenzuführen war. Alle Theile, die Versammlung in ihrer Mehrheit, das
Land und der Hof, wären einem solchen Verfahren damals mit mehr oder we¬
niger gutem Willen entgegengekommen. Man fühlte nichts so lebhaft, als den
Wunsch, dem unersprießlicher Provisorium ein baldiges Ende gemacht zu sehen,
und das Ministerium war nach unten hin so populär, nach oben hin trotz seiner
Verhaßtheit bei der Hofpartei noch so mächtig, daß es mit einiger Energie
wohl hätte durchdringen können."

"So aber, als man mit nichts Fertigen hervortrat, als man damit anfing,
die Versammlung sich selbst zu überlassen, mußte geschehen, was in solchen Fäl¬
len immer geschieht: die Strömung der Zeit bemächtigte sich mehr und mehr
der Landesvertretung und drängte sie auf einen Weg, den sie ihrer Majorität
nach anfänglich gar nicht hatte gehen wollen."

"Ich weiß mit Bestimmtheit, daß damals das Ministerium wiederholt den
Willen kundgab, die Truppen wieder nach Berlin zu ziehen, daß dies aber
immer gerade von daher verhindert wurde, von wo man es am wenigsten
hätte erwarten sollen. Ob aus Besorgnis, vor einem Conflict mit den auf¬
geregten untern Schichten der Bevölkerung oder, wie auch wohl behauptet wurde,
in der Berechnung, die Straßendemokratie werde sich, wenn man sie noch einige
Zeit gewähren ließe, zuletzt vor allen Verständigen so compromittiren, daß ein
Einschreiten gegen die ganze Bewegung Letztere nicht mehr gegen sich haben
könnte, wage ich mit Sicherheit nicht zu entscheiden. Doch glaube ich mehr an
jene Befürchtung als an diese Berechnung. Wenn auch später eine Wendung
eintrat, welche auf das Vorhandensein eines bestimmten Plans zur Noth schlie¬
ßen lassen könnte, so wird doch jeder, der die betreffenden Personen genauer
kannte, sich der Meinung zugesellen, daß Alles, was geschehen, lediglich Ergeb¬
niß des natürlich sich abwickelnden Verlaufs der Dinge und nicht Folge eines
"us tiefer Kenntniß solcher Bewegungen hervorgegangenen Plans gewesen ist.
Wenn damals, im Juni und später noch nichts geschah, so war es, weil man
sich eben zu nichts entschließen konnte, weil man zwar leidenschaftlich, aber ohne
Energie war."

Wir glauben, daß der Verfasser dieser Denkwürdigkeiten hier durchaus das
Rechte trifft, und daß das später an höchster Stelle geäußerte Wort, man ,sei
der Einzige gewesen, der zur Zeit der Gefahr den Kopf nicht verloren und der
die Revolution besiegt, auf einem damals schon geschwächten Gedächtniß beruhte
und somit eine unschuldige Selbsttäuschung war. Wenn dann aber ein Minister der


Grundzüge für eine sogenannte parlamentarische Regierung: Zweikammersystem,
absolutes Veto der Krone. Macht der Kammer über das Geld, alleinige Ver¬
waltung der Regierung, volle Herrschaft derselben über das Heer u. s. w. zu
enthalten brauchte, leicht zu Stande zu bringen und, wenn man aus seine so¬
fortige Berathung drang, in den wesentlichen Punkten rasch der Annahme ent¬
gegenzuführen war. Alle Theile, die Versammlung in ihrer Mehrheit, das
Land und der Hof, wären einem solchen Verfahren damals mit mehr oder we¬
niger gutem Willen entgegengekommen. Man fühlte nichts so lebhaft, als den
Wunsch, dem unersprießlicher Provisorium ein baldiges Ende gemacht zu sehen,
und das Ministerium war nach unten hin so populär, nach oben hin trotz seiner
Verhaßtheit bei der Hofpartei noch so mächtig, daß es mit einiger Energie
wohl hätte durchdringen können."

„So aber, als man mit nichts Fertigen hervortrat, als man damit anfing,
die Versammlung sich selbst zu überlassen, mußte geschehen, was in solchen Fäl¬
len immer geschieht: die Strömung der Zeit bemächtigte sich mehr und mehr
der Landesvertretung und drängte sie auf einen Weg, den sie ihrer Majorität
nach anfänglich gar nicht hatte gehen wollen."

„Ich weiß mit Bestimmtheit, daß damals das Ministerium wiederholt den
Willen kundgab, die Truppen wieder nach Berlin zu ziehen, daß dies aber
immer gerade von daher verhindert wurde, von wo man es am wenigsten
hätte erwarten sollen. Ob aus Besorgnis, vor einem Conflict mit den auf¬
geregten untern Schichten der Bevölkerung oder, wie auch wohl behauptet wurde,
in der Berechnung, die Straßendemokratie werde sich, wenn man sie noch einige
Zeit gewähren ließe, zuletzt vor allen Verständigen so compromittiren, daß ein
Einschreiten gegen die ganze Bewegung Letztere nicht mehr gegen sich haben
könnte, wage ich mit Sicherheit nicht zu entscheiden. Doch glaube ich mehr an
jene Befürchtung als an diese Berechnung. Wenn auch später eine Wendung
eintrat, welche auf das Vorhandensein eines bestimmten Plans zur Noth schlie¬
ßen lassen könnte, so wird doch jeder, der die betreffenden Personen genauer
kannte, sich der Meinung zugesellen, daß Alles, was geschehen, lediglich Ergeb¬
niß des natürlich sich abwickelnden Verlaufs der Dinge und nicht Folge eines
«us tiefer Kenntniß solcher Bewegungen hervorgegangenen Plans gewesen ist.
Wenn damals, im Juni und später noch nichts geschah, so war es, weil man
sich eben zu nichts entschließen konnte, weil man zwar leidenschaftlich, aber ohne
Energie war."

Wir glauben, daß der Verfasser dieser Denkwürdigkeiten hier durchaus das
Rechte trifft, und daß das später an höchster Stelle geäußerte Wort, man ,sei
der Einzige gewesen, der zur Zeit der Gefahr den Kopf nicht verloren und der
die Revolution besiegt, auf einem damals schon geschwächten Gedächtniß beruhte
und somit eine unschuldige Selbsttäuschung war. Wenn dann aber ein Minister der


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[0205] Grundzüge für eine sogenannte parlamentarische Regierung: Zweikammersystem, absolutes Veto der Krone. Macht der Kammer über das Geld, alleinige Ver¬ waltung der Regierung, volle Herrschaft derselben über das Heer u. s. w. zu enthalten brauchte, leicht zu Stande zu bringen und, wenn man aus seine so¬ fortige Berathung drang, in den wesentlichen Punkten rasch der Annahme ent¬ gegenzuführen war. Alle Theile, die Versammlung in ihrer Mehrheit, das Land und der Hof, wären einem solchen Verfahren damals mit mehr oder we¬ niger gutem Willen entgegengekommen. Man fühlte nichts so lebhaft, als den Wunsch, dem unersprießlicher Provisorium ein baldiges Ende gemacht zu sehen, und das Ministerium war nach unten hin so populär, nach oben hin trotz seiner Verhaßtheit bei der Hofpartei noch so mächtig, daß es mit einiger Energie wohl hätte durchdringen können." „So aber, als man mit nichts Fertigen hervortrat, als man damit anfing, die Versammlung sich selbst zu überlassen, mußte geschehen, was in solchen Fäl¬ len immer geschieht: die Strömung der Zeit bemächtigte sich mehr und mehr der Landesvertretung und drängte sie auf einen Weg, den sie ihrer Majorität nach anfänglich gar nicht hatte gehen wollen." „Ich weiß mit Bestimmtheit, daß damals das Ministerium wiederholt den Willen kundgab, die Truppen wieder nach Berlin zu ziehen, daß dies aber immer gerade von daher verhindert wurde, von wo man es am wenigsten hätte erwarten sollen. Ob aus Besorgnis, vor einem Conflict mit den auf¬ geregten untern Schichten der Bevölkerung oder, wie auch wohl behauptet wurde, in der Berechnung, die Straßendemokratie werde sich, wenn man sie noch einige Zeit gewähren ließe, zuletzt vor allen Verständigen so compromittiren, daß ein Einschreiten gegen die ganze Bewegung Letztere nicht mehr gegen sich haben könnte, wage ich mit Sicherheit nicht zu entscheiden. Doch glaube ich mehr an jene Befürchtung als an diese Berechnung. Wenn auch später eine Wendung eintrat, welche auf das Vorhandensein eines bestimmten Plans zur Noth schlie¬ ßen lassen könnte, so wird doch jeder, der die betreffenden Personen genauer kannte, sich der Meinung zugesellen, daß Alles, was geschehen, lediglich Ergeb¬ niß des natürlich sich abwickelnden Verlaufs der Dinge und nicht Folge eines «us tiefer Kenntniß solcher Bewegungen hervorgegangenen Plans gewesen ist. Wenn damals, im Juni und später noch nichts geschah, so war es, weil man sich eben zu nichts entschließen konnte, weil man zwar leidenschaftlich, aber ohne Energie war." Wir glauben, daß der Verfasser dieser Denkwürdigkeiten hier durchaus das Rechte trifft, und daß das später an höchster Stelle geäußerte Wort, man ,sei der Einzige gewesen, der zur Zeit der Gefahr den Kopf nicht verloren und der die Revolution besiegt, auf einem damals schon geschwächten Gedächtniß beruhte und somit eine unschuldige Selbsttäuschung war. Wenn dann aber ein Minister der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/205>, abgerufen am 29.05.2024.