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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Absicht, Posen in einen deutschen und einen polnischen Theil zu trennen,
zuließ. Stadt und Festung Posen sollten nach Willisens Plan dem deutschen
Theil zufallen, die Scheidelinie von Sabrina über, Kurnik an die Warthe ge¬
zogen werden. "Als später immer weiter in das Stockpolnische einbiegende
Linien in Vorschlag kamen," sagt das Tagebuch, "blieb ich von den Conferenzen,
die unter Vorsitz des Herrn v. Puttkammer gehalten wurden, fern, indem ich
erklärte, daß mir solche Vorschläge aller Billigkeit zu ermangeln schienen, und
daß es besser sei, statt solcher Löwentheilung die Dinge zu lassen, wie sie
gewesen."

"Man hielt mich noch wochenlang, bis in den Juni hinein, unter aller¬
hand Vorwänden in Berlin fest, was ich mir schon deshalb gefallen ließ, weil
ich so Gelegenheit fand, das wunderlich schwankende Treiben des Ministeriums
Camphausen in der Nähe zu betrachten. Es war die Zeit der widerlichen
Straßenaufläufe, der abgeschmackten Volksversammlungen, der Deputationen
und Petitionen aller Art, von denen eine immer thörichter und unsinniger als
die andere war. Alles nichts als Dünger für die wachsende Reaction!"

"Als in diesen Tagen die nach Graf Arnims Wahlgesetz gewählte National¬
versammlung zusammentrat und ich die Elemente, aus denen das allgemeine
Stimmrecht sie zusammengesetzt hatte, mir näher betrachtete, wurde mir unheim¬
lich zu Muthe. Mit wenigen Ausnahmen keiner darunter, der von der unge¬
heuren Aufgabe der Zeit einen klaren Begriff hatte, die meisten völlig im
Dunkeln über das, was geschaffen werden sollte und konnte, einige mit den
wildesten demokratischen Anschauungen gekommen. Das Ministerium, ebenso
unsicher über den rechten Weg, zwischen der entschiedenen Feindschaft des Hofes
und den rohen Anforderungen der unwissenden Masse ein beklagenswerthes
Dasein fristend. Der ganze Zustand wie ein Rausch in der Dämmerung.
So oft ich Gelegenheit fand, drang ich auf energisches Auftreten. Ich wollte
nicht die Zurückberufung des Prinzen von Preußen, weil ich nicht zugeben
konnte, daß er Vertrieben oder geflohen. Eine einfache Erklärung, es stehe sei¬
ner Rückkehr nichts im Wege als etwa sein eigner Wille, schien mir das Wei¬
seste. Ich wollte ferner, die Truppen der Garnison sollten sobald als irgend
möglich nach Berlin zurückkehren, Um der Ordnung zu dienen und der Bürger¬
wehr ihre Ausgabe zu erleichtern. Vor Allem aber wollte ich, daß das Ministerium
mit einem fertigen Verfassungsentwurf vor die Nationalversammlung trete, um
den bedenklichen Zustand, in dem gar nichts Bestimmtes existirte, abzukürzen und
den großen Fehler, der mit der Berufung einer so monströsen Versammlung
begangen worden, so viel als thunlich wieder gut zu machen. Kein Zweifel, daß
schon im Juni alle Truppen friedlich wieder einziehen konnten, wie es mit
dem 24. Infanterie- und dem 3. Ulanenregiment geschah, und ebenso sicher ist.
daß ein Verfassungsentwurf, der ja nur die ziemlich allgemein anerkannten


Absicht, Posen in einen deutschen und einen polnischen Theil zu trennen,
zuließ. Stadt und Festung Posen sollten nach Willisens Plan dem deutschen
Theil zufallen, die Scheidelinie von Sabrina über, Kurnik an die Warthe ge¬
zogen werden. „Als später immer weiter in das Stockpolnische einbiegende
Linien in Vorschlag kamen," sagt das Tagebuch, „blieb ich von den Conferenzen,
die unter Vorsitz des Herrn v. Puttkammer gehalten wurden, fern, indem ich
erklärte, daß mir solche Vorschläge aller Billigkeit zu ermangeln schienen, und
daß es besser sei, statt solcher Löwentheilung die Dinge zu lassen, wie sie
gewesen."

„Man hielt mich noch wochenlang, bis in den Juni hinein, unter aller¬
hand Vorwänden in Berlin fest, was ich mir schon deshalb gefallen ließ, weil
ich so Gelegenheit fand, das wunderlich schwankende Treiben des Ministeriums
Camphausen in der Nähe zu betrachten. Es war die Zeit der widerlichen
Straßenaufläufe, der abgeschmackten Volksversammlungen, der Deputationen
und Petitionen aller Art, von denen eine immer thörichter und unsinniger als
die andere war. Alles nichts als Dünger für die wachsende Reaction!"

„Als in diesen Tagen die nach Graf Arnims Wahlgesetz gewählte National¬
versammlung zusammentrat und ich die Elemente, aus denen das allgemeine
Stimmrecht sie zusammengesetzt hatte, mir näher betrachtete, wurde mir unheim¬
lich zu Muthe. Mit wenigen Ausnahmen keiner darunter, der von der unge¬
heuren Aufgabe der Zeit einen klaren Begriff hatte, die meisten völlig im
Dunkeln über das, was geschaffen werden sollte und konnte, einige mit den
wildesten demokratischen Anschauungen gekommen. Das Ministerium, ebenso
unsicher über den rechten Weg, zwischen der entschiedenen Feindschaft des Hofes
und den rohen Anforderungen der unwissenden Masse ein beklagenswerthes
Dasein fristend. Der ganze Zustand wie ein Rausch in der Dämmerung.
So oft ich Gelegenheit fand, drang ich auf energisches Auftreten. Ich wollte
nicht die Zurückberufung des Prinzen von Preußen, weil ich nicht zugeben
konnte, daß er Vertrieben oder geflohen. Eine einfache Erklärung, es stehe sei¬
ner Rückkehr nichts im Wege als etwa sein eigner Wille, schien mir das Wei¬
seste. Ich wollte ferner, die Truppen der Garnison sollten sobald als irgend
möglich nach Berlin zurückkehren, Um der Ordnung zu dienen und der Bürger¬
wehr ihre Ausgabe zu erleichtern. Vor Allem aber wollte ich, daß das Ministerium
mit einem fertigen Verfassungsentwurf vor die Nationalversammlung trete, um
den bedenklichen Zustand, in dem gar nichts Bestimmtes existirte, abzukürzen und
den großen Fehler, der mit der Berufung einer so monströsen Versammlung
begangen worden, so viel als thunlich wieder gut zu machen. Kein Zweifel, daß
schon im Juni alle Truppen friedlich wieder einziehen konnten, wie es mit
dem 24. Infanterie- und dem 3. Ulanenregiment geschah, und ebenso sicher ist.
daß ein Verfassungsentwurf, der ja nur die ziemlich allgemein anerkannten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/204>, abgerufen am 09.06.2024.