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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Dinge wieder heimziehen ließ und schließlich ihre Ablehnungsnote absandte,
allerdings, wenn sie auch formell nicht dazu berechtigt war, auf die allgemeine
Stimme des Landes stützen. Sie hätte sich vergeblich im Lande nach irgend
einem Anhaltspunkte umgesehen, wenn sie dem Beitritt zum Vertrag geneigt
gewesen wäre. Nur für die ungezwungene Sprache, in welche Herr v. Hügel
die Ablehnung kleidete, trug dieser allein die Verantwortung, und die franzö¬
sischen Blätter raubten dem Versasser ein ihm allein gehöriges Verdienst, wenn
sie die Note jener "rauhen Ursprünglichkeit" zuschreiben wollten, welche nach
ihrer Meinung den schwäbischen Stamm unter seinen Brüdern besonders aus¬
zeichne.

Aber während man sich so in den vier Pfählen der engeren Heimath in
dem patriotischen Bewußtsein gefiel, durch Ablehnung des "Franzosenvertrags"
ein großes Unheil vom deutschen Vaterland abgewendet zu haben, kam aus
den übrigen Vaterländern eine Kunde um die andere, welche denn doch all-
mälig stutzig machen und den dicken Panzer der Selbstgerechtigkeit einigermaßen
erschüttern mußte. Es erfolgte die fast einstimmige Annahme im preußischen
Abgeordnetenhaus, vor dessen politischer Haltung man im Uebrigen ganz be¬
sonderen Respect hatte, die Zustimmung des Herrn v. Beust. der "sicher nicht
aus Freundschaft für Preußen dessen Schritte billigte, die der Abgeordnetenkammer
des sächsischen Landes, dessen Jndustrieverhältnisse am meisten Aehnlichkeit mit
den eigenen hatten. Die Meinungsäußerungen aus ganz Nord- und Mittel¬
deutschland, aus dem benachbarten Baden konnten nicht ohne Wirkung bleiben;
mit einiger Beschämung ward man gewahr, daß man mit -- Bayern allein stand,
daß zu zwei Dritteln sich der Zollverein bereits für den Vertrag erklärt hatte,
und daß wo andere Regierungen ablehnten, dies nur aus politischen Gründen
geschah. Aber auch die betheiligten Industriellen schienen zur größten Ver¬
wunderung im übrigen Deutschland ganz anders zu denken. Erklärten doch die
Spinner zu Chemnitz am 26. Mai, daß sie sich durch Schutzzölle nicht in Un-
thätigkeit wiegen lassen wollten, und am folgenden Tag fand jene kolossale
Niederlage des Herrn v. Kerstorf zu Frankfurt a. M. statt, wo aus den ein¬
zelnen scbutzzöllnerischen Branchen-Congressen das große Facit gezogen und der
Hauptschlag gegen den Handelsvertrag geführt werden sollte, ein Schlag, der
bekanntlich empfindlich auf das Haupt der Schutzzöllner zurückfiel.

Jetzt machte Herr von Kerstorf seinen letzten Versuch, indem er die Agi¬
tation, die auf dem Boden des Zollvereins gescheitert war, nach Oestreich ver¬
pflanzte, wo sie vom Grafen Rechberg dankbar acceptirt und in die Hand ge¬
nommen wurde. Auf Grundlage einer Denkschrift, welche Herr v. Kerstorf
dem Grafen Rechbcrg eingereicht hatte, erklärte dieser in der Note vom 10. Juli,
gestützt auf das aus dem Februarvertrag hergeleitete Recht, den Willen Oest¬
reichs, in den Zollverein einzutreten. Damit war die letzte Karte ausgespielt.


Dinge wieder heimziehen ließ und schließlich ihre Ablehnungsnote absandte,
allerdings, wenn sie auch formell nicht dazu berechtigt war, auf die allgemeine
Stimme des Landes stützen. Sie hätte sich vergeblich im Lande nach irgend
einem Anhaltspunkte umgesehen, wenn sie dem Beitritt zum Vertrag geneigt
gewesen wäre. Nur für die ungezwungene Sprache, in welche Herr v. Hügel
die Ablehnung kleidete, trug dieser allein die Verantwortung, und die franzö¬
sischen Blätter raubten dem Versasser ein ihm allein gehöriges Verdienst, wenn
sie die Note jener „rauhen Ursprünglichkeit" zuschreiben wollten, welche nach
ihrer Meinung den schwäbischen Stamm unter seinen Brüdern besonders aus¬
zeichne.

Aber während man sich so in den vier Pfählen der engeren Heimath in
dem patriotischen Bewußtsein gefiel, durch Ablehnung des „Franzosenvertrags"
ein großes Unheil vom deutschen Vaterland abgewendet zu haben, kam aus
den übrigen Vaterländern eine Kunde um die andere, welche denn doch all-
mälig stutzig machen und den dicken Panzer der Selbstgerechtigkeit einigermaßen
erschüttern mußte. Es erfolgte die fast einstimmige Annahme im preußischen
Abgeordnetenhaus, vor dessen politischer Haltung man im Uebrigen ganz be¬
sonderen Respect hatte, die Zustimmung des Herrn v. Beust. der „sicher nicht
aus Freundschaft für Preußen dessen Schritte billigte, die der Abgeordnetenkammer
des sächsischen Landes, dessen Jndustrieverhältnisse am meisten Aehnlichkeit mit
den eigenen hatten. Die Meinungsäußerungen aus ganz Nord- und Mittel¬
deutschland, aus dem benachbarten Baden konnten nicht ohne Wirkung bleiben;
mit einiger Beschämung ward man gewahr, daß man mit — Bayern allein stand,
daß zu zwei Dritteln sich der Zollverein bereits für den Vertrag erklärt hatte,
und daß wo andere Regierungen ablehnten, dies nur aus politischen Gründen
geschah. Aber auch die betheiligten Industriellen schienen zur größten Ver¬
wunderung im übrigen Deutschland ganz anders zu denken. Erklärten doch die
Spinner zu Chemnitz am 26. Mai, daß sie sich durch Schutzzölle nicht in Un-
thätigkeit wiegen lassen wollten, und am folgenden Tag fand jene kolossale
Niederlage des Herrn v. Kerstorf zu Frankfurt a. M. statt, wo aus den ein¬
zelnen scbutzzöllnerischen Branchen-Congressen das große Facit gezogen und der
Hauptschlag gegen den Handelsvertrag geführt werden sollte, ein Schlag, der
bekanntlich empfindlich auf das Haupt der Schutzzöllner zurückfiel.

Jetzt machte Herr von Kerstorf seinen letzten Versuch, indem er die Agi¬
tation, die auf dem Boden des Zollvereins gescheitert war, nach Oestreich ver¬
pflanzte, wo sie vom Grafen Rechberg dankbar acceptirt und in die Hand ge¬
nommen wurde. Auf Grundlage einer Denkschrift, welche Herr v. Kerstorf
dem Grafen Rechbcrg eingereicht hatte, erklärte dieser in der Note vom 10. Juli,
gestützt auf das aus dem Februarvertrag hergeleitete Recht, den Willen Oest¬
reichs, in den Zollverein einzutreten. Damit war die letzte Karte ausgespielt.


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[0213] Dinge wieder heimziehen ließ und schließlich ihre Ablehnungsnote absandte, allerdings, wenn sie auch formell nicht dazu berechtigt war, auf die allgemeine Stimme des Landes stützen. Sie hätte sich vergeblich im Lande nach irgend einem Anhaltspunkte umgesehen, wenn sie dem Beitritt zum Vertrag geneigt gewesen wäre. Nur für die ungezwungene Sprache, in welche Herr v. Hügel die Ablehnung kleidete, trug dieser allein die Verantwortung, und die franzö¬ sischen Blätter raubten dem Versasser ein ihm allein gehöriges Verdienst, wenn sie die Note jener „rauhen Ursprünglichkeit" zuschreiben wollten, welche nach ihrer Meinung den schwäbischen Stamm unter seinen Brüdern besonders aus¬ zeichne. Aber während man sich so in den vier Pfählen der engeren Heimath in dem patriotischen Bewußtsein gefiel, durch Ablehnung des „Franzosenvertrags" ein großes Unheil vom deutschen Vaterland abgewendet zu haben, kam aus den übrigen Vaterländern eine Kunde um die andere, welche denn doch all- mälig stutzig machen und den dicken Panzer der Selbstgerechtigkeit einigermaßen erschüttern mußte. Es erfolgte die fast einstimmige Annahme im preußischen Abgeordnetenhaus, vor dessen politischer Haltung man im Uebrigen ganz be¬ sonderen Respect hatte, die Zustimmung des Herrn v. Beust. der „sicher nicht aus Freundschaft für Preußen dessen Schritte billigte, die der Abgeordnetenkammer des sächsischen Landes, dessen Jndustrieverhältnisse am meisten Aehnlichkeit mit den eigenen hatten. Die Meinungsäußerungen aus ganz Nord- und Mittel¬ deutschland, aus dem benachbarten Baden konnten nicht ohne Wirkung bleiben; mit einiger Beschämung ward man gewahr, daß man mit — Bayern allein stand, daß zu zwei Dritteln sich der Zollverein bereits für den Vertrag erklärt hatte, und daß wo andere Regierungen ablehnten, dies nur aus politischen Gründen geschah. Aber auch die betheiligten Industriellen schienen zur größten Ver¬ wunderung im übrigen Deutschland ganz anders zu denken. Erklärten doch die Spinner zu Chemnitz am 26. Mai, daß sie sich durch Schutzzölle nicht in Un- thätigkeit wiegen lassen wollten, und am folgenden Tag fand jene kolossale Niederlage des Herrn v. Kerstorf zu Frankfurt a. M. statt, wo aus den ein¬ zelnen scbutzzöllnerischen Branchen-Congressen das große Facit gezogen und der Hauptschlag gegen den Handelsvertrag geführt werden sollte, ein Schlag, der bekanntlich empfindlich auf das Haupt der Schutzzöllner zurückfiel. Jetzt machte Herr von Kerstorf seinen letzten Versuch, indem er die Agi¬ tation, die auf dem Boden des Zollvereins gescheitert war, nach Oestreich ver¬ pflanzte, wo sie vom Grafen Rechberg dankbar acceptirt und in die Hand ge¬ nommen wurde. Auf Grundlage einer Denkschrift, welche Herr v. Kerstorf dem Grafen Rechbcrg eingereicht hatte, erklärte dieser in der Note vom 10. Juli, gestützt auf das aus dem Februarvertrag hergeleitete Recht, den Willen Oest¬ reichs, in den Zollverein einzutreten. Damit war die letzte Karte ausgespielt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/213>, abgerufen am 30.05.2024.