Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Obwohl die politische Absicht dieses nur auf die Vereitelung des Handelsvertrags
gerichteten Schrittes auf der Hand lag -- denn noch in den Noten vom 15. Sept.
v, I. und vom 7. Mai d. I. hatte Graf Rechberg am Schutzzollsystem festgehalten
und erklärt, daß der völligen Einigung Oestreichs mit dem Zollverein unübersteig-
liche Hindernisse im Wege stehen -- obwohl also das Mittel ein völlig verzweifeltes
war. so war es doch gerade auf die süddeutschen Bevölkerungen vortrefflich berechnet.
Es traf hier auf ein Publicum, in welchem die großdeutsche Phrase nie ihre
Wirkung ganz verfehlen wird, und hier, wo die Alternative lautete: Vertrag mit
Frankreich oder Zolleinigung mit Oestreich, also ein Abkommen mit dem Erb¬
feind oder enger Anschluß an den Bruderstamm, da schien kein Zweifel mehr
möglich zu sein. Aber damit hatte die gegen den Handelsvertrag gerichtete
Bewegung auel ihren Höhepunkt erreicht. Gerade die mit Händen zu greifende
Einmischung politischer Motive, welche bei den Einen verfing. ^mußte Andere
um so vorsichtiger machen. Die Aufnahme, die der Vertrag im übrigen Deutsch¬
land gesunden, veranlaßte, sich doch genauer den Wortlaut der Bestimmungen
anzusehen und ihre Tragweite unbefangener zu prüfen. Es galt bald nicht mehr
für so unbedingt ketzerisch, wenn man schüchtern einiges Vortheilhaste am Handels¬
vertrag hervorhob, wenn man auf die in Aussicht stehende Erweiterung des
Absatzgebiets hinwies, oder sich einige bescheidene Einwendungen gegen die
Zolleinigung mit Oestreich erlaubte, an die Valutaverhältnisse, an das Tabaks¬
monopol im Kaiserstaate erinnerte und z. B. die Vermuthung aussprach, daß
für unsere inländische Weinvroduction die östreichische Concurrenz leicht gefähr¬
licher sein könnte, als die französische. Solche, die bisher sich in vorsichtiges
Schweigen gehüllt, wagten es allmälig, sich als gemäßigte Freunde des Ver¬
trags zu bekennen, noch nicht öffentlich, aber im Freundeskreise; man wich
einer Discussion nicht mehr so ängstlich aus. Ja man erfuhr jetzt, daß ganz
in der Stille eine Reihe von politischen Autoritäten des Landes, und namentlich
die Führer der Fortschrittspartei, ihr Urtheil zu Gunsten des Vertrags sich ge¬
bildet hatten. Gustav Müller, der Verfasser des Minoritätsgutachtens der
Stuttgarter Handelskammer, stand nicht mehr so verlassen mit seinen heterodoxen
Gesinnungen, die er zuerst öffentlich auszusprechen gewagt. Ja es verlautete,
daß auch ein hervorragender und in solchen Fragen vorzugsweise competenter
Regierungsbeamter, >der Director der Centralstelle für Handel und Gewerbe,
Dr. Steinbeis, ob er gleich vorsichtig sich fast die ganze Zeit über in London
hielt, gleichwohl seine Meinung entschieden zu Gunsten des Vertrags abgegeben
habe, nicht blos persönlich, sondern auch in dem Gutachten, zu welchem sein
Bureau von der Regierung aufgefordert worden war. Endlich aber begann
auch in der Presse eine Discussion, welche -- spät genug -- auch die andere
Auffassung zum Wort kommen ließ und zu einer unbefangenen Würdigung der
ganzen Streitfrage beitrug. Ohnedies hatte seit den ernsten preußischen Noten,


Obwohl die politische Absicht dieses nur auf die Vereitelung des Handelsvertrags
gerichteten Schrittes auf der Hand lag — denn noch in den Noten vom 15. Sept.
v, I. und vom 7. Mai d. I. hatte Graf Rechberg am Schutzzollsystem festgehalten
und erklärt, daß der völligen Einigung Oestreichs mit dem Zollverein unübersteig-
liche Hindernisse im Wege stehen — obwohl also das Mittel ein völlig verzweifeltes
war. so war es doch gerade auf die süddeutschen Bevölkerungen vortrefflich berechnet.
Es traf hier auf ein Publicum, in welchem die großdeutsche Phrase nie ihre
Wirkung ganz verfehlen wird, und hier, wo die Alternative lautete: Vertrag mit
Frankreich oder Zolleinigung mit Oestreich, also ein Abkommen mit dem Erb¬
feind oder enger Anschluß an den Bruderstamm, da schien kein Zweifel mehr
möglich zu sein. Aber damit hatte die gegen den Handelsvertrag gerichtete
Bewegung auel ihren Höhepunkt erreicht. Gerade die mit Händen zu greifende
Einmischung politischer Motive, welche bei den Einen verfing. ^mußte Andere
um so vorsichtiger machen. Die Aufnahme, die der Vertrag im übrigen Deutsch¬
land gesunden, veranlaßte, sich doch genauer den Wortlaut der Bestimmungen
anzusehen und ihre Tragweite unbefangener zu prüfen. Es galt bald nicht mehr
für so unbedingt ketzerisch, wenn man schüchtern einiges Vortheilhaste am Handels¬
vertrag hervorhob, wenn man auf die in Aussicht stehende Erweiterung des
Absatzgebiets hinwies, oder sich einige bescheidene Einwendungen gegen die
Zolleinigung mit Oestreich erlaubte, an die Valutaverhältnisse, an das Tabaks¬
monopol im Kaiserstaate erinnerte und z. B. die Vermuthung aussprach, daß
für unsere inländische Weinvroduction die östreichische Concurrenz leicht gefähr¬
licher sein könnte, als die französische. Solche, die bisher sich in vorsichtiges
Schweigen gehüllt, wagten es allmälig, sich als gemäßigte Freunde des Ver¬
trags zu bekennen, noch nicht öffentlich, aber im Freundeskreise; man wich
einer Discussion nicht mehr so ängstlich aus. Ja man erfuhr jetzt, daß ganz
in der Stille eine Reihe von politischen Autoritäten des Landes, und namentlich
die Führer der Fortschrittspartei, ihr Urtheil zu Gunsten des Vertrags sich ge¬
bildet hatten. Gustav Müller, der Verfasser des Minoritätsgutachtens der
Stuttgarter Handelskammer, stand nicht mehr so verlassen mit seinen heterodoxen
Gesinnungen, die er zuerst öffentlich auszusprechen gewagt. Ja es verlautete,
daß auch ein hervorragender und in solchen Fragen vorzugsweise competenter
Regierungsbeamter, >der Director der Centralstelle für Handel und Gewerbe,
Dr. Steinbeis, ob er gleich vorsichtig sich fast die ganze Zeit über in London
hielt, gleichwohl seine Meinung entschieden zu Gunsten des Vertrags abgegeben
habe, nicht blos persönlich, sondern auch in dem Gutachten, zu welchem sein
Bureau von der Regierung aufgefordert worden war. Endlich aber begann
auch in der Presse eine Discussion, welche — spät genug — auch die andere
Auffassung zum Wort kommen ließ und zu einer unbefangenen Würdigung der
ganzen Streitfrage beitrug. Ohnedies hatte seit den ernsten preußischen Noten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115066"/>
          <p xml:id="ID_660" prev="#ID_659" next="#ID_661"> Obwohl die politische Absicht dieses nur auf die Vereitelung des Handelsvertrags<lb/>
gerichteten Schrittes auf der Hand lag &#x2014; denn noch in den Noten vom 15. Sept.<lb/>
v, I. und vom 7. Mai d. I. hatte Graf Rechberg am Schutzzollsystem festgehalten<lb/>
und erklärt, daß der völligen Einigung Oestreichs mit dem Zollverein unübersteig-<lb/>
liche Hindernisse im Wege stehen &#x2014; obwohl also das Mittel ein völlig verzweifeltes<lb/>
war. so war es doch gerade auf die süddeutschen Bevölkerungen vortrefflich berechnet.<lb/>
Es traf hier auf ein Publicum, in welchem die großdeutsche Phrase nie ihre<lb/>
Wirkung ganz verfehlen wird, und hier, wo die Alternative lautete: Vertrag mit<lb/>
Frankreich oder Zolleinigung mit Oestreich, also ein Abkommen mit dem Erb¬<lb/>
feind oder enger Anschluß an den Bruderstamm, da schien kein Zweifel mehr<lb/>
möglich zu sein. Aber damit hatte die gegen den Handelsvertrag gerichtete<lb/>
Bewegung auel ihren Höhepunkt erreicht. Gerade die mit Händen zu greifende<lb/>
Einmischung politischer Motive, welche bei den Einen verfing. ^mußte Andere<lb/>
um so vorsichtiger machen. Die Aufnahme, die der Vertrag im übrigen Deutsch¬<lb/>
land gesunden, veranlaßte, sich doch genauer den Wortlaut der Bestimmungen<lb/>
anzusehen und ihre Tragweite unbefangener zu prüfen. Es galt bald nicht mehr<lb/>
für so unbedingt ketzerisch, wenn man schüchtern einiges Vortheilhaste am Handels¬<lb/>
vertrag hervorhob, wenn man auf die in Aussicht stehende Erweiterung des<lb/>
Absatzgebiets hinwies, oder sich einige bescheidene Einwendungen gegen die<lb/>
Zolleinigung mit Oestreich erlaubte, an die Valutaverhältnisse, an das Tabaks¬<lb/>
monopol im Kaiserstaate erinnerte und z. B. die Vermuthung aussprach, daß<lb/>
für unsere inländische Weinvroduction die östreichische Concurrenz leicht gefähr¬<lb/>
licher sein könnte, als die französische. Solche, die bisher sich in vorsichtiges<lb/>
Schweigen gehüllt, wagten es allmälig, sich als gemäßigte Freunde des Ver¬<lb/>
trags zu bekennen, noch nicht öffentlich, aber im Freundeskreise; man wich<lb/>
einer Discussion nicht mehr so ängstlich aus. Ja man erfuhr jetzt, daß ganz<lb/>
in der Stille eine Reihe von politischen Autoritäten des Landes, und namentlich<lb/>
die Führer der Fortschrittspartei, ihr Urtheil zu Gunsten des Vertrags sich ge¬<lb/>
bildet hatten. Gustav Müller, der Verfasser des Minoritätsgutachtens der<lb/>
Stuttgarter Handelskammer, stand nicht mehr so verlassen mit seinen heterodoxen<lb/>
Gesinnungen, die er zuerst öffentlich auszusprechen gewagt. Ja es verlautete,<lb/>
daß auch ein hervorragender und in solchen Fragen vorzugsweise competenter<lb/>
Regierungsbeamter, &gt;der Director der Centralstelle für Handel und Gewerbe,<lb/>
Dr. Steinbeis, ob er gleich vorsichtig sich fast die ganze Zeit über in London<lb/>
hielt, gleichwohl seine Meinung entschieden zu Gunsten des Vertrags abgegeben<lb/>
habe, nicht blos persönlich, sondern auch in dem Gutachten, zu welchem sein<lb/>
Bureau von der Regierung aufgefordert worden war. Endlich aber begann<lb/>
auch in der Presse eine Discussion, welche &#x2014; spät genug &#x2014; auch die andere<lb/>
Auffassung zum Wort kommen ließ und zu einer unbefangenen Würdigung der<lb/>
ganzen Streitfrage beitrug. Ohnedies hatte seit den ernsten preußischen Noten,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] Obwohl die politische Absicht dieses nur auf die Vereitelung des Handelsvertrags gerichteten Schrittes auf der Hand lag — denn noch in den Noten vom 15. Sept. v, I. und vom 7. Mai d. I. hatte Graf Rechberg am Schutzzollsystem festgehalten und erklärt, daß der völligen Einigung Oestreichs mit dem Zollverein unübersteig- liche Hindernisse im Wege stehen — obwohl also das Mittel ein völlig verzweifeltes war. so war es doch gerade auf die süddeutschen Bevölkerungen vortrefflich berechnet. Es traf hier auf ein Publicum, in welchem die großdeutsche Phrase nie ihre Wirkung ganz verfehlen wird, und hier, wo die Alternative lautete: Vertrag mit Frankreich oder Zolleinigung mit Oestreich, also ein Abkommen mit dem Erb¬ feind oder enger Anschluß an den Bruderstamm, da schien kein Zweifel mehr möglich zu sein. Aber damit hatte die gegen den Handelsvertrag gerichtete Bewegung auel ihren Höhepunkt erreicht. Gerade die mit Händen zu greifende Einmischung politischer Motive, welche bei den Einen verfing. ^mußte Andere um so vorsichtiger machen. Die Aufnahme, die der Vertrag im übrigen Deutsch¬ land gesunden, veranlaßte, sich doch genauer den Wortlaut der Bestimmungen anzusehen und ihre Tragweite unbefangener zu prüfen. Es galt bald nicht mehr für so unbedingt ketzerisch, wenn man schüchtern einiges Vortheilhaste am Handels¬ vertrag hervorhob, wenn man auf die in Aussicht stehende Erweiterung des Absatzgebiets hinwies, oder sich einige bescheidene Einwendungen gegen die Zolleinigung mit Oestreich erlaubte, an die Valutaverhältnisse, an das Tabaks¬ monopol im Kaiserstaate erinnerte und z. B. die Vermuthung aussprach, daß für unsere inländische Weinvroduction die östreichische Concurrenz leicht gefähr¬ licher sein könnte, als die französische. Solche, die bisher sich in vorsichtiges Schweigen gehüllt, wagten es allmälig, sich als gemäßigte Freunde des Ver¬ trags zu bekennen, noch nicht öffentlich, aber im Freundeskreise; man wich einer Discussion nicht mehr so ängstlich aus. Ja man erfuhr jetzt, daß ganz in der Stille eine Reihe von politischen Autoritäten des Landes, und namentlich die Führer der Fortschrittspartei, ihr Urtheil zu Gunsten des Vertrags sich ge¬ bildet hatten. Gustav Müller, der Verfasser des Minoritätsgutachtens der Stuttgarter Handelskammer, stand nicht mehr so verlassen mit seinen heterodoxen Gesinnungen, die er zuerst öffentlich auszusprechen gewagt. Ja es verlautete, daß auch ein hervorragender und in solchen Fragen vorzugsweise competenter Regierungsbeamter, >der Director der Centralstelle für Handel und Gewerbe, Dr. Steinbeis, ob er gleich vorsichtig sich fast die ganze Zeit über in London hielt, gleichwohl seine Meinung entschieden zu Gunsten des Vertrags abgegeben habe, nicht blos persönlich, sondern auch in dem Gutachten, zu welchem sein Bureau von der Regierung aufgefordert worden war. Endlich aber begann auch in der Presse eine Discussion, welche — spät genug — auch die andere Auffassung zum Wort kommen ließ und zu einer unbefangenen Würdigung der ganzen Streitfrage beitrug. Ohnedies hatte seit den ernsten preußischen Noten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/214>, abgerufen am 30.05.2024.