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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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wenn er dabei attrapirt wird; denn er stiehlt seinem Herrn den Schlaf, durch
welchen er sich zu neuer Arbeit starken soll. Natürlich setzt es auch des Abends
da Hiebe, wo jedem Arbeiter per Tag ein bestimmtes Pensum aufgegeben und
dasselbe nicht zu einer bestimmten Zeit geliefert wird.

Dies sind nicht etwa Leiden, denen der Sklave bei grausamen Herren
unterworfen ist, sondern es ist das ganz gewöhnliche Reglement, welches im
ganzen sklavcnhaltenden Süden anerkannt und ausgeübt wird. Es gibt aller¬
dings gütige Herren; aber diese Güte erstreckt sich nie so weit, daß sie sich dem
oben angeführten Reglement ganz entfremdete, daß sie auf das Verkaufsrecht
verzichtete, daß sie nicht-Eltern von Kindern, den Bruder von der Schwester,
den Gatten von der Gattin trennte, ohne sich des geringsten Unrechts be¬
wußt zu sein. Ist es nun nicht lächerlich, wenn man unter solchen Verhält¬
nissen von der Bildungsunfähigkeit der Raye spricht? muß man sich nicht
wundern über den geringsten Funken von Verstand und Gefühl, der bei einer
solchen Behandlung in jenen unglücklichen Geschöpfen übrig geblieben ist; sollte
man es in unserm Jahrhundert für möglich halten, daß eine Nation für dieses
Unterdrückungssystem, dem alles Menschliche aufs Aeußerste widerstrebt, einen
Kampf auf Leben und Tod kämpft? Sollte man nicht an dem Verstände derer
verzweifeln, welche gar behaupten, daß sich der Sklave unter den bestehenden
Verhältnissen wohl fühlt und sich eher fürchtet, als wünscht, sie zu verbessern?
-- Wer unter ihnen gewesen ist; wer gehört hat, wie sie denen fluchten, die
ihnen ihre Familie entrissen; wer gesehen hat, wie unter der Lebensluft der
Freiheit das Wenige, was die Tyrannei Edles und Gutes in der Brust des Skla¬
ven übrig gelassen, sich zu mächtigen, wenn auch noch sehr unstäten und ungeregel¬
ten Trieben entwickelt, der wird das nicht sagen; der kann nicht unter dem
Vorwand der Inferiorität der Raye das Recht zu ihrer geistigen und körperlichen
Vernichtung beanspruchen. -- Da standen sie in dem matten Schein einer im
Schiffsraume aufgehängten Laterne, die glänzenden schwarzen Gesichter mit den
weißen Augen und Zähnen, und jedes versuchte so gut es konnte seine Ge¬
schichte zu erzählen, deren Wahrheit mir deshalb unverdächtig war, weil ich sie
von Hunderten unter denselben Verhältnissen habe wiederholen hören. -- Schon
im Anfange machte ich darauf aufmerksam, daß der Sklave mit der Freiheit
auch das Bewußtsein der Individualität verloren hat, und ich fand das in den
Erzählungen der "Contrebands" häusig aus eine Weise bestätigt, die trotz des
traurigen Ernstes einen höchst komischen Eindruck machte. -- "Was hast du
gethan bei deinem Herrn?" fragte ich den einen. "I am ox" (ich bin Ochse)
antwortete er mit der größten Naivetät. Erst nach längerem Anschreiben
bekam ich heraus, daß er auf der Plantage ein Gespann Ochsen getrieben
und gewartet hatte. Später wußte ich, woran ich war, wenn mir einer:
"I am con, I g,in cotton oder I am Keinp" antwortete. Sie identificiren


Gmizboten IV. 1862, 2L

wenn er dabei attrapirt wird; denn er stiehlt seinem Herrn den Schlaf, durch
welchen er sich zu neuer Arbeit starken soll. Natürlich setzt es auch des Abends
da Hiebe, wo jedem Arbeiter per Tag ein bestimmtes Pensum aufgegeben und
dasselbe nicht zu einer bestimmten Zeit geliefert wird.

Dies sind nicht etwa Leiden, denen der Sklave bei grausamen Herren
unterworfen ist, sondern es ist das ganz gewöhnliche Reglement, welches im
ganzen sklavcnhaltenden Süden anerkannt und ausgeübt wird. Es gibt aller¬
dings gütige Herren; aber diese Güte erstreckt sich nie so weit, daß sie sich dem
oben angeführten Reglement ganz entfremdete, daß sie auf das Verkaufsrecht
verzichtete, daß sie nicht-Eltern von Kindern, den Bruder von der Schwester,
den Gatten von der Gattin trennte, ohne sich des geringsten Unrechts be¬
wußt zu sein. Ist es nun nicht lächerlich, wenn man unter solchen Verhält¬
nissen von der Bildungsunfähigkeit der Raye spricht? muß man sich nicht
wundern über den geringsten Funken von Verstand und Gefühl, der bei einer
solchen Behandlung in jenen unglücklichen Geschöpfen übrig geblieben ist; sollte
man es in unserm Jahrhundert für möglich halten, daß eine Nation für dieses
Unterdrückungssystem, dem alles Menschliche aufs Aeußerste widerstrebt, einen
Kampf auf Leben und Tod kämpft? Sollte man nicht an dem Verstände derer
verzweifeln, welche gar behaupten, daß sich der Sklave unter den bestehenden
Verhältnissen wohl fühlt und sich eher fürchtet, als wünscht, sie zu verbessern?
— Wer unter ihnen gewesen ist; wer gehört hat, wie sie denen fluchten, die
ihnen ihre Familie entrissen; wer gesehen hat, wie unter der Lebensluft der
Freiheit das Wenige, was die Tyrannei Edles und Gutes in der Brust des Skla¬
ven übrig gelassen, sich zu mächtigen, wenn auch noch sehr unstäten und ungeregel¬
ten Trieben entwickelt, der wird das nicht sagen; der kann nicht unter dem
Vorwand der Inferiorität der Raye das Recht zu ihrer geistigen und körperlichen
Vernichtung beanspruchen. — Da standen sie in dem matten Schein einer im
Schiffsraume aufgehängten Laterne, die glänzenden schwarzen Gesichter mit den
weißen Augen und Zähnen, und jedes versuchte so gut es konnte seine Ge¬
schichte zu erzählen, deren Wahrheit mir deshalb unverdächtig war, weil ich sie
von Hunderten unter denselben Verhältnissen habe wiederholen hören. — Schon
im Anfange machte ich darauf aufmerksam, daß der Sklave mit der Freiheit
auch das Bewußtsein der Individualität verloren hat, und ich fand das in den
Erzählungen der „Contrebands" häusig aus eine Weise bestätigt, die trotz des
traurigen Ernstes einen höchst komischen Eindruck machte. — „Was hast du
gethan bei deinem Herrn?" fragte ich den einen. „I am ox" (ich bin Ochse)
antwortete er mit der größten Naivetät. Erst nach längerem Anschreiben
bekam ich heraus, daß er auf der Plantage ein Gespann Ochsen getrieben
und gewartet hatte. Später wußte ich, woran ich war, wenn mir einer:
„I am con, I g,in cotton oder I am Keinp" antwortete. Sie identificiren


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[0225] wenn er dabei attrapirt wird; denn er stiehlt seinem Herrn den Schlaf, durch welchen er sich zu neuer Arbeit starken soll. Natürlich setzt es auch des Abends da Hiebe, wo jedem Arbeiter per Tag ein bestimmtes Pensum aufgegeben und dasselbe nicht zu einer bestimmten Zeit geliefert wird. Dies sind nicht etwa Leiden, denen der Sklave bei grausamen Herren unterworfen ist, sondern es ist das ganz gewöhnliche Reglement, welches im ganzen sklavcnhaltenden Süden anerkannt und ausgeübt wird. Es gibt aller¬ dings gütige Herren; aber diese Güte erstreckt sich nie so weit, daß sie sich dem oben angeführten Reglement ganz entfremdete, daß sie auf das Verkaufsrecht verzichtete, daß sie nicht-Eltern von Kindern, den Bruder von der Schwester, den Gatten von der Gattin trennte, ohne sich des geringsten Unrechts be¬ wußt zu sein. Ist es nun nicht lächerlich, wenn man unter solchen Verhält¬ nissen von der Bildungsunfähigkeit der Raye spricht? muß man sich nicht wundern über den geringsten Funken von Verstand und Gefühl, der bei einer solchen Behandlung in jenen unglücklichen Geschöpfen übrig geblieben ist; sollte man es in unserm Jahrhundert für möglich halten, daß eine Nation für dieses Unterdrückungssystem, dem alles Menschliche aufs Aeußerste widerstrebt, einen Kampf auf Leben und Tod kämpft? Sollte man nicht an dem Verstände derer verzweifeln, welche gar behaupten, daß sich der Sklave unter den bestehenden Verhältnissen wohl fühlt und sich eher fürchtet, als wünscht, sie zu verbessern? — Wer unter ihnen gewesen ist; wer gehört hat, wie sie denen fluchten, die ihnen ihre Familie entrissen; wer gesehen hat, wie unter der Lebensluft der Freiheit das Wenige, was die Tyrannei Edles und Gutes in der Brust des Skla¬ ven übrig gelassen, sich zu mächtigen, wenn auch noch sehr unstäten und ungeregel¬ ten Trieben entwickelt, der wird das nicht sagen; der kann nicht unter dem Vorwand der Inferiorität der Raye das Recht zu ihrer geistigen und körperlichen Vernichtung beanspruchen. — Da standen sie in dem matten Schein einer im Schiffsraume aufgehängten Laterne, die glänzenden schwarzen Gesichter mit den weißen Augen und Zähnen, und jedes versuchte so gut es konnte seine Ge¬ schichte zu erzählen, deren Wahrheit mir deshalb unverdächtig war, weil ich sie von Hunderten unter denselben Verhältnissen habe wiederholen hören. — Schon im Anfange machte ich darauf aufmerksam, daß der Sklave mit der Freiheit auch das Bewußtsein der Individualität verloren hat, und ich fand das in den Erzählungen der „Contrebands" häusig aus eine Weise bestätigt, die trotz des traurigen Ernstes einen höchst komischen Eindruck machte. — „Was hast du gethan bei deinem Herrn?" fragte ich den einen. „I am ox" (ich bin Ochse) antwortete er mit der größten Naivetät. Erst nach längerem Anschreiben bekam ich heraus, daß er auf der Plantage ein Gespann Ochsen getrieben und gewartet hatte. Später wußte ich, woran ich war, wenn mir einer: „I am con, I g,in cotton oder I am Keinp" antwortete. Sie identificiren Gmizboten IV. 1862, 2L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/225>, abgerufen am 30.05.2024.