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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Aufzeichnungen, "weit weg. mich zunächst von Allem trennen, womit ich bisher
verkehrt, allen Versuchungen entgehen, ein dem öffentlichen Leben, das mich auf
alle Weise anwiderte, irgendeinen andern Antheil zu nehmen, als den gleich-
müthiger historischer Betrachtung."

In Paris arbeitete Willisen täglich mehre Stunden im clvM dö Is,
susri-e, indem er. durch General Pelee dort eingeführt, die Korrespondenz Na¬
poleons in der Absicht studirte. sie zu einer spätern Arbeit zu benutzen. Er
hatte vor. diese Beschäftigung im nächsten Winter fortzusetzen, als sie
plötzlich auf unerwartete Weise unterbrochen wurde. Durch einen Bekannten
wurde ihm eines Tages Schleiden, der Agent der Schleswig-holsteinischen Statt-
Halterschaft vorgestellt; derselbe sagte ihm als angenehmer und unterrichteter
Mann zu. es entspann sich eine Bekanntschaft, man besprach sich wiederholt
über vaterländische Verhältnisse, über Schleswig-Holstein, über dessen Stellung
zur preußischen Politik, über den Wunsch der Schleswig-Holsteiner, sich von
dieser schwächlichen Politik loszumachen, über Bonin, der nicht ohne Schaden
zugleich General der Statthalterschaft und preußischer General sei. Als eins
dieser Gespräche damit endigte, daß Schleiden an Willisen die Anfrage richtete,
ob er nicht geneigt sei, an Bonins Stelle zu treten, wies dieser das anfangs
zurück, sagte aber auf lebhaftes Andringen jenes zuletzt zu, sich die Sache zu über¬
legen und nach einigen Tagen seinen Entschluß mitzutheilen.

Willisen nahm an. "Ich hielt," so heißt es in seinen Denkwürdigkeiten,
"die Versöhnung der Herzogthümer mit dem Königreich nicht nur für nützlich,
sondern auch für leicht, wenn die streitenden Theile ihre gegenseitigen Ansprüche
auf ein billiges Maß beschränkten. Wenn Preußen im Nothfall diese Forde¬
rungen feststellte und deren Annahme auf beiden Seiten mit seiner ganzen Macht
erzwang, so war die Frage gelöst. Welche Forderungen zu machen seien, ergab
sich aus der Natur der Verhältnisse. Der deutsche Staat zerfiel nach Sprache
und Recht in einen deutschen Theil: die Herzogthümer und Lauenburg, und in
einen dänischen. Die Art der Trennung wie der Verbindung dieser beiden
Theile war nach jenen Rücksichten gegeben: Trennung in Verwaltung, Rechts¬
pflege und Gesetzgebung, Heer und Flotte; Gemeinschaft im Herrscherstamm,
so weit das deutsche Erbgesetz es gestattete. Es schien mir unschwer, sich auf
solcher Basis mit den Großmächten zu verständigen, denen es nur um die Er¬
haltung des Gesammtstaats Dänemark zu thun war."

"In solchem Sinn für die im preußischen Interesse so sehr im Vorder¬
grund stehende Aussöhnung mit Dänemark mitzuwirken, wodurch man in den
deutschen Angelegenheiten die Hände erst frei bekommen hätte, schien mir eine
schöne Aufgabe. Die Stellung Preußens in den Herzogtümern und die offne
Gewalt, die es dadurch auf Dänemark übte, war, wie man in Paris leicht
erkannte, das Haupthinderniß einer Verständigung mit den Großmächten, und


Aufzeichnungen, „weit weg. mich zunächst von Allem trennen, womit ich bisher
verkehrt, allen Versuchungen entgehen, ein dem öffentlichen Leben, das mich auf
alle Weise anwiderte, irgendeinen andern Antheil zu nehmen, als den gleich-
müthiger historischer Betrachtung."

In Paris arbeitete Willisen täglich mehre Stunden im clvM dö Is,
susri-e, indem er. durch General Pelee dort eingeführt, die Korrespondenz Na¬
poleons in der Absicht studirte. sie zu einer spätern Arbeit zu benutzen. Er
hatte vor. diese Beschäftigung im nächsten Winter fortzusetzen, als sie
plötzlich auf unerwartete Weise unterbrochen wurde. Durch einen Bekannten
wurde ihm eines Tages Schleiden, der Agent der Schleswig-holsteinischen Statt-
Halterschaft vorgestellt; derselbe sagte ihm als angenehmer und unterrichteter
Mann zu. es entspann sich eine Bekanntschaft, man besprach sich wiederholt
über vaterländische Verhältnisse, über Schleswig-Holstein, über dessen Stellung
zur preußischen Politik, über den Wunsch der Schleswig-Holsteiner, sich von
dieser schwächlichen Politik loszumachen, über Bonin, der nicht ohne Schaden
zugleich General der Statthalterschaft und preußischer General sei. Als eins
dieser Gespräche damit endigte, daß Schleiden an Willisen die Anfrage richtete,
ob er nicht geneigt sei, an Bonins Stelle zu treten, wies dieser das anfangs
zurück, sagte aber auf lebhaftes Andringen jenes zuletzt zu, sich die Sache zu über¬
legen und nach einigen Tagen seinen Entschluß mitzutheilen.

Willisen nahm an. „Ich hielt," so heißt es in seinen Denkwürdigkeiten,
„die Versöhnung der Herzogthümer mit dem Königreich nicht nur für nützlich,
sondern auch für leicht, wenn die streitenden Theile ihre gegenseitigen Ansprüche
auf ein billiges Maß beschränkten. Wenn Preußen im Nothfall diese Forde¬
rungen feststellte und deren Annahme auf beiden Seiten mit seiner ganzen Macht
erzwang, so war die Frage gelöst. Welche Forderungen zu machen seien, ergab
sich aus der Natur der Verhältnisse. Der deutsche Staat zerfiel nach Sprache
und Recht in einen deutschen Theil: die Herzogthümer und Lauenburg, und in
einen dänischen. Die Art der Trennung wie der Verbindung dieser beiden
Theile war nach jenen Rücksichten gegeben: Trennung in Verwaltung, Rechts¬
pflege und Gesetzgebung, Heer und Flotte; Gemeinschaft im Herrscherstamm,
so weit das deutsche Erbgesetz es gestattete. Es schien mir unschwer, sich auf
solcher Basis mit den Großmächten zu verständigen, denen es nur um die Er¬
haltung des Gesammtstaats Dänemark zu thun war."

„In solchem Sinn für die im preußischen Interesse so sehr im Vorder¬
grund stehende Aussöhnung mit Dänemark mitzuwirken, wodurch man in den
deutschen Angelegenheiten die Hände erst frei bekommen hätte, schien mir eine
schöne Aufgabe. Die Stellung Preußens in den Herzogtümern und die offne
Gewalt, die es dadurch auf Dänemark übte, war, wie man in Paris leicht
erkannte, das Haupthinderniß einer Verständigung mit den Großmächten, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/234>, abgerufen am 28.05.2024.