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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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derartige Zuschriften nur vom Ministerium oder aus Schlesien, wo er sein
Dominik habe, annehmen zu können, erhielt er im September eine zweite gleiche
Aufforderung von der Breslauer Regierung, die ihm den Termin zur Rückkehr
später setzte, als er nachher wirklich und freiwillig sich wieder einstellte. "Bei
solcher Behandlung," sagt das Tagebuch, "kann ich unmöglich anders glauben,
als daß man, diplomatisch wenigstens, ganz zufrieden war mit dem, was ich
gethan, und daß Alles, was gegen mich geschah, nur deshalb verfügt wurde,
damit man der fremden Diplomatie gegenüber den Schein wahren könnte, bei
der Sache Schleswig-Holsteins fortan unbetheiligt zu sein."

Die Thätigkeit Willisens für Schleswig-Holstein begann mit der bekannten
Ansprache an die Armee, die er vorher mit Droysen durchging und auf dessen
Rath in mehren Punkten änderte. "Es galt demnächst dem Treiben der Bonin-
schen Partei entgegenzutreten, an die sich in vollster Begriffsverwirrung vor¬
zugsweise die aristokratischen Elemente des Offiziercorps angeschlossen hatten.
Nachdem dies gelungen und das Vertrauen zu der obersten Führung des Heeres
hergestellt war. war vor Allem an Ergänzung der Lücken zu denken, welche
Preußen in die Reihen der Offiziere gerissen. Bonin hatte sein ganzes Haupt¬
quartier mit fortgenommen, ich fand keinen Generalstab, der Chef der Artillerie
verließ die Armee, ebenso der Oberintendant, die meisten Bataillone verloren
ihre Commandeure, es fehlte plötzlich fast die Hälfte des Offiziercorps, und
fast noch schlimmer stand es um das so hochnothwendige Unterofsiziercorps. Die
Lage war so übel, daß ich mich nie entschlossen hätte einzutreten, wenn ich sie
vorher so wie jetzt hätte übersehen können.

Nach allen Seiten hin ließ ich Aufforderungen zur Hülfe und zum Ein¬
tritt in die Armee ergehen. Dieselben blieben auch nicht ohne Erfolg und
würden einen noch bessern gehabt haben, wenn nicht mit Ausnahme der olden¬
burgischen und hanseatischen alle deutschen Regierungen uns Hindernisse in den Weg
gelegt hätten. In der Noth konnte man nicht sehr wählerisch sein, und so
wurden manche Offiziere, die sich meldeten, angenommen, die man besser ab¬
gewiesen hätte. Das Beste, was man erwarb, waren einige hessische, hannö-
versche, oldenburgische, hanseatische und bayersche Offiziere; sie deckten aber kaum
den zehnten Theil des Bedürfnisses. Den effectwen Bestand der Armee fand
ich etwa 12,000 Mann stark, der Rest, welcher beurlaubt, konnte das Ganze
auf ungefähr 18,000 Mann bringen. Auf dem Papier gab es noch eine so¬
genannte Neservebrigade, die aus Leuten bestand, welche schon früher (in der
dänischen Armee) gedient hatten, aber ohne Offiziere und Unteroffiziere waren
und für nicht recht zuverlässig angesehen wurden, was bei der Begeisterung,
welche im ganzen Lande für die Sache, die man ergriffen, herrschen sollte,
wunderbar genug klang."

"Bei dem Bedürfniß einer Verstärkung der Armee verfolgte ich gleich von


derartige Zuschriften nur vom Ministerium oder aus Schlesien, wo er sein
Dominik habe, annehmen zu können, erhielt er im September eine zweite gleiche
Aufforderung von der Breslauer Regierung, die ihm den Termin zur Rückkehr
später setzte, als er nachher wirklich und freiwillig sich wieder einstellte. „Bei
solcher Behandlung," sagt das Tagebuch, „kann ich unmöglich anders glauben,
als daß man, diplomatisch wenigstens, ganz zufrieden war mit dem, was ich
gethan, und daß Alles, was gegen mich geschah, nur deshalb verfügt wurde,
damit man der fremden Diplomatie gegenüber den Schein wahren könnte, bei
der Sache Schleswig-Holsteins fortan unbetheiligt zu sein."

Die Thätigkeit Willisens für Schleswig-Holstein begann mit der bekannten
Ansprache an die Armee, die er vorher mit Droysen durchging und auf dessen
Rath in mehren Punkten änderte. „Es galt demnächst dem Treiben der Bonin-
schen Partei entgegenzutreten, an die sich in vollster Begriffsverwirrung vor¬
zugsweise die aristokratischen Elemente des Offiziercorps angeschlossen hatten.
Nachdem dies gelungen und das Vertrauen zu der obersten Führung des Heeres
hergestellt war. war vor Allem an Ergänzung der Lücken zu denken, welche
Preußen in die Reihen der Offiziere gerissen. Bonin hatte sein ganzes Haupt¬
quartier mit fortgenommen, ich fand keinen Generalstab, der Chef der Artillerie
verließ die Armee, ebenso der Oberintendant, die meisten Bataillone verloren
ihre Commandeure, es fehlte plötzlich fast die Hälfte des Offiziercorps, und
fast noch schlimmer stand es um das so hochnothwendige Unterofsiziercorps. Die
Lage war so übel, daß ich mich nie entschlossen hätte einzutreten, wenn ich sie
vorher so wie jetzt hätte übersehen können.

Nach allen Seiten hin ließ ich Aufforderungen zur Hülfe und zum Ein¬
tritt in die Armee ergehen. Dieselben blieben auch nicht ohne Erfolg und
würden einen noch bessern gehabt haben, wenn nicht mit Ausnahme der olden¬
burgischen und hanseatischen alle deutschen Regierungen uns Hindernisse in den Weg
gelegt hätten. In der Noth konnte man nicht sehr wählerisch sein, und so
wurden manche Offiziere, die sich meldeten, angenommen, die man besser ab¬
gewiesen hätte. Das Beste, was man erwarb, waren einige hessische, hannö-
versche, oldenburgische, hanseatische und bayersche Offiziere; sie deckten aber kaum
den zehnten Theil des Bedürfnisses. Den effectwen Bestand der Armee fand
ich etwa 12,000 Mann stark, der Rest, welcher beurlaubt, konnte das Ganze
auf ungefähr 18,000 Mann bringen. Auf dem Papier gab es noch eine so¬
genannte Neservebrigade, die aus Leuten bestand, welche schon früher (in der
dänischen Armee) gedient hatten, aber ohne Offiziere und Unteroffiziere waren
und für nicht recht zuverlässig angesehen wurden, was bei der Begeisterung,
welche im ganzen Lande für die Sache, die man ergriffen, herrschen sollte,
wunderbar genug klang."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/239>, abgerufen am 29.05.2024.