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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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nicht wenig überrascht, genau dieselben Sachen zu finden, an welchen ich vor
Jahren meine musikalische Wuth ausgelassen hatte, Schulhoffs Mazurken,
Chopin, sogar Kückensche Lieder mit deutschem Texte. Daneben lag Madame
de Staels "Corinne" mit einem Vocabularium, welches nicht gerade geeignet
war. mir eine hohe Meinung von den Sprachkenntnisscn der auf dem Titel¬
blatte bemerkten Besitzerin des Buches, Mary Smith, einzuflößen; ein in der
Eile wahrscheinlich vergessenes Stickkörbchen vollendete das Stillleben, welches
sich in jenen Gegenständen so unverkennbar aussprach. Der Contrast zwischen
dem Wirkungskreise eines jungen Mädchens und den rauhen sonneverbrannten
Gesichtern, welche sich gewaltsam in denselben hineingedrängt hatten, war ein
wirklich schneidender, und wir konnten nicht umhin, diejenige; welche ihrer rei¬
zenden Häuslichkeit auf so unwillkommene Weise entrissen worden, herzlich zu
bedauern, zumal wir sehr geneigt waren, uns die Trägerin jenes Namens als
schön vorzustellen.

Der Eintritt des Generals*) weckte uns aus diesen Betrachtungen und
führte uns wieder in die Wirklichkeit zurück. Er unterhielt sich lange mit uns
in der liebenswürdigsten Weise und schien besonders aufgebracht über die Un-
thätigkeit, zu welcher er, obwohl unmittelbar vor dem Feind, durch Shermans
Zaudern verurtheilt war. Wie alle Offiziere, mit welchen ich zusammen¬
gekommen bin, erkundigte er sich sehr angelegentlich nach der Stimmung in
New-Uork, und ich fand das eben nicht unbegreiflich, vielmehr ganz in der
Ordnung. Es ist unbestritten, daß man die öffentliche Meinung beeinflussen,
ja auf eine Zeit lang gänzlich düpiren kann, und ebenso unbestreitbar, daß dies
zu Mißbräuchen führt, die ich schon im Beginn dieser Skizzen bei Erwähnung
des Lieutenant Brown auseinander zu setzen Gelegenheit hatte; aber nichts desto
weniger ist und bleibt "public: opimon" auf die Dauer das einzige und oberste
Tribunal für die Leistungen öffentlicher Charaktere, und man darf sich daher
nicht wundern, wenn der General fragt, was man in New-Aork. dem großen
Brennpunkte aller Parteien, von ihm sagt, wenn selbst der Soldat zu erfahren
sucht, wie man von seinem Regimente spricht.

Wir konnten leider nicht besonders günstig über die "Stimmung" in



') General Stevens, einer der thatkräftigsten und tüchtigsten Offiziere der nördlichen Armee,
zog im Mai 18K1 als Oberstlieutenant des 79. (Hochländer) Regiments ins Feld. Bei der
ersten Schlacht von Bulls Rum wurde er Oberst, da der Oberst fiel, und bald darauf Brigade¬
general. Er hatte sich in kurzer Zeit die Liebe des Regimentes in solchem Grade erworben,
daß es ihn, als er zur Shermanschen Expedition commandirt wurde, nicht gehen lasse" wollte
und ihm folgte, da es ihn nicht zurückhalten konnte. In Beaufort und bei Port Royal-
Ferry that er gute Dienste, und man glaubte allgemein, daß die Expedition unter seinem
Obercommando viel günstiger ausgefallen sein würde. Leider wurde er in der zweiten Schlacht
bei Bulls Rum. wo er den Rückzug deckte, durch einen Pistolenschuß getödtet.

nicht wenig überrascht, genau dieselben Sachen zu finden, an welchen ich vor
Jahren meine musikalische Wuth ausgelassen hatte, Schulhoffs Mazurken,
Chopin, sogar Kückensche Lieder mit deutschem Texte. Daneben lag Madame
de Staels „Corinne" mit einem Vocabularium, welches nicht gerade geeignet
war. mir eine hohe Meinung von den Sprachkenntnisscn der auf dem Titel¬
blatte bemerkten Besitzerin des Buches, Mary Smith, einzuflößen; ein in der
Eile wahrscheinlich vergessenes Stickkörbchen vollendete das Stillleben, welches
sich in jenen Gegenständen so unverkennbar aussprach. Der Contrast zwischen
dem Wirkungskreise eines jungen Mädchens und den rauhen sonneverbrannten
Gesichtern, welche sich gewaltsam in denselben hineingedrängt hatten, war ein
wirklich schneidender, und wir konnten nicht umhin, diejenige; welche ihrer rei¬
zenden Häuslichkeit auf so unwillkommene Weise entrissen worden, herzlich zu
bedauern, zumal wir sehr geneigt waren, uns die Trägerin jenes Namens als
schön vorzustellen.

Der Eintritt des Generals*) weckte uns aus diesen Betrachtungen und
führte uns wieder in die Wirklichkeit zurück. Er unterhielt sich lange mit uns
in der liebenswürdigsten Weise und schien besonders aufgebracht über die Un-
thätigkeit, zu welcher er, obwohl unmittelbar vor dem Feind, durch Shermans
Zaudern verurtheilt war. Wie alle Offiziere, mit welchen ich zusammen¬
gekommen bin, erkundigte er sich sehr angelegentlich nach der Stimmung in
New-Uork, und ich fand das eben nicht unbegreiflich, vielmehr ganz in der
Ordnung. Es ist unbestritten, daß man die öffentliche Meinung beeinflussen,
ja auf eine Zeit lang gänzlich düpiren kann, und ebenso unbestreitbar, daß dies
zu Mißbräuchen führt, die ich schon im Beginn dieser Skizzen bei Erwähnung
des Lieutenant Brown auseinander zu setzen Gelegenheit hatte; aber nichts desto
weniger ist und bleibt „public: opimon" auf die Dauer das einzige und oberste
Tribunal für die Leistungen öffentlicher Charaktere, und man darf sich daher
nicht wundern, wenn der General fragt, was man in New-Aork. dem großen
Brennpunkte aller Parteien, von ihm sagt, wenn selbst der Soldat zu erfahren
sucht, wie man von seinem Regimente spricht.

Wir konnten leider nicht besonders günstig über die „Stimmung" in



') General Stevens, einer der thatkräftigsten und tüchtigsten Offiziere der nördlichen Armee,
zog im Mai 18K1 als Oberstlieutenant des 79. (Hochländer) Regiments ins Feld. Bei der
ersten Schlacht von Bulls Rum wurde er Oberst, da der Oberst fiel, und bald darauf Brigade¬
general. Er hatte sich in kurzer Zeit die Liebe des Regimentes in solchem Grade erworben,
daß es ihn, als er zur Shermanschen Expedition commandirt wurde, nicht gehen lasse» wollte
und ihm folgte, da es ihn nicht zurückhalten konnte. In Beaufort und bei Port Royal-
Ferry that er gute Dienste, und man glaubte allgemein, daß die Expedition unter seinem
Obercommando viel günstiger ausgefallen sein würde. Leider wurde er in der zweiten Schlacht
bei Bulls Rum. wo er den Rückzug deckte, durch einen Pistolenschuß getödtet.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/270>, abgerufen am 14.05.2024.