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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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New-Uork berichten und verabschiedeten uns, um die Stadt etwas näher ins
Auge zu fassen. Das Nächste, was mir auffiel, war eine Gruppe von Farbigen
mit mehr oder weniger weißem Blut, welche in allen möglichen und unmöglichen
Stellungen auf der Erde herumlagen und sich gemüthlich von der Sonne be-
scheinen ließen. Sie schienen sehr mit ihrer gegenwärtigen Situation zufrieden
zu sein und gaben die unzweideutigsten Beweise jenes passiven Genusses, den
in der alten Welt das ciolee t'-u- nientö des neapolitanischen Lazzaroni re-
präsentirt.

In der Meinung, daß Onkel Sam seinen schwarzen Kindern wohl eine
nützlichere Beschäftigung als die Sonne anzugaffen hätte anweisen können, trat
ich hinzu und fragte, was sie da thäten. -- "Lernen, Sir," antwortete einer
von ihnen mit dem obligaten Grinsen, indem er sich mit dem Oberkörper halb
aufrichtete und dann wie ganz erschöpft von der Anstrengung in seine frühere
Stellung zurücksank. "Was lernst du denn?" -- "Lesen", erwiderte er mit
einem schlauen Blick auf ein schmutziges ABC Buch, welches in einiger Ent¬
fernung von ihm lag. jedenfalls weit genug, um ihn durch seinen Inhalt nicht
zu stören. Ich nahm es auf und begann zu examiniren, indem ich ihn nach
dem Namen der einzelnen Buchstaben fragte. Nur bei sehr wenigen erhielt ich
eine richtige Antwort, und als ich ihn auf das Lückenhafte seiner literarischen
Bildung aufmerksam machte, antwortete er ganz naiv: "dieser hier Nigger nicht
lesen, aber Massa sagen, versuchen."

Es ergab sich denn auf weiteres Befragen, daß dieser "Massa" einer von
den Pietisten war, welche, um ein Gott und ihrem eignen Interesse gefälliges
Werk zu thun, alle Plätze, an denen befreite Sklaven waren, überfluthet hatten
und dieselben unter dem Vorwand ihrer religiösen und geistigen Ausbildung von
der Arbeit zurückhielten. Diese frommen Seelen hatten auf Hilton-Head, in
Beaufort u. a. Plätzen förmliche Institute errichtet, in welchen sie ihre schwar¬
zen Zöglinge zu Andachtsübungen versammelten und mit A B C Büchern und
Tractätchen fütterten. Dabei wurden sie von ihren Anhängern daheim für ihre
gottseliger Leistungen auf höchst liberale Weise unterstützt und ließen sich
im Allgemeinen nichts abgehen. Den Niggern gefiel es natürlich besser, in der
Sonne zu liegen, als in den Schanzen zu arbeiten oder sich anderweitig zu
beschäftigen, und sie zeigten sich in Folge dessen ungemein lernbegierig, während
die Soldaten, welche ohnedies durch den starken und beschwerlichen Vorposten¬
dienst genugsam in Anspruch genommen waren, arbeiten mußten.

Es ist ganz natürlich, daß derjenige, welcher nie für sein eigenes Interesse
gearbeitet hat, sondern seine Kräfte sein ganzes Leben lang dem Dienste eines
Herrn widmen mußte, der ihn nur kümmerlich ernährte und ihn obendrein übel
behandelte, die Arbeit als solche verabscheut. Ich glaube überhaupt, daß nur
wenige Menschen selbst unter den gesundesten Charakteren der Arbeit ihrer


New-Uork berichten und verabschiedeten uns, um die Stadt etwas näher ins
Auge zu fassen. Das Nächste, was mir auffiel, war eine Gruppe von Farbigen
mit mehr oder weniger weißem Blut, welche in allen möglichen und unmöglichen
Stellungen auf der Erde herumlagen und sich gemüthlich von der Sonne be-
scheinen ließen. Sie schienen sehr mit ihrer gegenwärtigen Situation zufrieden
zu sein und gaben die unzweideutigsten Beweise jenes passiven Genusses, den
in der alten Welt das ciolee t'-u- nientö des neapolitanischen Lazzaroni re-
präsentirt.

In der Meinung, daß Onkel Sam seinen schwarzen Kindern wohl eine
nützlichere Beschäftigung als die Sonne anzugaffen hätte anweisen können, trat
ich hinzu und fragte, was sie da thäten. — „Lernen, Sir," antwortete einer
von ihnen mit dem obligaten Grinsen, indem er sich mit dem Oberkörper halb
aufrichtete und dann wie ganz erschöpft von der Anstrengung in seine frühere
Stellung zurücksank. „Was lernst du denn?" — „Lesen", erwiderte er mit
einem schlauen Blick auf ein schmutziges ABC Buch, welches in einiger Ent¬
fernung von ihm lag. jedenfalls weit genug, um ihn durch seinen Inhalt nicht
zu stören. Ich nahm es auf und begann zu examiniren, indem ich ihn nach
dem Namen der einzelnen Buchstaben fragte. Nur bei sehr wenigen erhielt ich
eine richtige Antwort, und als ich ihn auf das Lückenhafte seiner literarischen
Bildung aufmerksam machte, antwortete er ganz naiv: „dieser hier Nigger nicht
lesen, aber Massa sagen, versuchen."

Es ergab sich denn auf weiteres Befragen, daß dieser „Massa" einer von
den Pietisten war, welche, um ein Gott und ihrem eignen Interesse gefälliges
Werk zu thun, alle Plätze, an denen befreite Sklaven waren, überfluthet hatten
und dieselben unter dem Vorwand ihrer religiösen und geistigen Ausbildung von
der Arbeit zurückhielten. Diese frommen Seelen hatten auf Hilton-Head, in
Beaufort u. a. Plätzen förmliche Institute errichtet, in welchen sie ihre schwar¬
zen Zöglinge zu Andachtsübungen versammelten und mit A B C Büchern und
Tractätchen fütterten. Dabei wurden sie von ihren Anhängern daheim für ihre
gottseliger Leistungen auf höchst liberale Weise unterstützt und ließen sich
im Allgemeinen nichts abgehen. Den Niggern gefiel es natürlich besser, in der
Sonne zu liegen, als in den Schanzen zu arbeiten oder sich anderweitig zu
beschäftigen, und sie zeigten sich in Folge dessen ungemein lernbegierig, während
die Soldaten, welche ohnedies durch den starken und beschwerlichen Vorposten¬
dienst genugsam in Anspruch genommen waren, arbeiten mußten.

Es ist ganz natürlich, daß derjenige, welcher nie für sein eigenes Interesse
gearbeitet hat, sondern seine Kräfte sein ganzes Leben lang dem Dienste eines
Herrn widmen mußte, der ihn nur kümmerlich ernährte und ihn obendrein übel
behandelte, die Arbeit als solche verabscheut. Ich glaube überhaupt, daß nur
wenige Menschen selbst unter den gesundesten Charakteren der Arbeit ihrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/271>, abgerufen am 30.05.2024.