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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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habe ihre frühere, so trefflich begründete Stellung zu dem Handelvertragc ver¬
lassen, durch einen Artikel im Dresdener Journal vom 7. Nov. leider seine
Bestätigung erhielt. Die Vier Abgeordneten aus Sachsen bei dem deutschen
Handelstage in München werden durch diesen Artikel nachträglich legitimirt
als die Vertreter der neuesten Auffassung des Hrn. v. Beust, im Gegensatze
zu der frühern richtigen, von beiden Kammern einstimmig sanctionirten Auf¬
fassung, im Widerspruch mit den bleibenden Interessen des Landes.

Der Artikel verwendet die erste, größere Hälfte seines Raumes zu dem
Nachweise, daß der Vertrag nicht ratificirt werden könne, weil Bayern und
Würtemberg ihn abgelehnt haben, daß folglich Sachsen nicht an denselben ge¬
bunden sei. Es bedarf aber keines Aufwandes an Worten und Gründen, um
die einfache Thatsache zu constatiren: 1) daß der Zollverein keinen Vertrag
schließen kann, wenn nicht alle Glieder zustimmen, wenn auch nur die Stimme
des kleinsten fehlt; 2) daß an einen Vertragsentwurf, welcher nicht zum Ab¬
schlüsse gekommen, kein Glied des Zollvereins gebunden ist. -- Wozu also die
vielen Worte? Sollen sie vielleicht weiter keinen Zweck haben, als Staub auf¬
zurühren, um die Schwäche der aus jener einfachen Thatsache abgeleiteten
Folgerungen zu verdecken?

Der Sinn der weitern Argumentation, der einzige, welcher sich aus den
vielen Wendungen herausfinden läßt, ist folgender: Bayern und Würtemberg
haben den Vertrag abgelehnt, folglich müssen auch die übrigen Vereinsglieder,
darunter Sachsen, den Vertrag aufgeben, um den Zollverein zu erhalten, denn --
"wer in Sachsen würde wohl seine Vorliebe für den französischen Handelsvertrag
so weit treiben, um ihm den Zollverein zum Opfer zu bringen?" Ja, wenn die
Sache so läge, dann würde eine Verschiedenheit der Meinungen schwerlich be¬
stehen. Aber so liegt die Sache nicht. Der Artikel sagt, daß Bayern, Würtem¬
berg u. a. den Vertrag abgelehnt haben, aber er verschweigt, daß Preußen ihre
Ablehnung als den Ausdruck des Willens betrachtet, den Zollverein mit Preußen
nicht länger fortzusetzen, daß Preußen für sich den Vertrag mit Frankreich auf¬
recht halten muß und wird. Es ist nicht erlaubt, was der Artikel thut, vom
Zollverein sprechen, als ob nur die Würzburger existirten, als ob Preußen
nicht in der Welt wäre und nicht für sich allein über die Hälfte des Vereins¬
gebiets ausmachte. Man täuscht sich, oder die Leser, oder beide, wenn man
die Frage so stellt, als ob man nur den Vertrag mit Frankreich fallen zu lassen
brauche, um den Zollverein zu erhalten, während doch die Alternative so steht:
will man den Handelsvertrag, als Bedingung der Erhaltung des Zollvereins
mit Preußen, oder will man Bayern und Würtemberg folgen, wenn diese es
etwa vorziehen sollten, sich durch den Austritt aus dem Zollverein zu Grunde
zu richten? --

Um die öffentliche Meinung wo möglich noch gründlicher irre zu leiten,


Grenzboten IV. 18K2. 37

habe ihre frühere, so trefflich begründete Stellung zu dem Handelvertragc ver¬
lassen, durch einen Artikel im Dresdener Journal vom 7. Nov. leider seine
Bestätigung erhielt. Die Vier Abgeordneten aus Sachsen bei dem deutschen
Handelstage in München werden durch diesen Artikel nachträglich legitimirt
als die Vertreter der neuesten Auffassung des Hrn. v. Beust, im Gegensatze
zu der frühern richtigen, von beiden Kammern einstimmig sanctionirten Auf¬
fassung, im Widerspruch mit den bleibenden Interessen des Landes.

Der Artikel verwendet die erste, größere Hälfte seines Raumes zu dem
Nachweise, daß der Vertrag nicht ratificirt werden könne, weil Bayern und
Würtemberg ihn abgelehnt haben, daß folglich Sachsen nicht an denselben ge¬
bunden sei. Es bedarf aber keines Aufwandes an Worten und Gründen, um
die einfache Thatsache zu constatiren: 1) daß der Zollverein keinen Vertrag
schließen kann, wenn nicht alle Glieder zustimmen, wenn auch nur die Stimme
des kleinsten fehlt; 2) daß an einen Vertragsentwurf, welcher nicht zum Ab¬
schlüsse gekommen, kein Glied des Zollvereins gebunden ist. — Wozu also die
vielen Worte? Sollen sie vielleicht weiter keinen Zweck haben, als Staub auf¬
zurühren, um die Schwäche der aus jener einfachen Thatsache abgeleiteten
Folgerungen zu verdecken?

Der Sinn der weitern Argumentation, der einzige, welcher sich aus den
vielen Wendungen herausfinden läßt, ist folgender: Bayern und Würtemberg
haben den Vertrag abgelehnt, folglich müssen auch die übrigen Vereinsglieder,
darunter Sachsen, den Vertrag aufgeben, um den Zollverein zu erhalten, denn —
„wer in Sachsen würde wohl seine Vorliebe für den französischen Handelsvertrag
so weit treiben, um ihm den Zollverein zum Opfer zu bringen?" Ja, wenn die
Sache so läge, dann würde eine Verschiedenheit der Meinungen schwerlich be¬
stehen. Aber so liegt die Sache nicht. Der Artikel sagt, daß Bayern, Würtem¬
berg u. a. den Vertrag abgelehnt haben, aber er verschweigt, daß Preußen ihre
Ablehnung als den Ausdruck des Willens betrachtet, den Zollverein mit Preußen
nicht länger fortzusetzen, daß Preußen für sich den Vertrag mit Frankreich auf¬
recht halten muß und wird. Es ist nicht erlaubt, was der Artikel thut, vom
Zollverein sprechen, als ob nur die Würzburger existirten, als ob Preußen
nicht in der Welt wäre und nicht für sich allein über die Hälfte des Vereins¬
gebiets ausmachte. Man täuscht sich, oder die Leser, oder beide, wenn man
die Frage so stellt, als ob man nur den Vertrag mit Frankreich fallen zu lassen
brauche, um den Zollverein zu erhalten, während doch die Alternative so steht:
will man den Handelsvertrag, als Bedingung der Erhaltung des Zollvereins
mit Preußen, oder will man Bayern und Würtemberg folgen, wenn diese es
etwa vorziehen sollten, sich durch den Austritt aus dem Zollverein zu Grunde
zu richten? —

Um die öffentliche Meinung wo möglich noch gründlicher irre zu leiten,


Grenzboten IV. 18K2. 37
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/297>, abgerufen am 14.05.2024.