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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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durch ihre immer noch drohende Haltung ihn in seinem Widerstande zu bestärken.
In der That zeigte sich bald, daß die Haltung des Pascha nicht der Art war,
um neue Verwicklungen hervorzurufen: schon Ende November unterwarf er sich,
unter der Bedingung, in dem erblichen Besitz Aegyptens zu verbleiben, eine
Bedingung, die nach einigen Weiterungen, bei denen Palmerston und besonders
Pvnsonby eine ziemlich zweideutige Rolle spielten, auf das Drängen der Mächte
vom Sultan zugestanden wurde. Viel dringlicher war die Aufgabe, die Auf¬
regung der Franzosen zu beruhigen, und sehr bald stellte sich heraus, daß
Thiers nicht dazu geeignet war, dies Werk zu vollenden, obschon er selbst offen¬
bar in friedliche Bahnen eingelenkt hatte. Als Thiers die Leitung der An¬
gelegenheiten übernahm, waren die Illusionen in Betreff der ägyptischen Frage
allgemein; jede Partei theilte sie, die Doctrinäre dachten darüber nicht anders wie
die Radicalen. Die Uebereinstimmung dauerte so lange, als man sich in den Hoff¬
nungen auf einen diplomatischen Sieg wiegen konnte. Je mehr die Hoffnung
schwand, auf friedlichem Wege oder durch den natürlichen Verlauf der Begebenheiten
zum Ziele zu gelangen, desto mehr neigten die conservativen Elemente des Landes
zur Nachgiebigkeit hin, desto höher stieg aber die Kriegslust der radicalen Par¬
tei, die unter diesen Umständen alle Aussicht hatte, die Sympathieen in der
Nation auf ihre Seite zu bringen. Dadurch kam nun Thiers in eine überaus
peinliche Lage. Sein Selbstvertrauen und ein gewisser fatalistischer Zug in
seinem Charakter hatte ihn über die Hindernisse, die seiner Politik im Wege
standen, völlig verblendet, in seinen Berechnungen existirten nur günstige Factoren.
In dem Glauben, daß die Verhältnisse für ihn arbeiteten, sah er sich bald
jeder Bewegung beraubt: der Gegner beherrschte das Schachbret vollkommen.
Thiers konnte nur die allerbedeutungslosesten Züge thun, weil jeder andere
Zug ihn Matt gesetzt hätte. Indem er nun das diplomatische Spiel aufgab
und zu Drohungen seine Zuflucht nahm, die mehr scheinbar als wirklich waren,
steigerte er sowohl die Aufregung der Kriegs- wie der Friedensfreunde und
verlor das Vertrauen beider Parteien. Die Radicalen sahen sehr bald, daß es
mit seinen Drohungen nicht Ernst war, und es konnte daher nicht fehlen, daß
seine kriegerischen Maßregeln, besonders der Beschluß, Paris zu befestigen, die
gehässigste Deutung erfuhren. Die Auslegung lag nahe, daß er den ganzen
Kriegslärm nur zu dem Zweck hervorgerufen hatte, um sich die Mittel bewilligen
zu lassen, Frankreich durch Steigerung der militärischen Kräfte im Zaum zu hal¬
ten. Ein conservativer Gewährsmann sagt, man habe die Gelegenheit benutzt,
um einen Halt in die Vertheidigungsanstalten Frankreichs zu bringen. Das
Publicum sah den Feind, gegen den man sich zur Vertheidigung rüstete, nicht
im Auslande, sondern in den liberalen Parteien deS Landes. Das Mißtrauen
war bereits zur herrschenden Stimmung in Frankreich geworden. Die Conser¬
vativen, die sich von Anfang an nur auf Bedingungen mit Thiers vertragen


durch ihre immer noch drohende Haltung ihn in seinem Widerstande zu bestärken.
In der That zeigte sich bald, daß die Haltung des Pascha nicht der Art war,
um neue Verwicklungen hervorzurufen: schon Ende November unterwarf er sich,
unter der Bedingung, in dem erblichen Besitz Aegyptens zu verbleiben, eine
Bedingung, die nach einigen Weiterungen, bei denen Palmerston und besonders
Pvnsonby eine ziemlich zweideutige Rolle spielten, auf das Drängen der Mächte
vom Sultan zugestanden wurde. Viel dringlicher war die Aufgabe, die Auf¬
regung der Franzosen zu beruhigen, und sehr bald stellte sich heraus, daß
Thiers nicht dazu geeignet war, dies Werk zu vollenden, obschon er selbst offen¬
bar in friedliche Bahnen eingelenkt hatte. Als Thiers die Leitung der An¬
gelegenheiten übernahm, waren die Illusionen in Betreff der ägyptischen Frage
allgemein; jede Partei theilte sie, die Doctrinäre dachten darüber nicht anders wie
die Radicalen. Die Uebereinstimmung dauerte so lange, als man sich in den Hoff¬
nungen auf einen diplomatischen Sieg wiegen konnte. Je mehr die Hoffnung
schwand, auf friedlichem Wege oder durch den natürlichen Verlauf der Begebenheiten
zum Ziele zu gelangen, desto mehr neigten die conservativen Elemente des Landes
zur Nachgiebigkeit hin, desto höher stieg aber die Kriegslust der radicalen Par¬
tei, die unter diesen Umständen alle Aussicht hatte, die Sympathieen in der
Nation auf ihre Seite zu bringen. Dadurch kam nun Thiers in eine überaus
peinliche Lage. Sein Selbstvertrauen und ein gewisser fatalistischer Zug in
seinem Charakter hatte ihn über die Hindernisse, die seiner Politik im Wege
standen, völlig verblendet, in seinen Berechnungen existirten nur günstige Factoren.
In dem Glauben, daß die Verhältnisse für ihn arbeiteten, sah er sich bald
jeder Bewegung beraubt: der Gegner beherrschte das Schachbret vollkommen.
Thiers konnte nur die allerbedeutungslosesten Züge thun, weil jeder andere
Zug ihn Matt gesetzt hätte. Indem er nun das diplomatische Spiel aufgab
und zu Drohungen seine Zuflucht nahm, die mehr scheinbar als wirklich waren,
steigerte er sowohl die Aufregung der Kriegs- wie der Friedensfreunde und
verlor das Vertrauen beider Parteien. Die Radicalen sahen sehr bald, daß es
mit seinen Drohungen nicht Ernst war, und es konnte daher nicht fehlen, daß
seine kriegerischen Maßregeln, besonders der Beschluß, Paris zu befestigen, die
gehässigste Deutung erfuhren. Die Auslegung lag nahe, daß er den ganzen
Kriegslärm nur zu dem Zweck hervorgerufen hatte, um sich die Mittel bewilligen
zu lassen, Frankreich durch Steigerung der militärischen Kräfte im Zaum zu hal¬
ten. Ein conservativer Gewährsmann sagt, man habe die Gelegenheit benutzt,
um einen Halt in die Vertheidigungsanstalten Frankreichs zu bringen. Das
Publicum sah den Feind, gegen den man sich zur Vertheidigung rüstete, nicht
im Auslande, sondern in den liberalen Parteien deS Landes. Das Mißtrauen
war bereits zur herrschenden Stimmung in Frankreich geworden. Die Conser¬
vativen, die sich von Anfang an nur auf Bedingungen mit Thiers vertragen


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[0347] durch ihre immer noch drohende Haltung ihn in seinem Widerstande zu bestärken. In der That zeigte sich bald, daß die Haltung des Pascha nicht der Art war, um neue Verwicklungen hervorzurufen: schon Ende November unterwarf er sich, unter der Bedingung, in dem erblichen Besitz Aegyptens zu verbleiben, eine Bedingung, die nach einigen Weiterungen, bei denen Palmerston und besonders Pvnsonby eine ziemlich zweideutige Rolle spielten, auf das Drängen der Mächte vom Sultan zugestanden wurde. Viel dringlicher war die Aufgabe, die Auf¬ regung der Franzosen zu beruhigen, und sehr bald stellte sich heraus, daß Thiers nicht dazu geeignet war, dies Werk zu vollenden, obschon er selbst offen¬ bar in friedliche Bahnen eingelenkt hatte. Als Thiers die Leitung der An¬ gelegenheiten übernahm, waren die Illusionen in Betreff der ägyptischen Frage allgemein; jede Partei theilte sie, die Doctrinäre dachten darüber nicht anders wie die Radicalen. Die Uebereinstimmung dauerte so lange, als man sich in den Hoff¬ nungen auf einen diplomatischen Sieg wiegen konnte. Je mehr die Hoffnung schwand, auf friedlichem Wege oder durch den natürlichen Verlauf der Begebenheiten zum Ziele zu gelangen, desto mehr neigten die conservativen Elemente des Landes zur Nachgiebigkeit hin, desto höher stieg aber die Kriegslust der radicalen Par¬ tei, die unter diesen Umständen alle Aussicht hatte, die Sympathieen in der Nation auf ihre Seite zu bringen. Dadurch kam nun Thiers in eine überaus peinliche Lage. Sein Selbstvertrauen und ein gewisser fatalistischer Zug in seinem Charakter hatte ihn über die Hindernisse, die seiner Politik im Wege standen, völlig verblendet, in seinen Berechnungen existirten nur günstige Factoren. In dem Glauben, daß die Verhältnisse für ihn arbeiteten, sah er sich bald jeder Bewegung beraubt: der Gegner beherrschte das Schachbret vollkommen. Thiers konnte nur die allerbedeutungslosesten Züge thun, weil jeder andere Zug ihn Matt gesetzt hätte. Indem er nun das diplomatische Spiel aufgab und zu Drohungen seine Zuflucht nahm, die mehr scheinbar als wirklich waren, steigerte er sowohl die Aufregung der Kriegs- wie der Friedensfreunde und verlor das Vertrauen beider Parteien. Die Radicalen sahen sehr bald, daß es mit seinen Drohungen nicht Ernst war, und es konnte daher nicht fehlen, daß seine kriegerischen Maßregeln, besonders der Beschluß, Paris zu befestigen, die gehässigste Deutung erfuhren. Die Auslegung lag nahe, daß er den ganzen Kriegslärm nur zu dem Zweck hervorgerufen hatte, um sich die Mittel bewilligen zu lassen, Frankreich durch Steigerung der militärischen Kräfte im Zaum zu hal¬ ten. Ein conservativer Gewährsmann sagt, man habe die Gelegenheit benutzt, um einen Halt in die Vertheidigungsanstalten Frankreichs zu bringen. Das Publicum sah den Feind, gegen den man sich zur Vertheidigung rüstete, nicht im Auslande, sondern in den liberalen Parteien deS Landes. Das Mißtrauen war bereits zur herrschenden Stimmung in Frankreich geworden. Die Conser¬ vativen, die sich von Anfang an nur auf Bedingungen mit Thiers vertragen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/347>, abgerufen am 09.06.2024.