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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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gerade jetzt Pflicht jedes Blattes, seiner Ueberzeugung entschiedenen Ausdruck zu
geben, zumal nicht zu erwarten ist, daß der Conflict zwischen Regierung und
Volksvertretung auch durch eine jetzt bevorstehende Umgestaltung des Ministe¬
riums beendet wird.

- Die leidenschaftliche Theilnahme, mit welcher auch außerhalb Preußens die
Commissionsverhandlungen und der Beginn der Militärdebatte verfolgt wurden,
war längere Zeit nicht frei von der Besorgniß, daß die Opposition, reich an
junger ungeübter Kraft, durch aufgeregte Stimmung des Volks in die Kammern
gesendet, fortwährend gereizt durch grollende Aeußerungen der Regierungs¬
kreise, bei der Debatte im Plenum an einer von den Klippen anstoßen würde,
welche gerade die Militärfrage darbot. Diese Befürchtung ist durch die Ver¬
handlungen der vergangenen Woche glänzend widerlegt worden, die Haltung
der Opposition war im Ganzen betrachtet würdig und taktvoll. Sie vermied'
den Geldpunkt vorzugsweise zu betonen, sie vermied auf das technische Detail
einzugehen, sie hielt ihre Redner in guter Zucht, fast jede der gesprochenen
Reden popularisirte einige Wahrheiten in eindringlicher Weise. Die Wirkung
des parlamentarischen Kampfes entsprach dieser Behandlung. Die Schwäche
des Ministeriums, die UnHaltbarkeit seiner gegenwärtigen Zusammensetzung
wurde der Krone fühlbar, wie sie es schon längst dem Volke gewesen war.
Die Konsequenz der Abstimmungen erschütterte, auch wo sie schwer verletzte,
die ganze Verhandlung hat wesentlich dazu beigetragen, die Bedeutung und
Wucht der preußischen Volksvertretung auch denen imponirend zu machen,
welche dem Resultat der Abstimmungen bitter zürnten.

Wie lebhaft aber auch das Interesse in Deutschland an den Parteikämpfen
der Preußen ist. Autorität und Macht, Einfluß und Bedeutung des preußischen
Staates für die letzten Interessen Deutschlands stehen uns höher. Wir be¬
urtheilen die Parteien nach der Einwirkung, die sie auf die Stimmung in
Deutschland auszuüben im Stände sind. Von diesem Gesichtspunkte aus hat
auch dies Blatt im Frühjahr die Auflösung der altliberalen Partei als eine
unvermeidliche Nothwendigkeit bedauert, die Bildung der nationalen Partei mit
Freuden begrüßt. Es ist sehr zu wünschen, daß sich Niemand in Preußen der
Ueberzeugung verschließen möge, daß sich in dieser neuen Partei, welche aller¬
dings ihre Vereinigung und Organisation noch nicht . ganz beendet hat, auf
längere Zeit der größte und frischeste Theil der Volkskraft concentriren wird.
Sie ist nicht gleich dem Schaume einer brandenden Küste über das preußische
Land geschleudert, und sie wird nicht in den Strahlen einer volkstümlichen
Majestät vertrocknen, sie stellt in der That eine Majorität der Volksstimmungen
dar und wird für alle nächsten Entwicklungsphasen der Hauptfactor sein, dessen
Zuneigung jede verständige Regierung suchen,' dessen Unterstützung sie nicht ohne
Gefahr entbehren wird. Auch wer durch seine persönlichen Sympathien auf Seite


gerade jetzt Pflicht jedes Blattes, seiner Ueberzeugung entschiedenen Ausdruck zu
geben, zumal nicht zu erwarten ist, daß der Conflict zwischen Regierung und
Volksvertretung auch durch eine jetzt bevorstehende Umgestaltung des Ministe¬
riums beendet wird.

- Die leidenschaftliche Theilnahme, mit welcher auch außerhalb Preußens die
Commissionsverhandlungen und der Beginn der Militärdebatte verfolgt wurden,
war längere Zeit nicht frei von der Besorgniß, daß die Opposition, reich an
junger ungeübter Kraft, durch aufgeregte Stimmung des Volks in die Kammern
gesendet, fortwährend gereizt durch grollende Aeußerungen der Regierungs¬
kreise, bei der Debatte im Plenum an einer von den Klippen anstoßen würde,
welche gerade die Militärfrage darbot. Diese Befürchtung ist durch die Ver¬
handlungen der vergangenen Woche glänzend widerlegt worden, die Haltung
der Opposition war im Ganzen betrachtet würdig und taktvoll. Sie vermied'
den Geldpunkt vorzugsweise zu betonen, sie vermied auf das technische Detail
einzugehen, sie hielt ihre Redner in guter Zucht, fast jede der gesprochenen
Reden popularisirte einige Wahrheiten in eindringlicher Weise. Die Wirkung
des parlamentarischen Kampfes entsprach dieser Behandlung. Die Schwäche
des Ministeriums, die UnHaltbarkeit seiner gegenwärtigen Zusammensetzung
wurde der Krone fühlbar, wie sie es schon längst dem Volke gewesen war.
Die Konsequenz der Abstimmungen erschütterte, auch wo sie schwer verletzte,
die ganze Verhandlung hat wesentlich dazu beigetragen, die Bedeutung und
Wucht der preußischen Volksvertretung auch denen imponirend zu machen,
welche dem Resultat der Abstimmungen bitter zürnten.

Wie lebhaft aber auch das Interesse in Deutschland an den Parteikämpfen
der Preußen ist. Autorität und Macht, Einfluß und Bedeutung des preußischen
Staates für die letzten Interessen Deutschlands stehen uns höher. Wir be¬
urtheilen die Parteien nach der Einwirkung, die sie auf die Stimmung in
Deutschland auszuüben im Stände sind. Von diesem Gesichtspunkte aus hat
auch dies Blatt im Frühjahr die Auflösung der altliberalen Partei als eine
unvermeidliche Nothwendigkeit bedauert, die Bildung der nationalen Partei mit
Freuden begrüßt. Es ist sehr zu wünschen, daß sich Niemand in Preußen der
Ueberzeugung verschließen möge, daß sich in dieser neuen Partei, welche aller¬
dings ihre Vereinigung und Organisation noch nicht . ganz beendet hat, auf
längere Zeit der größte und frischeste Theil der Volkskraft concentriren wird.
Sie ist nicht gleich dem Schaume einer brandenden Küste über das preußische
Land geschleudert, und sie wird nicht in den Strahlen einer volkstümlichen
Majestät vertrocknen, sie stellt in der That eine Majorität der Volksstimmungen
dar und wird für alle nächsten Entwicklungsphasen der Hauptfactor sein, dessen
Zuneigung jede verständige Regierung suchen,' dessen Unterstützung sie nicht ohne
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/35>, abgerufen am 14.05.2024.