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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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der Altliberalen oder Conservativen gestellt ist, soll das nicht verkennen, sich
selbst einer unwillkommenen Nothwendigkeit fügen. Es ist Zeit, daß das Ge¬
zänk und gegenseitige Beargwöhnen in der Presse der sämmtlichen Fractionen
aufhöre, und daß die Altliberalen sich aufrichtig mit der nationalen Partei
versöhnen. Denn als die frühere liberale Majorität von einem Theil.der
alten Führer verlassen wurde und als die Unsicherheit ihrer Minister bewirkte, daß
die Partei im Volk selbst das Vertrauen verlor, da war es ein Glück für
Preußen, daß eine neue liberale Organisation die Führung übernehmen konnte,
eine Partei, noch unfertig und keineswegs ohne Mängel, aber eine solche, welche
die letzte Quelle aller parlamentarischen Kraft, Zutrauen und Sympathien der
Bevölkerung nicht nur zu gewinnen, auch geschickt zu behaupten wußte, und
welche den Kampf in einem Augenblick aufnahm, wo eine rücksichtslosere Op¬
position zum Heil des Staates nothwendig war. Es ist leicht, die Schwächen die¬
ser neuen Partei zu übersehen, sie enthält noch einige Elemente, denen man
das Prädicat politischer Gesundheit nicht ohne Vorbehalt geben kann, sie ist
vielleicht noch ebenso zu ängstlich bemüht, sich dem unsichern Tagesurtheil der
Menge anzubequemen, wie die altliberale Partei zu sehr versäumt hat, sich mit
ihren Wählern im Einverständniß zu erhalten; mehren ihrer Führer fehlt
vielleicht noch etwas von der Ruhe und Sicherheit des politischen Urtheils,
welche durch längere Beschäftigung mit großen Staatsfragen gewonnen wird,
aber so wie sie ist, besteht sie als ein volksthümliches Product der Ver¬
gangenheit und Gegenwart Preußens. Der Politiker aber hat mit den vor¬
handenen wirklichen Größen zu rechnen, nicht mit idealen. Die politische Ver¬
kümmerung, an welcher Preußen durch fast vierzig Jahre seit den Freiheitskriegen
gelitten hat, wird nicht nur in den Regierungskreisen fühlbar, das ganze Volk
hat darunter gelitten. Nicht die Redlichkeit, der Eifer, die Hingabe an die
Interessen des Staates haben in Preußen abgenommen, wohl aber ist die Ein¬
sicht nicht immer groß genug, und dem politischen Charakter fehlt noch eine
gleichmäßige Entwicklung, theils der Besonnenheit, theils der Energie. Das
sind politische Mängel, an denen wir Alle unser Theil haben, gegen die jeder
Einzelne kämpfen muß. Aber die gute Zuversicht darf uns darum doch nicht
fehlen; denn wie ungeübt die politische Tüchtigkeit des Volkes auch sei, sie ist
in reichem Maße vorhanden. Gerade jetzt haben die letzten Maßregeln der Re¬
gierung eine Annäherung zwischen den liberalen Parteien des Hauses bewirkt;
es ist sehr wünschenswert), daß ihr ein gemeinsamer Plan und einmüthiges
Handeln folge. Denn erst der offene Beitritt sämmtlicher Altliberalen im Hause
und Volke, welche in Wirklichkeit noch das Recht haben, sich zu dieser Fraction
zu zählen, wird der nationalen Partei die volle Kraft geben, deren die Majo¬
rität der preußischen Volksvertreter jetzt dringend bedarf.

Denn der Widerstand der höchsten Staatsgewalt gegen die Forderungen der


der Altliberalen oder Conservativen gestellt ist, soll das nicht verkennen, sich
selbst einer unwillkommenen Nothwendigkeit fügen. Es ist Zeit, daß das Ge¬
zänk und gegenseitige Beargwöhnen in der Presse der sämmtlichen Fractionen
aufhöre, und daß die Altliberalen sich aufrichtig mit der nationalen Partei
versöhnen. Denn als die frühere liberale Majorität von einem Theil.der
alten Führer verlassen wurde und als die Unsicherheit ihrer Minister bewirkte, daß
die Partei im Volk selbst das Vertrauen verlor, da war es ein Glück für
Preußen, daß eine neue liberale Organisation die Führung übernehmen konnte,
eine Partei, noch unfertig und keineswegs ohne Mängel, aber eine solche, welche
die letzte Quelle aller parlamentarischen Kraft, Zutrauen und Sympathien der
Bevölkerung nicht nur zu gewinnen, auch geschickt zu behaupten wußte, und
welche den Kampf in einem Augenblick aufnahm, wo eine rücksichtslosere Op¬
position zum Heil des Staates nothwendig war. Es ist leicht, die Schwächen die¬
ser neuen Partei zu übersehen, sie enthält noch einige Elemente, denen man
das Prädicat politischer Gesundheit nicht ohne Vorbehalt geben kann, sie ist
vielleicht noch ebenso zu ängstlich bemüht, sich dem unsichern Tagesurtheil der
Menge anzubequemen, wie die altliberale Partei zu sehr versäumt hat, sich mit
ihren Wählern im Einverständniß zu erhalten; mehren ihrer Führer fehlt
vielleicht noch etwas von der Ruhe und Sicherheit des politischen Urtheils,
welche durch längere Beschäftigung mit großen Staatsfragen gewonnen wird,
aber so wie sie ist, besteht sie als ein volksthümliches Product der Ver¬
gangenheit und Gegenwart Preußens. Der Politiker aber hat mit den vor¬
handenen wirklichen Größen zu rechnen, nicht mit idealen. Die politische Ver¬
kümmerung, an welcher Preußen durch fast vierzig Jahre seit den Freiheitskriegen
gelitten hat, wird nicht nur in den Regierungskreisen fühlbar, das ganze Volk
hat darunter gelitten. Nicht die Redlichkeit, der Eifer, die Hingabe an die
Interessen des Staates haben in Preußen abgenommen, wohl aber ist die Ein¬
sicht nicht immer groß genug, und dem politischen Charakter fehlt noch eine
gleichmäßige Entwicklung, theils der Besonnenheit, theils der Energie. Das
sind politische Mängel, an denen wir Alle unser Theil haben, gegen die jeder
Einzelne kämpfen muß. Aber die gute Zuversicht darf uns darum doch nicht
fehlen; denn wie ungeübt die politische Tüchtigkeit des Volkes auch sei, sie ist
in reichem Maße vorhanden. Gerade jetzt haben die letzten Maßregeln der Re¬
gierung eine Annäherung zwischen den liberalen Parteien des Hauses bewirkt;
es ist sehr wünschenswert), daß ihr ein gemeinsamer Plan und einmüthiges
Handeln folge. Denn erst der offene Beitritt sämmtlicher Altliberalen im Hause
und Volke, welche in Wirklichkeit noch das Recht haben, sich zu dieser Fraction
zu zählen, wird der nationalen Partei die volle Kraft geben, deren die Majo¬
rität der preußischen Volksvertreter jetzt dringend bedarf.

Denn der Widerstand der höchsten Staatsgewalt gegen die Forderungen der


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[0036] der Altliberalen oder Conservativen gestellt ist, soll das nicht verkennen, sich selbst einer unwillkommenen Nothwendigkeit fügen. Es ist Zeit, daß das Ge¬ zänk und gegenseitige Beargwöhnen in der Presse der sämmtlichen Fractionen aufhöre, und daß die Altliberalen sich aufrichtig mit der nationalen Partei versöhnen. Denn als die frühere liberale Majorität von einem Theil.der alten Führer verlassen wurde und als die Unsicherheit ihrer Minister bewirkte, daß die Partei im Volk selbst das Vertrauen verlor, da war es ein Glück für Preußen, daß eine neue liberale Organisation die Führung übernehmen konnte, eine Partei, noch unfertig und keineswegs ohne Mängel, aber eine solche, welche die letzte Quelle aller parlamentarischen Kraft, Zutrauen und Sympathien der Bevölkerung nicht nur zu gewinnen, auch geschickt zu behaupten wußte, und welche den Kampf in einem Augenblick aufnahm, wo eine rücksichtslosere Op¬ position zum Heil des Staates nothwendig war. Es ist leicht, die Schwächen die¬ ser neuen Partei zu übersehen, sie enthält noch einige Elemente, denen man das Prädicat politischer Gesundheit nicht ohne Vorbehalt geben kann, sie ist vielleicht noch ebenso zu ängstlich bemüht, sich dem unsichern Tagesurtheil der Menge anzubequemen, wie die altliberale Partei zu sehr versäumt hat, sich mit ihren Wählern im Einverständniß zu erhalten; mehren ihrer Führer fehlt vielleicht noch etwas von der Ruhe und Sicherheit des politischen Urtheils, welche durch längere Beschäftigung mit großen Staatsfragen gewonnen wird, aber so wie sie ist, besteht sie als ein volksthümliches Product der Ver¬ gangenheit und Gegenwart Preußens. Der Politiker aber hat mit den vor¬ handenen wirklichen Größen zu rechnen, nicht mit idealen. Die politische Ver¬ kümmerung, an welcher Preußen durch fast vierzig Jahre seit den Freiheitskriegen gelitten hat, wird nicht nur in den Regierungskreisen fühlbar, das ganze Volk hat darunter gelitten. Nicht die Redlichkeit, der Eifer, die Hingabe an die Interessen des Staates haben in Preußen abgenommen, wohl aber ist die Ein¬ sicht nicht immer groß genug, und dem politischen Charakter fehlt noch eine gleichmäßige Entwicklung, theils der Besonnenheit, theils der Energie. Das sind politische Mängel, an denen wir Alle unser Theil haben, gegen die jeder Einzelne kämpfen muß. Aber die gute Zuversicht darf uns darum doch nicht fehlen; denn wie ungeübt die politische Tüchtigkeit des Volkes auch sei, sie ist in reichem Maße vorhanden. Gerade jetzt haben die letzten Maßregeln der Re¬ gierung eine Annäherung zwischen den liberalen Parteien des Hauses bewirkt; es ist sehr wünschenswert), daß ihr ein gemeinsamer Plan und einmüthiges Handeln folge. Denn erst der offene Beitritt sämmtlicher Altliberalen im Hause und Volke, welche in Wirklichkeit noch das Recht haben, sich zu dieser Fraction zu zählen, wird der nationalen Partei die volle Kraft geben, deren die Majo¬ rität der preußischen Volksvertreter jetzt dringend bedarf. Denn der Widerstand der höchsten Staatsgewalt gegen die Forderungen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/36>, abgerufen am 14.05.2024.