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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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anderswo in Deutschland haben sich die einstigen schroffen Spaltungen im Schoße
des Liberalismus entweder schon ausgeglichen -- wie in Bayern, Baden,
Nassau. Kurhessen, Hannover, Mecklenburg und Schleswig-Holstein -- oder sind
nahe daran es zu thun -- wie in Preußen, Sachsen, Hessen-Darmstadt und
Würtemberg --: nur in den freien Städten Hamburg und Frankfurt wüthet
der innere Kampf heftiger als je, und selbst -in Bremen glimmt das Feuer
deutlich unter der Asche, die es einstweilen noch bedeckt. Da aber die örtlichen
Kämpfe zugleich die nationalen zu sein Pflegen, so berührt sich hier das locale
Interesse mit dem allgemeinen. Es kann dem Nationalverein nicht angenehm
sein, daß sein früheres Hamburger Ausschußmitglied Riesser von seinem jetzigen
Hamburger Ausschußmitglied Götte auf Tod und Leben verfolgt wird, noch ist
es ihm von Nutzen, daß die Frankfurter Gothaer und die Frankfurter Demokraten,
die sich beide mehr oder weniger zu ihm halten, einander gegenseitig weniger Gutes
gönnen als jeder Theil der Reaction. Ein solcher fortlaufender Zank im Lager
schwächt die Kraft der Partei, um so mehr als diese vorzugsweise in den mora¬
lischen Wirkungen ihrer Geschlossenheit, Einigkeit und inneren Stärke besteht.

In Frankfurt wie in Hamburg haben die Aitliberalen das Regiment an die
Demokraten abgeben müssen, dort schon vor Jahren, hier in diesem Augenblick;
in Bremen behaupten sie einstweilen noch das Uebergewicht, aber mit abnehmen¬
der Sicherheit. Lübeck, wie gesagt, vegetirt nur und entwickelt sich etwa mit
der Geschwindigkeit der Chinesen, kommt also nicht in Betracht. Daß die Demo-
kraten in Hamburg und Bremen so sichtbar im Vorrücken begriffen sind, in
Frankfurt wenigstens ihre nun schon vierjährige Herrschaft ungeschmälert fest¬
halten, ist kein Wunder. Wenn die Massen sich mit politischem Bewußtsein
erfüllen, ist allemal der Stern der Demokratie im Aufsteigen. Die Liberalen
gewinnen Anhang, wenn die allgemeine Ermattung einer Reactionsperiode den
wankelmüthigen Sinn der Menge von der Politik ab und auf den Individualis¬
mus der materiellen Interessen lenkt. Allein es ist ein Unterschied, wie sich
im einen und im andern Falle diese nothwendige Verschiebung des Schwer¬
punkts vollzieht. Bleiben wir bei dem Falle stehen, der gegenwärtig gegeben
ist. Der demokratische Zug des Augenblicks braucht sich keineswegs auf die
Art geltend zu machen, daß die Altliberalen verdrängt werden, die Demokraten
an ihre Stelle treten. Wenn die Altliberalen keine Doctrinäre sind, sondern
wachsame Politiker, die sich auf die Beobachtung von Wind und Wetter
verstehen und nicht säumen, die eben nothwendigen Maßregeln zu ergreifen,
um sich auf der hohen See zu behaupten, so ziehen sie die demokratischen
Führer rechtzeitig an sich heran und richten ihre Praxis auf die andrängende
Theilnahme der Massen ein. Dies ist es, was die Hamburger und die Frank¬
furter Altliberalen, meist in Wirklichkeit ältere Männer, zu ihrem Schaden ver¬
fehlt haben -- was sich auch an ihren Freunden in Preußen ja so bitter gerächt


Grenzboten IV. 13S2. 47

anderswo in Deutschland haben sich die einstigen schroffen Spaltungen im Schoße
des Liberalismus entweder schon ausgeglichen — wie in Bayern, Baden,
Nassau. Kurhessen, Hannover, Mecklenburg und Schleswig-Holstein — oder sind
nahe daran es zu thun — wie in Preußen, Sachsen, Hessen-Darmstadt und
Würtemberg —: nur in den freien Städten Hamburg und Frankfurt wüthet
der innere Kampf heftiger als je, und selbst -in Bremen glimmt das Feuer
deutlich unter der Asche, die es einstweilen noch bedeckt. Da aber die örtlichen
Kämpfe zugleich die nationalen zu sein Pflegen, so berührt sich hier das locale
Interesse mit dem allgemeinen. Es kann dem Nationalverein nicht angenehm
sein, daß sein früheres Hamburger Ausschußmitglied Riesser von seinem jetzigen
Hamburger Ausschußmitglied Götte auf Tod und Leben verfolgt wird, noch ist
es ihm von Nutzen, daß die Frankfurter Gothaer und die Frankfurter Demokraten,
die sich beide mehr oder weniger zu ihm halten, einander gegenseitig weniger Gutes
gönnen als jeder Theil der Reaction. Ein solcher fortlaufender Zank im Lager
schwächt die Kraft der Partei, um so mehr als diese vorzugsweise in den mora¬
lischen Wirkungen ihrer Geschlossenheit, Einigkeit und inneren Stärke besteht.

In Frankfurt wie in Hamburg haben die Aitliberalen das Regiment an die
Demokraten abgeben müssen, dort schon vor Jahren, hier in diesem Augenblick;
in Bremen behaupten sie einstweilen noch das Uebergewicht, aber mit abnehmen¬
der Sicherheit. Lübeck, wie gesagt, vegetirt nur und entwickelt sich etwa mit
der Geschwindigkeit der Chinesen, kommt also nicht in Betracht. Daß die Demo-
kraten in Hamburg und Bremen so sichtbar im Vorrücken begriffen sind, in
Frankfurt wenigstens ihre nun schon vierjährige Herrschaft ungeschmälert fest¬
halten, ist kein Wunder. Wenn die Massen sich mit politischem Bewußtsein
erfüllen, ist allemal der Stern der Demokratie im Aufsteigen. Die Liberalen
gewinnen Anhang, wenn die allgemeine Ermattung einer Reactionsperiode den
wankelmüthigen Sinn der Menge von der Politik ab und auf den Individualis¬
mus der materiellen Interessen lenkt. Allein es ist ein Unterschied, wie sich
im einen und im andern Falle diese nothwendige Verschiebung des Schwer¬
punkts vollzieht. Bleiben wir bei dem Falle stehen, der gegenwärtig gegeben
ist. Der demokratische Zug des Augenblicks braucht sich keineswegs auf die
Art geltend zu machen, daß die Altliberalen verdrängt werden, die Demokraten
an ihre Stelle treten. Wenn die Altliberalen keine Doctrinäre sind, sondern
wachsame Politiker, die sich auf die Beobachtung von Wind und Wetter
verstehen und nicht säumen, die eben nothwendigen Maßregeln zu ergreifen,
um sich auf der hohen See zu behaupten, so ziehen sie die demokratischen
Führer rechtzeitig an sich heran und richten ihre Praxis auf die andrängende
Theilnahme der Massen ein. Dies ist es, was die Hamburger und die Frank¬
furter Altliberalen, meist in Wirklichkeit ältere Männer, zu ihrem Schaden ver¬
fehlt haben — was sich auch an ihren Freunden in Preußen ja so bitter gerächt


Grenzboten IV. 13S2. 47
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[0383] anderswo in Deutschland haben sich die einstigen schroffen Spaltungen im Schoße des Liberalismus entweder schon ausgeglichen — wie in Bayern, Baden, Nassau. Kurhessen, Hannover, Mecklenburg und Schleswig-Holstein — oder sind nahe daran es zu thun — wie in Preußen, Sachsen, Hessen-Darmstadt und Würtemberg —: nur in den freien Städten Hamburg und Frankfurt wüthet der innere Kampf heftiger als je, und selbst -in Bremen glimmt das Feuer deutlich unter der Asche, die es einstweilen noch bedeckt. Da aber die örtlichen Kämpfe zugleich die nationalen zu sein Pflegen, so berührt sich hier das locale Interesse mit dem allgemeinen. Es kann dem Nationalverein nicht angenehm sein, daß sein früheres Hamburger Ausschußmitglied Riesser von seinem jetzigen Hamburger Ausschußmitglied Götte auf Tod und Leben verfolgt wird, noch ist es ihm von Nutzen, daß die Frankfurter Gothaer und die Frankfurter Demokraten, die sich beide mehr oder weniger zu ihm halten, einander gegenseitig weniger Gutes gönnen als jeder Theil der Reaction. Ein solcher fortlaufender Zank im Lager schwächt die Kraft der Partei, um so mehr als diese vorzugsweise in den mora¬ lischen Wirkungen ihrer Geschlossenheit, Einigkeit und inneren Stärke besteht. In Frankfurt wie in Hamburg haben die Aitliberalen das Regiment an die Demokraten abgeben müssen, dort schon vor Jahren, hier in diesem Augenblick; in Bremen behaupten sie einstweilen noch das Uebergewicht, aber mit abnehmen¬ der Sicherheit. Lübeck, wie gesagt, vegetirt nur und entwickelt sich etwa mit der Geschwindigkeit der Chinesen, kommt also nicht in Betracht. Daß die Demo- kraten in Hamburg und Bremen so sichtbar im Vorrücken begriffen sind, in Frankfurt wenigstens ihre nun schon vierjährige Herrschaft ungeschmälert fest¬ halten, ist kein Wunder. Wenn die Massen sich mit politischem Bewußtsein erfüllen, ist allemal der Stern der Demokratie im Aufsteigen. Die Liberalen gewinnen Anhang, wenn die allgemeine Ermattung einer Reactionsperiode den wankelmüthigen Sinn der Menge von der Politik ab und auf den Individualis¬ mus der materiellen Interessen lenkt. Allein es ist ein Unterschied, wie sich im einen und im andern Falle diese nothwendige Verschiebung des Schwer¬ punkts vollzieht. Bleiben wir bei dem Falle stehen, der gegenwärtig gegeben ist. Der demokratische Zug des Augenblicks braucht sich keineswegs auf die Art geltend zu machen, daß die Altliberalen verdrängt werden, die Demokraten an ihre Stelle treten. Wenn die Altliberalen keine Doctrinäre sind, sondern wachsame Politiker, die sich auf die Beobachtung von Wind und Wetter verstehen und nicht säumen, die eben nothwendigen Maßregeln zu ergreifen, um sich auf der hohen See zu behaupten, so ziehen sie die demokratischen Führer rechtzeitig an sich heran und richten ihre Praxis auf die andrängende Theilnahme der Massen ein. Dies ist es, was die Hamburger und die Frank¬ furter Altliberalen, meist in Wirklichkeit ältere Männer, zu ihrem Schaden ver¬ fehlt haben — was sich auch an ihren Freunden in Preußen ja so bitter gerächt Grenzboten IV. 13S2. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/383>, abgerufen am 13.05.2024.