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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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hat. Sie haben übersehen, daß ihre engern Kreise das Monopol der politischen
Action nicht länger festhalten konnten. Anstatt ihre Reihen jedem jungen
Talent zu öffnen, haben sie den Nachwuchs eher hochmüthig abgestoßen; anstatt
sich bei Zeiten auf Volksversammlungen einzulassen, nach denen ein wachsendes
Bedürfniß verlangte, sind sie dem System einer halb heimlichen aristokratischen
Politik sklavisch, treu geblieben. So ist es geschehen, daß während ihre Prin¬
cipien fortfuhren zu herrschen, ihre Personen rauh bei Seite geschoben wurden.
So ist es selbst geringeren Geistern gelungen, sich auf den Schultern des
großen Haufens an ihren Platz auf dem Vordersitz des Staatswagens zu
schwingen.

Was Bremen betrifft, so macht dort der Besitz die regierenden Altliberalen
träge. Sie lassen es gleichmüthig geschehen, daß der Ehrgeiz der Demokraten
ihnen eine populäre Reform nach der andern vorwegnimmt, ohne vorherzu¬
sehen, was unausbleiblich kommen muß: daß bei zukünftigen Neuwahlen die
Bevölkerung in jenen ihre wahren Vertreter findet. Der Geist der Jugend
wendet sich so der Demokratie zu, und wird ihr zuletzt zum Siege verhelfen,
wie er es in Hamburg und Frankfurt gethan.

Es scheint also, daß wir in den freien Städten unsre nationalen Wünsche
vorzugsweise an die Demokratie zu richten haben. Möge sie denn stets be¬
denken, daß die Leichtigkeit unabsehbaren Vorwärtsdringens, deren sie sich in
ihrem reinbürgerlichen Gemeinwesen erfreut, in den monarchischen Staaten rings¬
umher nicht vorhanden ist; daß sie also in Bezug auf gemeinsame vaterländische
Angelegenheiten ihren Schritt zu mäßigen, sich nicht einem rücksichtslosen Sturm¬
lauf zu überlassen hat.

Was aber unsre altliberalen Freunde in Hamburg und Frankfurt betrifft,
so wird ihr häusliches Unglück sie hoffentlich nur um so freier machen für die
Ausgabe des großen Vaterlandes, dem man ja heutzutage auch als Deutscher,
nicht blos als Frankfurter oder Hamburger dienen kann; und die in Bremen
sollten an der Geschichte der Schwesterstädte endlich erkennen, daß Geschehen¬
lassen für eine politische Partei die denkbar schlechteste Politik und ein Versuch
des Selbstmordes ist, während praktische Reformarbeit ihnen nicht nur ihren
Besitz erhalten, sondern den Werth desselben wesentlich erhöhen würde.




hat. Sie haben übersehen, daß ihre engern Kreise das Monopol der politischen
Action nicht länger festhalten konnten. Anstatt ihre Reihen jedem jungen
Talent zu öffnen, haben sie den Nachwuchs eher hochmüthig abgestoßen; anstatt
sich bei Zeiten auf Volksversammlungen einzulassen, nach denen ein wachsendes
Bedürfniß verlangte, sind sie dem System einer halb heimlichen aristokratischen
Politik sklavisch, treu geblieben. So ist es geschehen, daß während ihre Prin¬
cipien fortfuhren zu herrschen, ihre Personen rauh bei Seite geschoben wurden.
So ist es selbst geringeren Geistern gelungen, sich auf den Schultern des
großen Haufens an ihren Platz auf dem Vordersitz des Staatswagens zu
schwingen.

Was Bremen betrifft, so macht dort der Besitz die regierenden Altliberalen
träge. Sie lassen es gleichmüthig geschehen, daß der Ehrgeiz der Demokraten
ihnen eine populäre Reform nach der andern vorwegnimmt, ohne vorherzu¬
sehen, was unausbleiblich kommen muß: daß bei zukünftigen Neuwahlen die
Bevölkerung in jenen ihre wahren Vertreter findet. Der Geist der Jugend
wendet sich so der Demokratie zu, und wird ihr zuletzt zum Siege verhelfen,
wie er es in Hamburg und Frankfurt gethan.

Es scheint also, daß wir in den freien Städten unsre nationalen Wünsche
vorzugsweise an die Demokratie zu richten haben. Möge sie denn stets be¬
denken, daß die Leichtigkeit unabsehbaren Vorwärtsdringens, deren sie sich in
ihrem reinbürgerlichen Gemeinwesen erfreut, in den monarchischen Staaten rings¬
umher nicht vorhanden ist; daß sie also in Bezug auf gemeinsame vaterländische
Angelegenheiten ihren Schritt zu mäßigen, sich nicht einem rücksichtslosen Sturm¬
lauf zu überlassen hat.

Was aber unsre altliberalen Freunde in Hamburg und Frankfurt betrifft,
so wird ihr häusliches Unglück sie hoffentlich nur um so freier machen für die
Ausgabe des großen Vaterlandes, dem man ja heutzutage auch als Deutscher,
nicht blos als Frankfurter oder Hamburger dienen kann; und die in Bremen
sollten an der Geschichte der Schwesterstädte endlich erkennen, daß Geschehen¬
lassen für eine politische Partei die denkbar schlechteste Politik und ein Versuch
des Selbstmordes ist, während praktische Reformarbeit ihnen nicht nur ihren
Besitz erhalten, sondern den Werth desselben wesentlich erhöhen würde.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/384>, abgerufen am 15.05.2024.