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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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licher Laufbahn. Dreizehn Jahre noch überlebte er das stückweise Zusammen¬
brechen der Hoffnungen, mit denen auch er den Frühling 1848 begrüßt hatte.
Er sah die Jahre der hereinbrechenden Reaction, auch jetzt der Heimath treu
bleibend, indem er ihre Alterthümer durchforschte und die poetischen Schätze
einer längst vergangenen Zeit zu Tage förderte; er sah noch gegen den Abend
seines Lebens neue Hoffnung sich entzünden, neuen Streit sich erheben über
das alte Thema, das in der Paulskirche ihn auf die Rednerbühne geführt,
und als die letzten Tage nahten, vernahm er, wie ringsum wieder der Ruf
ertönte, mit dem die vorige Erhebung geendet hatte: der Ruf nach der deutschen
Reichsverfassung. Den Tag der Einheit und Freiheit des Vaterlandes sollte
er nicht erleben, und wer weiß, wer von dem jetztlebenden Geschlecht ihn erle¬
ben wird. Aber so oft der Hauch freudiger Begeisterung durch das Vaterland
ging, hoffte er mit, und wenn es galt Hand an das Werk zu legen, sah man
ihn unter den Vorderste"; er harrte aus, wenn schon Viele um ihn verzagten,
und wenn dann der Winterfrost die Träume und Blüthen wieder ver¬
darb, ließ er doch den Muth nicht sinken und lebte im Geist mit der bessern
Zukunft:


Wohl werd ichs nicht erleben,
Doch an der Sehnsucht Hand
Als Schatten noch durchschweben
Mein freies Vaterland.

Als am 16. November auf dem Gottesacker zu Tübingen Hunderte ent¬
blößten Hauptes das offene Grab umstanden, und einer der jüngeren schwäbi¬
schen Sänger dem Meister einen dichterischen Nachruf sprach, da war es ein
feierlicher, erhebender Moment, wie bei den Worten: "Ludwig Uhland", vom gegen¬
überliegenden Rebenhügel deutlich das Echo wiederhallte: Ludwig Uhland. Es
war. als wollte die heimathliche Erde, als wollte der Boden des Vaterlandes
selbst durch lautes Zeugniß bekräftigen, daß der Name dessen, der jetzt in die
still e Gruft gehenket ward, niemals vergessen sein soll . . .




licher Laufbahn. Dreizehn Jahre noch überlebte er das stückweise Zusammen¬
brechen der Hoffnungen, mit denen auch er den Frühling 1848 begrüßt hatte.
Er sah die Jahre der hereinbrechenden Reaction, auch jetzt der Heimath treu
bleibend, indem er ihre Alterthümer durchforschte und die poetischen Schätze
einer längst vergangenen Zeit zu Tage förderte; er sah noch gegen den Abend
seines Lebens neue Hoffnung sich entzünden, neuen Streit sich erheben über
das alte Thema, das in der Paulskirche ihn auf die Rednerbühne geführt,
und als die letzten Tage nahten, vernahm er, wie ringsum wieder der Ruf
ertönte, mit dem die vorige Erhebung geendet hatte: der Ruf nach der deutschen
Reichsverfassung. Den Tag der Einheit und Freiheit des Vaterlandes sollte
er nicht erleben, und wer weiß, wer von dem jetztlebenden Geschlecht ihn erle¬
ben wird. Aber so oft der Hauch freudiger Begeisterung durch das Vaterland
ging, hoffte er mit, und wenn es galt Hand an das Werk zu legen, sah man
ihn unter den Vorderste»; er harrte aus, wenn schon Viele um ihn verzagten,
und wenn dann der Winterfrost die Träume und Blüthen wieder ver¬
darb, ließ er doch den Muth nicht sinken und lebte im Geist mit der bessern
Zukunft:


Wohl werd ichs nicht erleben,
Doch an der Sehnsucht Hand
Als Schatten noch durchschweben
Mein freies Vaterland.

Als am 16. November auf dem Gottesacker zu Tübingen Hunderte ent¬
blößten Hauptes das offene Grab umstanden, und einer der jüngeren schwäbi¬
schen Sänger dem Meister einen dichterischen Nachruf sprach, da war es ein
feierlicher, erhebender Moment, wie bei den Worten: „Ludwig Uhland", vom gegen¬
überliegenden Rebenhügel deutlich das Echo wiederhallte: Ludwig Uhland. Es
war. als wollte die heimathliche Erde, als wollte der Boden des Vaterlandes
selbst durch lautes Zeugniß bekräftigen, daß der Name dessen, der jetzt in die
still e Gruft gehenket ward, niemals vergessen sein soll . . .




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[0430] licher Laufbahn. Dreizehn Jahre noch überlebte er das stückweise Zusammen¬ brechen der Hoffnungen, mit denen auch er den Frühling 1848 begrüßt hatte. Er sah die Jahre der hereinbrechenden Reaction, auch jetzt der Heimath treu bleibend, indem er ihre Alterthümer durchforschte und die poetischen Schätze einer längst vergangenen Zeit zu Tage förderte; er sah noch gegen den Abend seines Lebens neue Hoffnung sich entzünden, neuen Streit sich erheben über das alte Thema, das in der Paulskirche ihn auf die Rednerbühne geführt, und als die letzten Tage nahten, vernahm er, wie ringsum wieder der Ruf ertönte, mit dem die vorige Erhebung geendet hatte: der Ruf nach der deutschen Reichsverfassung. Den Tag der Einheit und Freiheit des Vaterlandes sollte er nicht erleben, und wer weiß, wer von dem jetztlebenden Geschlecht ihn erle¬ ben wird. Aber so oft der Hauch freudiger Begeisterung durch das Vaterland ging, hoffte er mit, und wenn es galt Hand an das Werk zu legen, sah man ihn unter den Vorderste»; er harrte aus, wenn schon Viele um ihn verzagten, und wenn dann der Winterfrost die Träume und Blüthen wieder ver¬ darb, ließ er doch den Muth nicht sinken und lebte im Geist mit der bessern Zukunft: Wohl werd ichs nicht erleben, Doch an der Sehnsucht Hand Als Schatten noch durchschweben Mein freies Vaterland. Als am 16. November auf dem Gottesacker zu Tübingen Hunderte ent¬ blößten Hauptes das offene Grab umstanden, und einer der jüngeren schwäbi¬ schen Sänger dem Meister einen dichterischen Nachruf sprach, da war es ein feierlicher, erhebender Moment, wie bei den Worten: „Ludwig Uhland", vom gegen¬ überliegenden Rebenhügel deutlich das Echo wiederhallte: Ludwig Uhland. Es war. als wollte die heimathliche Erde, als wollte der Boden des Vaterlandes selbst durch lautes Zeugniß bekräftigen, daß der Name dessen, der jetzt in die still e Gruft gehenket ward, niemals vergessen sein soll . . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/430>, abgerufen am 14.05.2024.