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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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ihnen mit dem eximirten Standesrecht auch dos Gefühl einer eximirten Standes¬
moral und Standesehre, welche die gemeinen bürgerlichen nicht nur vielfach über¬
bieten, sondern ihr auch geradezu entgegenlaufen kann, zur Gewohnheit wer¬
den muß. Hierin wurzeln viele der kümmerlichsten Vorurtheile des sogenannten
Prvfessorendüntels. Jedem andern Staatsbürger ist es nicht nur erlaubt, son¬
dern Pflicht, sich für öffentliche Angelegenheiten zu interessiren und, wenn er
kann, die Ueberzeugung, die er sich darüber gebildet hat, auch öffentlich gel¬
tend zu machen, entgegengesetzte entschieden zu bekämpfen; aber alles das ist
"unakademisch". Das möchte nun sein, obgleich es traurig ist, daß die, .weiche
in intellectueller Beziehung die Ersten in der Nation sind, für deren gemeinsame
Angelegenheiten oft weniger Sinn und Verständniß haben als der gemeinste
Bierhauspvlitikcr; man hat sich aber nun einmal gewöhnt und die Erfahrung
der letzten Generation hat es wohl noch für mehre folgende unzweifelhaft ge¬
macht, daß wir im politischen Leben von Prvfcssoreiuegiment nichts Lebens¬
kräftiges zu erwarten haben*). Ungleich verderblicher aber ist jene Gewöhnung
an die Privilegirtc Willkür für die Studenten, aus denen die ganze Masse der
gebildeteren Träger des öffentlichen Lebens hervorgehn soll. Im ersten Spiele
lernt der Knabe schon Achtung vor dem Gesetz; beim Ballschlagen fügt er sich
der untrüglichen Consequenz der fest bestimmten Regeln; und auch in der
Schule wird wenigstens der Schein der Willkür nach Kräften vermieden. Aber
die daraus erwachsenen kindlichen Vorurtheile werden auf der Universität gründ¬
lich ausgetrieben. Hier lernt der reifende Jüngling, daß die höhere Bildung
und Großartigkeit der Weltanschauung darin besteht, zu wissen, daß die Gesetze
dazu da sind, um nicht gehalten zu werden, und daß man versteh" muß, aus
ihrer schwankenden Anwendung sich selbst eine möglichst bequeme Stellung über
den Köpfen der dummen Menge herauszupratticircn. So wird durch die cxi-
mirte Rechtsstellung der Universitäten derselbe Geist feudaler Willkür gehegt
und gepflegt, dem sie auch ihr Dasein verdankt.

Wie unnatürlich die Abnormität eines so schreienden Widerspruches der
Praxis des öffentlichen Lebens in einem einzelnen Kreise mit der aller anderen
ist, zeigt sich am deutlichsten in der krampfhaften Plötzlichkeit, mit der Jeder
beim Eintritt und Austritt in und aus demselben sich anstrengen muß, ein
anderer Mensch zu werden, sich wie in einen Kriegszustand aus der übrigen
Welt herauszusetzen und dann endlich abgetrieben in dieselbe zurückzukehren.
Der Knabe hat keine Verantwortlichkeit, dafür aber auch leine Freiheit. Der
Mann soll für alles einstehn, was er thut, dafür aber auch in allem Thun



") Der Verfasser wird uns die Erinnerung gestatten, daß die seine" Behauptungen zu
Grunde liegende Regel mehr als eine Ausnahme zeigte, auf welche mit Freude und Stolz
- D, Red. zu blicken die Nation alle Ursache hat.

ihnen mit dem eximirten Standesrecht auch dos Gefühl einer eximirten Standes¬
moral und Standesehre, welche die gemeinen bürgerlichen nicht nur vielfach über¬
bieten, sondern ihr auch geradezu entgegenlaufen kann, zur Gewohnheit wer¬
den muß. Hierin wurzeln viele der kümmerlichsten Vorurtheile des sogenannten
Prvfessorendüntels. Jedem andern Staatsbürger ist es nicht nur erlaubt, son¬
dern Pflicht, sich für öffentliche Angelegenheiten zu interessiren und, wenn er
kann, die Ueberzeugung, die er sich darüber gebildet hat, auch öffentlich gel¬
tend zu machen, entgegengesetzte entschieden zu bekämpfen; aber alles das ist
„unakademisch". Das möchte nun sein, obgleich es traurig ist, daß die, .weiche
in intellectueller Beziehung die Ersten in der Nation sind, für deren gemeinsame
Angelegenheiten oft weniger Sinn und Verständniß haben als der gemeinste
Bierhauspvlitikcr; man hat sich aber nun einmal gewöhnt und die Erfahrung
der letzten Generation hat es wohl noch für mehre folgende unzweifelhaft ge¬
macht, daß wir im politischen Leben von Prvfcssoreiuegiment nichts Lebens¬
kräftiges zu erwarten haben*). Ungleich verderblicher aber ist jene Gewöhnung
an die Privilegirtc Willkür für die Studenten, aus denen die ganze Masse der
gebildeteren Träger des öffentlichen Lebens hervorgehn soll. Im ersten Spiele
lernt der Knabe schon Achtung vor dem Gesetz; beim Ballschlagen fügt er sich
der untrüglichen Consequenz der fest bestimmten Regeln; und auch in der
Schule wird wenigstens der Schein der Willkür nach Kräften vermieden. Aber
die daraus erwachsenen kindlichen Vorurtheile werden auf der Universität gründ¬
lich ausgetrieben. Hier lernt der reifende Jüngling, daß die höhere Bildung
und Großartigkeit der Weltanschauung darin besteht, zu wissen, daß die Gesetze
dazu da sind, um nicht gehalten zu werden, und daß man versteh» muß, aus
ihrer schwankenden Anwendung sich selbst eine möglichst bequeme Stellung über
den Köpfen der dummen Menge herauszupratticircn. So wird durch die cxi-
mirte Rechtsstellung der Universitäten derselbe Geist feudaler Willkür gehegt
und gepflegt, dem sie auch ihr Dasein verdankt.

Wie unnatürlich die Abnormität eines so schreienden Widerspruches der
Praxis des öffentlichen Lebens in einem einzelnen Kreise mit der aller anderen
ist, zeigt sich am deutlichsten in der krampfhaften Plötzlichkeit, mit der Jeder
beim Eintritt und Austritt in und aus demselben sich anstrengen muß, ein
anderer Mensch zu werden, sich wie in einen Kriegszustand aus der übrigen
Welt herauszusetzen und dann endlich abgetrieben in dieselbe zurückzukehren.
Der Knabe hat keine Verantwortlichkeit, dafür aber auch leine Freiheit. Der
Mann soll für alles einstehn, was er thut, dafür aber auch in allem Thun



") Der Verfasser wird uns die Erinnerung gestatten, daß die seine» Behauptungen zu
Grunde liegende Regel mehr als eine Ausnahme zeigte, auf welche mit Freude und Stolz
- D, Red. zu blicken die Nation alle Ursache hat.
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[0054] ihnen mit dem eximirten Standesrecht auch dos Gefühl einer eximirten Standes¬ moral und Standesehre, welche die gemeinen bürgerlichen nicht nur vielfach über¬ bieten, sondern ihr auch geradezu entgegenlaufen kann, zur Gewohnheit wer¬ den muß. Hierin wurzeln viele der kümmerlichsten Vorurtheile des sogenannten Prvfessorendüntels. Jedem andern Staatsbürger ist es nicht nur erlaubt, son¬ dern Pflicht, sich für öffentliche Angelegenheiten zu interessiren und, wenn er kann, die Ueberzeugung, die er sich darüber gebildet hat, auch öffentlich gel¬ tend zu machen, entgegengesetzte entschieden zu bekämpfen; aber alles das ist „unakademisch". Das möchte nun sein, obgleich es traurig ist, daß die, .weiche in intellectueller Beziehung die Ersten in der Nation sind, für deren gemeinsame Angelegenheiten oft weniger Sinn und Verständniß haben als der gemeinste Bierhauspvlitikcr; man hat sich aber nun einmal gewöhnt und die Erfahrung der letzten Generation hat es wohl noch für mehre folgende unzweifelhaft ge¬ macht, daß wir im politischen Leben von Prvfcssoreiuegiment nichts Lebens¬ kräftiges zu erwarten haben*). Ungleich verderblicher aber ist jene Gewöhnung an die Privilegirtc Willkür für die Studenten, aus denen die ganze Masse der gebildeteren Träger des öffentlichen Lebens hervorgehn soll. Im ersten Spiele lernt der Knabe schon Achtung vor dem Gesetz; beim Ballschlagen fügt er sich der untrüglichen Consequenz der fest bestimmten Regeln; und auch in der Schule wird wenigstens der Schein der Willkür nach Kräften vermieden. Aber die daraus erwachsenen kindlichen Vorurtheile werden auf der Universität gründ¬ lich ausgetrieben. Hier lernt der reifende Jüngling, daß die höhere Bildung und Großartigkeit der Weltanschauung darin besteht, zu wissen, daß die Gesetze dazu da sind, um nicht gehalten zu werden, und daß man versteh» muß, aus ihrer schwankenden Anwendung sich selbst eine möglichst bequeme Stellung über den Köpfen der dummen Menge herauszupratticircn. So wird durch die cxi- mirte Rechtsstellung der Universitäten derselbe Geist feudaler Willkür gehegt und gepflegt, dem sie auch ihr Dasein verdankt. Wie unnatürlich die Abnormität eines so schreienden Widerspruches der Praxis des öffentlichen Lebens in einem einzelnen Kreise mit der aller anderen ist, zeigt sich am deutlichsten in der krampfhaften Plötzlichkeit, mit der Jeder beim Eintritt und Austritt in und aus demselben sich anstrengen muß, ein anderer Mensch zu werden, sich wie in einen Kriegszustand aus der übrigen Welt herauszusetzen und dann endlich abgetrieben in dieselbe zurückzukehren. Der Knabe hat keine Verantwortlichkeit, dafür aber auch leine Freiheit. Der Mann soll für alles einstehn, was er thut, dafür aber auch in allem Thun ") Der Verfasser wird uns die Erinnerung gestatten, daß die seine» Behauptungen zu Grunde liegende Regel mehr als eine Ausnahme zeigte, auf welche mit Freude und Stolz - D, Red. zu blicken die Nation alle Ursache hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/54>, abgerufen am 15.05.2024.