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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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d. h, in die Seele aufgenommen und in Vorstellungen umgesetzt, sondern die
Innenwelt wird auch somatisch gemacht, d. h, äußerlich an dem Körper dar¬
gestellt, was im Innern vorgeht. Die Seele kommt nicht nur dem von
außen kommenden Eindrucke entgegen (denn wenn sie das nicht thut, nicht
aufmerkt, kommt ja überhaupt kein Eindruck zum Bewußtsein, ist also gleich¬
sam für die Seele überhaupt nicht vorhanden); sondern sie ruft auch in dem,
Körper wiederum solche Vorgänge hervor, welche zeigen, wie die Seele da¬
von afficirt worden ist. Einige Beispiele werden dies klar machen. Wenn
etwa die tiefe Dunkelheit, in der wir uns befinden, durch einen Lichtstrahl
erhellt wird, so wenden wir ganz unwillkürlich das Auge nach dem leuchten¬
den Gegenstande hin; wir sehen nicht blos (passives Verhalten), sondern
w>r blicken hin (activ). Ebenso wenn in lautloser Stille plötzlich ein Ton
vernehmbar wird, so hören wir nicht blos (passiv), sondern wir horchen (activ);
die ganze Aufregung, die sich der Seele bemächtigt hat, prägt sich auch un
Körper, in den Bewegungen des Auges und der Gesichtsmuskeln, in den Wen¬
dungen des Kopfes, in der Anspannung der Sehnen u. s. w. aus. Die
thätig gewordene Seele setzt auch sofort den Körper in eine entsprechende
Thätigkeit.

Diese Thätigkeit nun, insofern sie eine unbewußte ist, ist auch nicht von
unserm freien Willen abhängig und ist daher auch in allen Menschen unter
gleichen Umständen überall ein und dieselbe, daher denn auch Jedem sofort
unmittelbar verständlich. Wir erinnern hier nur an die Symbolik der Mienen
und Geberden, durch welche die innern Zustände äußerlich kund werden; sie sind
symbolisch, d. h. sie haben eine unverkennbare Ähnlichkeit mit den geistigen
Zuständen, die sie ausdrücken sollen, und erwecken daher in demjenigen, der sic
wahrnimmt, die entsprechenden Vorstellungen. Wir erkennen, um einige Bei¬
spiele anzuführen, sofort mit dem ersten Blicke, ob Einer in Zorn oder in
Angst geräth. Der Zorn macht roth, die Angst blaß, ganz naturgemäß: der
Zornige kämpft gegen etwas an, er möchte darüber herfallen und es vernichten;
das Blut nun ist gleichsam der flüssige Leib und so strömt es denn mit Ge¬
walt nach der Oberfläche des Körpers hin; man möchte "aus der Haut fahren",
wie wir sehr bezeichnend sagen. Der Aengstliche dagegen mochte sich verstecken,
um nicht gesehen zu werden; er möchte sich klein machen, um "in ein Mause¬
loch zu kriechen"; ganz analog diesem Streben strömt nun auch das Blut vou
der Oberfläche des Körpers nach dem Innern; er wird blaß. Wer außer
Fassung geräth, macht "ein langes Gesicht"; was er etwa in der Hand hält,
läßt er fallen: natürlich, wo die Seele ihre Fassung verloren hat. verliert sie
auch der Körper, die Muskeln werden schlaff, daher das lange Gesicht. Da¬
gegen wer den in ihm aufsteigenden Zorn beherrschen will, runzelt die Stirn
und preßt den Mund zusammen; er will seiner Empfindung gleichsam alle Aus-


d. h, in die Seele aufgenommen und in Vorstellungen umgesetzt, sondern die
Innenwelt wird auch somatisch gemacht, d. h, äußerlich an dem Körper dar¬
gestellt, was im Innern vorgeht. Die Seele kommt nicht nur dem von
außen kommenden Eindrucke entgegen (denn wenn sie das nicht thut, nicht
aufmerkt, kommt ja überhaupt kein Eindruck zum Bewußtsein, ist also gleich¬
sam für die Seele überhaupt nicht vorhanden); sondern sie ruft auch in dem,
Körper wiederum solche Vorgänge hervor, welche zeigen, wie die Seele da¬
von afficirt worden ist. Einige Beispiele werden dies klar machen. Wenn
etwa die tiefe Dunkelheit, in der wir uns befinden, durch einen Lichtstrahl
erhellt wird, so wenden wir ganz unwillkürlich das Auge nach dem leuchten¬
den Gegenstande hin; wir sehen nicht blos (passives Verhalten), sondern
w>r blicken hin (activ). Ebenso wenn in lautloser Stille plötzlich ein Ton
vernehmbar wird, so hören wir nicht blos (passiv), sondern wir horchen (activ);
die ganze Aufregung, die sich der Seele bemächtigt hat, prägt sich auch un
Körper, in den Bewegungen des Auges und der Gesichtsmuskeln, in den Wen¬
dungen des Kopfes, in der Anspannung der Sehnen u. s. w. aus. Die
thätig gewordene Seele setzt auch sofort den Körper in eine entsprechende
Thätigkeit.

Diese Thätigkeit nun, insofern sie eine unbewußte ist, ist auch nicht von
unserm freien Willen abhängig und ist daher auch in allen Menschen unter
gleichen Umständen überall ein und dieselbe, daher denn auch Jedem sofort
unmittelbar verständlich. Wir erinnern hier nur an die Symbolik der Mienen
und Geberden, durch welche die innern Zustände äußerlich kund werden; sie sind
symbolisch, d. h. sie haben eine unverkennbare Ähnlichkeit mit den geistigen
Zuständen, die sie ausdrücken sollen, und erwecken daher in demjenigen, der sic
wahrnimmt, die entsprechenden Vorstellungen. Wir erkennen, um einige Bei¬
spiele anzuführen, sofort mit dem ersten Blicke, ob Einer in Zorn oder in
Angst geräth. Der Zorn macht roth, die Angst blaß, ganz naturgemäß: der
Zornige kämpft gegen etwas an, er möchte darüber herfallen und es vernichten;
das Blut nun ist gleichsam der flüssige Leib und so strömt es denn mit Ge¬
walt nach der Oberfläche des Körpers hin; man möchte „aus der Haut fahren",
wie wir sehr bezeichnend sagen. Der Aengstliche dagegen mochte sich verstecken,
um nicht gesehen zu werden; er möchte sich klein machen, um „in ein Mause¬
loch zu kriechen"; ganz analog diesem Streben strömt nun auch das Blut vou
der Oberfläche des Körpers nach dem Innern; er wird blaß. Wer außer
Fassung geräth, macht „ein langes Gesicht"; was er etwa in der Hand hält,
läßt er fallen: natürlich, wo die Seele ihre Fassung verloren hat. verliert sie
auch der Körper, die Muskeln werden schlaff, daher das lange Gesicht. Da¬
gegen wer den in ihm aufsteigenden Zorn beherrschen will, runzelt die Stirn
und preßt den Mund zusammen; er will seiner Empfindung gleichsam alle Aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/56>, abgerufen am 15.05.2024.