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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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gänge versperren und Jeder erkennt, was sich auf seinem Gesichte darstellt.
Wer einen Entfernten zu sich bescheiden will, winkt mit der Hand; in dem
Winken liegt Bewegung und Richtung angedeutet, und Keiner wird diesen Gestus
mißverstehen.*) Wer dagegen die Faust mit dem Stocke erhebt, gibt deutlich ge¬
nug zu erkennen, was er will, so daß selbst das Thier es versteht und sich
womöglich davon macht. Der schleichende Gang mißfällt uns; wir wissen,
auch der Neid, der Verrath schleicht, und so trauen wir keinem Schleicher etwas
Gutes zu. Wer von einem großen Unglück betroffen wird, hebt ringend die
Hände über den Kopf empor; hat nicht wirklich seine Lage Ähnlichkeit mit der
desjenigen, der im Wasser versinkt und zu ertrinken droht? Wie das Wasser
so geht das Unglück über den Menschen hinaus, und nach einem rettenden An¬
haltspunkte haschend streckt er die Hände empor.

Wir werden sogleich sehen, daß diese Erscheinungen, die sich durch viele
andere noch erweitern lassen, in engem Zusammenhange mit unserm Gegen¬
stande stehen und zur Aufhellung desselben wesentlich beitragen. Als Resultat
also halten wir fest, daß die Affectionen der Seele sofort auch in dem Körper
ein Korrelat, ein Entsprechendes in den Lebensäußerungen, in den Bewe¬
gungen finden und daß zwischen dem innern Vorgange und dem äußerlichen
Ausdrucke desselben eine so entschiedene Verwandtschaft oder Ähnlichkeit be¬
steht, daß wir in dem letztern sofort den erstem wiederfinden.

Gehen wir jetzt zum Laute über. Der Laut ist in der ganzen Natur von
der größten Bedeutung. Er wird bekanntlich hervorgebracht durch die Schwin¬
gungen, in welche die Theile eines Körpers gebracht werden; diese Schwingun¬
gen theilen sich der Luft mit, setzen diese in wellenförmige Bewegungen, und
diese dringen nun in das Ohr, wo sie die Gehörsnerven afficiren. Wie die
Gehörsnerven am tiefsten, gleichsam hinter festen Bollwerken verschanzt, in dem
Kopfe liegen, so ist auch das Gehör der tiefste, innerlichste Sinn. Das Auge
offenbart nur die Oberfläche der Gegenstände, lehrt uns nur, was sie zu sein
scheinen; das Ohr dagegen, welches den aus dem Innern hervorquellenden
Ton der Dinge vernimmt, läßt uns erkennen, was in ihnen geschieht, lehrt
uns, was sie sind. Das eigentliche innere Wesen eines Dinges spricht sich
am meisten und reinsten aus in dem Laut, Ton, Klang, Schall, oder wie wir
es sonst immer nennen mögen. Das Auge täuscht leicht; das Ohr aber lehrt
uns leicht das Volle von dem Leeren, das Feste von dem Lösen, das innerlich
Regelmäßige von dem Unregelmäßigen unterscheiden. Am Klänge erkennen
wir das falsche Geldstück leicht, so täuschend sein Aussehen auch sein mag.

Klarer noch tritt uns die Bedeutsamkeit des Lautes entgegen, wenn wir



") Dagegen ist zu bemerken, daß man im Orient mit der Hand von sich ab winkt, wenn
D, Red. man Jemand zu sich heranzuwinken wünscht.
Grenzboten IV- 1S62. 7

gänge versperren und Jeder erkennt, was sich auf seinem Gesichte darstellt.
Wer einen Entfernten zu sich bescheiden will, winkt mit der Hand; in dem
Winken liegt Bewegung und Richtung angedeutet, und Keiner wird diesen Gestus
mißverstehen.*) Wer dagegen die Faust mit dem Stocke erhebt, gibt deutlich ge¬
nug zu erkennen, was er will, so daß selbst das Thier es versteht und sich
womöglich davon macht. Der schleichende Gang mißfällt uns; wir wissen,
auch der Neid, der Verrath schleicht, und so trauen wir keinem Schleicher etwas
Gutes zu. Wer von einem großen Unglück betroffen wird, hebt ringend die
Hände über den Kopf empor; hat nicht wirklich seine Lage Ähnlichkeit mit der
desjenigen, der im Wasser versinkt und zu ertrinken droht? Wie das Wasser
so geht das Unglück über den Menschen hinaus, und nach einem rettenden An¬
haltspunkte haschend streckt er die Hände empor.

Wir werden sogleich sehen, daß diese Erscheinungen, die sich durch viele
andere noch erweitern lassen, in engem Zusammenhange mit unserm Gegen¬
stande stehen und zur Aufhellung desselben wesentlich beitragen. Als Resultat
also halten wir fest, daß die Affectionen der Seele sofort auch in dem Körper
ein Korrelat, ein Entsprechendes in den Lebensäußerungen, in den Bewe¬
gungen finden und daß zwischen dem innern Vorgange und dem äußerlichen
Ausdrucke desselben eine so entschiedene Verwandtschaft oder Ähnlichkeit be¬
steht, daß wir in dem letztern sofort den erstem wiederfinden.

Gehen wir jetzt zum Laute über. Der Laut ist in der ganzen Natur von
der größten Bedeutung. Er wird bekanntlich hervorgebracht durch die Schwin¬
gungen, in welche die Theile eines Körpers gebracht werden; diese Schwingun¬
gen theilen sich der Luft mit, setzen diese in wellenförmige Bewegungen, und
diese dringen nun in das Ohr, wo sie die Gehörsnerven afficiren. Wie die
Gehörsnerven am tiefsten, gleichsam hinter festen Bollwerken verschanzt, in dem
Kopfe liegen, so ist auch das Gehör der tiefste, innerlichste Sinn. Das Auge
offenbart nur die Oberfläche der Gegenstände, lehrt uns nur, was sie zu sein
scheinen; das Ohr dagegen, welches den aus dem Innern hervorquellenden
Ton der Dinge vernimmt, läßt uns erkennen, was in ihnen geschieht, lehrt
uns, was sie sind. Das eigentliche innere Wesen eines Dinges spricht sich
am meisten und reinsten aus in dem Laut, Ton, Klang, Schall, oder wie wir
es sonst immer nennen mögen. Das Auge täuscht leicht; das Ohr aber lehrt
uns leicht das Volle von dem Leeren, das Feste von dem Lösen, das innerlich
Regelmäßige von dem Unregelmäßigen unterscheiden. Am Klänge erkennen
wir das falsche Geldstück leicht, so täuschend sein Aussehen auch sein mag.

Klarer noch tritt uns die Bedeutsamkeit des Lautes entgegen, wenn wir



") Dagegen ist zu bemerken, daß man im Orient mit der Hand von sich ab winkt, wenn
D, Red. man Jemand zu sich heranzuwinken wünscht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/57>, abgerufen am 10.06.2024.