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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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männer, die ihre Gattinnen verlassen, zur Erfüllung ihrer Pflicht zurückzuführen
oder auch die Erfüllung eures Eheversprechens zu erzwingen. Ein Fall ver¬
dient besonders hervorgehoben zu werven. Dirsko hat eine gewisse Gerrha
entführt und sich mit ihr vermählt; die Giltigkeit der Ehe wird angefochten,
weil das Mädchen früher schon einem Andern verlobt gewesen sei, doch nachdem
sich herausgestellt, daß diese Verlobung erfolgt war, ehe Gerrha das 10. Jahr
erreicht, entscheidet sich der Bischof für die Giltigkeit der Ehe mit Dirsko.
Dem Ganzen ist noch zuzufügen, daß diese Gerrha schon, ehe sie 7 Jahr alt
war, einem Andern verlobt wurde, der aber bald starb (I, 13--16).

Da der Raum ein näheres Eingehen auf das hier gebotene Material ver¬
bietet, so mögen hier nur noch wenige Worte ihre Stelle finden, um zu zeigen,
wie auch noch nach einer andern Seite hin unser Buch reiche Ausbeute gewährt,
nämlich für die Kenntniß der Sittenzustande jener Zeit und speciell der des
Klerus. Das Bild ist allerdings wenig erfreulich, so wenig wie das, was ein
andrer Zeitgenosse, der päpstliche Gesandte, Galhard de Carceribus, in Theiners
NonumeirtÄ I^oloiÜÄL et I^itlruaiüs,", I. entwirft. Zunächst muß man nun
zugestehen, daß der Klerus selbst übel daran war in jener wilden und gewalt¬
samen Zeil, wo von wirklicher Religiosität recht wenig zu finden war. Aller
Orten streckt der Adel seine Hand nach dem Kirchengute aus, als der Schlimmste
aber erscheint hier der Herzog von Liegnitz und Brieg Boleslaus, ein auch
sonst übel berüchtigter Fürst. Er brandschatzt fortwährend die Kirchengüter
und bedrängt seinen ehemaligen Vormund Bischof Heinrich so, daß dieser
oft nicht wagt, von seinen Gütern im Neißischen sich nach Breslau zu be¬
geben. Sogar die Kirchen selbst und speciell die breslauer Domkirche
werden wiederholt bestohlen. Und nicht viel besser waren die Bürger der
Städte; der Geist des Bürgerthums hat nie recht" Hinneigung empfunden zu
dem der Hierarchie; der Klerus war hier wenig beliebt, und der Bischof
findet sehr häusig Gelegenheit, wegen Ueberhebungen der städtischen Obrig¬
keit, wegen Beeinträchtigungen oder directer Angriffe auf Geistliche seitens
der Bürger zu klagen. Doch meistens schützt die Genossenschaft den Schul¬
digen, und die einzige Waffe, die der geistlichen Obrigkeit dann noch übrig'
blieb, Bann und Interdict, verlieren, zu oft angewendet, leicht ihre Kraft. Die
Stadt fand für Geld Priester, die trotz des Jnterdictes Gottesdienst hielten,
und spottete des Gegners." So schreibt einst während der Abwesenheit des
Bischofs der Dompropst Heinrich und das Capitel an den Cardinal Gentilis,
der wieder einmal das Interdict über Breslau ausgesprochen haben will, man
möge sie mit dergleichen Aufträgen verschonen, die ihnen nur Haß und Gefahr
brächten; schon sei es so weit gekommen daß er, der Propst, sich nicht mehr
ohne Lebensgefahr in Breslau sehen lassen könne (III, 7).. Aber auch der Klerus
selbst war ungemein verwildert. Als Bischof Heinrich sein Amt antrat, fand
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männer, die ihre Gattinnen verlassen, zur Erfüllung ihrer Pflicht zurückzuführen
oder auch die Erfüllung eures Eheversprechens zu erzwingen. Ein Fall ver¬
dient besonders hervorgehoben zu werven. Dirsko hat eine gewisse Gerrha
entführt und sich mit ihr vermählt; die Giltigkeit der Ehe wird angefochten,
weil das Mädchen früher schon einem Andern verlobt gewesen sei, doch nachdem
sich herausgestellt, daß diese Verlobung erfolgt war, ehe Gerrha das 10. Jahr
erreicht, entscheidet sich der Bischof für die Giltigkeit der Ehe mit Dirsko.
Dem Ganzen ist noch zuzufügen, daß diese Gerrha schon, ehe sie 7 Jahr alt
war, einem Andern verlobt wurde, der aber bald starb (I, 13—16).

Da der Raum ein näheres Eingehen auf das hier gebotene Material ver¬
bietet, so mögen hier nur noch wenige Worte ihre Stelle finden, um zu zeigen,
wie auch noch nach einer andern Seite hin unser Buch reiche Ausbeute gewährt,
nämlich für die Kenntniß der Sittenzustande jener Zeit und speciell der des
Klerus. Das Bild ist allerdings wenig erfreulich, so wenig wie das, was ein
andrer Zeitgenosse, der päpstliche Gesandte, Galhard de Carceribus, in Theiners
NonumeirtÄ I^oloiÜÄL et I^itlruaiüs,«, I. entwirft. Zunächst muß man nun
zugestehen, daß der Klerus selbst übel daran war in jener wilden und gewalt¬
samen Zeil, wo von wirklicher Religiosität recht wenig zu finden war. Aller
Orten streckt der Adel seine Hand nach dem Kirchengute aus, als der Schlimmste
aber erscheint hier der Herzog von Liegnitz und Brieg Boleslaus, ein auch
sonst übel berüchtigter Fürst. Er brandschatzt fortwährend die Kirchengüter
und bedrängt seinen ehemaligen Vormund Bischof Heinrich so, daß dieser
oft nicht wagt, von seinen Gütern im Neißischen sich nach Breslau zu be¬
geben. Sogar die Kirchen selbst und speciell die breslauer Domkirche
werden wiederholt bestohlen. Und nicht viel besser waren die Bürger der
Städte; der Geist des Bürgerthums hat nie recht« Hinneigung empfunden zu
dem der Hierarchie; der Klerus war hier wenig beliebt, und der Bischof
findet sehr häusig Gelegenheit, wegen Ueberhebungen der städtischen Obrig¬
keit, wegen Beeinträchtigungen oder directer Angriffe auf Geistliche seitens
der Bürger zu klagen. Doch meistens schützt die Genossenschaft den Schul¬
digen, und die einzige Waffe, die der geistlichen Obrigkeit dann noch übrig'
blieb, Bann und Interdict, verlieren, zu oft angewendet, leicht ihre Kraft. Die
Stadt fand für Geld Priester, die trotz des Jnterdictes Gottesdienst hielten,
und spottete des Gegners." So schreibt einst während der Abwesenheit des
Bischofs der Dompropst Heinrich und das Capitel an den Cardinal Gentilis,
der wieder einmal das Interdict über Breslau ausgesprochen haben will, man
möge sie mit dergleichen Aufträgen verschonen, die ihnen nur Haß und Gefahr
brächten; schon sei es so weit gekommen daß er, der Propst, sich nicht mehr
ohne Lebensgefahr in Breslau sehen lassen könne (III, 7).. Aber auch der Klerus
selbst war ungemein verwildert. Als Bischof Heinrich sein Amt antrat, fand
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[0075] männer, die ihre Gattinnen verlassen, zur Erfüllung ihrer Pflicht zurückzuführen oder auch die Erfüllung eures Eheversprechens zu erzwingen. Ein Fall ver¬ dient besonders hervorgehoben zu werven. Dirsko hat eine gewisse Gerrha entführt und sich mit ihr vermählt; die Giltigkeit der Ehe wird angefochten, weil das Mädchen früher schon einem Andern verlobt gewesen sei, doch nachdem sich herausgestellt, daß diese Verlobung erfolgt war, ehe Gerrha das 10. Jahr erreicht, entscheidet sich der Bischof für die Giltigkeit der Ehe mit Dirsko. Dem Ganzen ist noch zuzufügen, daß diese Gerrha schon, ehe sie 7 Jahr alt war, einem Andern verlobt wurde, der aber bald starb (I, 13—16). Da der Raum ein näheres Eingehen auf das hier gebotene Material ver¬ bietet, so mögen hier nur noch wenige Worte ihre Stelle finden, um zu zeigen, wie auch noch nach einer andern Seite hin unser Buch reiche Ausbeute gewährt, nämlich für die Kenntniß der Sittenzustande jener Zeit und speciell der des Klerus. Das Bild ist allerdings wenig erfreulich, so wenig wie das, was ein andrer Zeitgenosse, der päpstliche Gesandte, Galhard de Carceribus, in Theiners NonumeirtÄ I^oloiÜÄL et I^itlruaiüs,«, I. entwirft. Zunächst muß man nun zugestehen, daß der Klerus selbst übel daran war in jener wilden und gewalt¬ samen Zeil, wo von wirklicher Religiosität recht wenig zu finden war. Aller Orten streckt der Adel seine Hand nach dem Kirchengute aus, als der Schlimmste aber erscheint hier der Herzog von Liegnitz und Brieg Boleslaus, ein auch sonst übel berüchtigter Fürst. Er brandschatzt fortwährend die Kirchengüter und bedrängt seinen ehemaligen Vormund Bischof Heinrich so, daß dieser oft nicht wagt, von seinen Gütern im Neißischen sich nach Breslau zu be¬ geben. Sogar die Kirchen selbst und speciell die breslauer Domkirche werden wiederholt bestohlen. Und nicht viel besser waren die Bürger der Städte; der Geist des Bürgerthums hat nie recht« Hinneigung empfunden zu dem der Hierarchie; der Klerus war hier wenig beliebt, und der Bischof findet sehr häusig Gelegenheit, wegen Ueberhebungen der städtischen Obrig¬ keit, wegen Beeinträchtigungen oder directer Angriffe auf Geistliche seitens der Bürger zu klagen. Doch meistens schützt die Genossenschaft den Schul¬ digen, und die einzige Waffe, die der geistlichen Obrigkeit dann noch übrig' blieb, Bann und Interdict, verlieren, zu oft angewendet, leicht ihre Kraft. Die Stadt fand für Geld Priester, die trotz des Jnterdictes Gottesdienst hielten, und spottete des Gegners." So schreibt einst während der Abwesenheit des Bischofs der Dompropst Heinrich und das Capitel an den Cardinal Gentilis, der wieder einmal das Interdict über Breslau ausgesprochen haben will, man möge sie mit dergleichen Aufträgen verschonen, die ihnen nur Haß und Gefahr brächten; schon sei es so weit gekommen daß er, der Propst, sich nicht mehr ohne Lebensgefahr in Breslau sehen lassen könne (III, 7).. Aber auch der Klerus selbst war ungemein verwildert. Als Bischof Heinrich sein Amt antrat, fand '' 9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/75>, abgerufen am 28.05.2024.