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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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guten Gesellschaft in der Vergötterung des Dichters wetteiferten und Willkomms
sogenanntes "Leben Lord Byrons" tausend jungen Deutschen den Sinn bethörte.
Seitdem hat sich die Welt von Grund aus verwandelt, und die lieblosen Ur¬
theile über Byron, die heute in Aller Munde sind, erinnern oft lebhaft an den
Grimm des Barbaren, der sein machtloses Götzenbild mißhandelt. Wie soll
ein Mann leidenschaftslos über den Dichter des Weltschmerzes reden, wenn er
sich im Stillen sagen muß, auch er selber habe einst in dem byronschen tra¬
gischen Blicke, der höhnisch gekräuselten Lippe und dem lose geschlungenen Hals¬
tuch die sicheren Kennzeichen des Genius gesucht? Von all diesen Irrthümern
hat sich Herr Professor Eberty rühmlich frei gehalten. Seine Biographie ist
ein gutes verständiges Buch, das aus dem Wirrwarr gehässiger Anklagen und
unverständigen Lobes die Thatsachen besonnen heraushebt und klar und na¬
türlich erzählt. Wir kennen keine zweite gleich unparteiische Schilderung des
Dichters, und es ist kein geringes Zeugniß für Byrons angebornen Adel, daß
aus' dieser schmucklosen, nichts bemäntelnden Darstellung sein Bild sich zuletzt
schön und stattlich emporhebt und jedem Leser einen versöhnenden Eindruck
hinterläßt. Freilich können wir nicht sagen, daß Herr Eberty seinen Helden
ganz verstanden habe; seinem einfach ruhigen Sinne erschließt sich wohl der
klare harmonische Charakter eines Walter Scott, dessen Leben er früher in
einem guten Buche geschildert hat, doch nicht die vulkanische Natur eines By¬
ron; bei seiner schlichten Weise zu erzählen, kommt der erschütternde Ernst
des Gegenstandes nicht zur vollen Geltung. Und noch mehr bedauern wir,
daß der Verfasser sich den Umkreis seiner Arbeit allzu eng abgesteckt hat.
Zwar steht es jedem Schriftsteller frei, sich ein Thema nach seinem Belieben zu
wählen, und es ist eine Unsitte unsrer überkritischen Zeit, darüber mit ihm zu
rechten. Aber die Kritik darf fragen, ob die Lösung der Aufgabe möglich war
innerhalb der Grenzen, die der Verfasser sich setzte. Und dies müssen wir ver¬
neinen, wenn eine Biographie Byrons lediglich die äußeren Lebensumstände
des Dichters erzählt und von seinen Dichtungen nur beiläufig redet. Eines
Dichters Leben sind seine Werke -- der alte Gemeinplatz bleibt ewig wahr,
nun gar einem ganz modernen, ganz subjektiven Dichter gegenüber. Auch By¬
rons Einfluß auf die Weltliteratur durfte sein Biograph schon darum nicht mit
Stillschweigen übergehen, weil der ungeheure europäische Erfolg seiner Werke
manche Züge seines Charakters erst erklärt. -- Versuchen wir einige An¬
deutungen über Byrons Einwirkung auf die Ideen der Zeitgenossen.

Lord Byrons Verhängniß lag in seiner trotzigen Absonderung von den
Sitten seines Volks, und das Urtheil über ihn hängt schließlich von der Frage
ab, ob diese Gesittung in Wahrheit verbildet genug war, um den verwegenen
Widerstand eines Einzelnen zu rechtfertigen. Von allen Aufgaben des Histo-
ikers aber ist dies Entscheiden über die Reinheit der sittlichen Begriffe anderer


guten Gesellschaft in der Vergötterung des Dichters wetteiferten und Willkomms
sogenanntes „Leben Lord Byrons" tausend jungen Deutschen den Sinn bethörte.
Seitdem hat sich die Welt von Grund aus verwandelt, und die lieblosen Ur¬
theile über Byron, die heute in Aller Munde sind, erinnern oft lebhaft an den
Grimm des Barbaren, der sein machtloses Götzenbild mißhandelt. Wie soll
ein Mann leidenschaftslos über den Dichter des Weltschmerzes reden, wenn er
sich im Stillen sagen muß, auch er selber habe einst in dem byronschen tra¬
gischen Blicke, der höhnisch gekräuselten Lippe und dem lose geschlungenen Hals¬
tuch die sicheren Kennzeichen des Genius gesucht? Von all diesen Irrthümern
hat sich Herr Professor Eberty rühmlich frei gehalten. Seine Biographie ist
ein gutes verständiges Buch, das aus dem Wirrwarr gehässiger Anklagen und
unverständigen Lobes die Thatsachen besonnen heraushebt und klar und na¬
türlich erzählt. Wir kennen keine zweite gleich unparteiische Schilderung des
Dichters, und es ist kein geringes Zeugniß für Byrons angebornen Adel, daß
aus' dieser schmucklosen, nichts bemäntelnden Darstellung sein Bild sich zuletzt
schön und stattlich emporhebt und jedem Leser einen versöhnenden Eindruck
hinterläßt. Freilich können wir nicht sagen, daß Herr Eberty seinen Helden
ganz verstanden habe; seinem einfach ruhigen Sinne erschließt sich wohl der
klare harmonische Charakter eines Walter Scott, dessen Leben er früher in
einem guten Buche geschildert hat, doch nicht die vulkanische Natur eines By¬
ron; bei seiner schlichten Weise zu erzählen, kommt der erschütternde Ernst
des Gegenstandes nicht zur vollen Geltung. Und noch mehr bedauern wir,
daß der Verfasser sich den Umkreis seiner Arbeit allzu eng abgesteckt hat.
Zwar steht es jedem Schriftsteller frei, sich ein Thema nach seinem Belieben zu
wählen, und es ist eine Unsitte unsrer überkritischen Zeit, darüber mit ihm zu
rechten. Aber die Kritik darf fragen, ob die Lösung der Aufgabe möglich war
innerhalb der Grenzen, die der Verfasser sich setzte. Und dies müssen wir ver¬
neinen, wenn eine Biographie Byrons lediglich die äußeren Lebensumstände
des Dichters erzählt und von seinen Dichtungen nur beiläufig redet. Eines
Dichters Leben sind seine Werke — der alte Gemeinplatz bleibt ewig wahr,
nun gar einem ganz modernen, ganz subjektiven Dichter gegenüber. Auch By¬
rons Einfluß auf die Weltliteratur durfte sein Biograph schon darum nicht mit
Stillschweigen übergehen, weil der ungeheure europäische Erfolg seiner Werke
manche Züge seines Charakters erst erklärt. — Versuchen wir einige An¬
deutungen über Byrons Einwirkung auf die Ideen der Zeitgenossen.

Lord Byrons Verhängniß lag in seiner trotzigen Absonderung von den
Sitten seines Volks, und das Urtheil über ihn hängt schließlich von der Frage
ab, ob diese Gesittung in Wahrheit verbildet genug war, um den verwegenen
Widerstand eines Einzelnen zu rechtfertigen. Von allen Aufgaben des Histo-
ikers aber ist dies Entscheiden über die Reinheit der sittlichen Begriffe anderer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/10>, abgerufen am 15.05.2024.