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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Kronprinz erwiedert habe: "Es freut mich, dies aus Ihrem Munde zu hören."
Gewiß zweifelt kein Mensch daran, daß ein Mann von der wissenschaftlichen
Bildung und sittlichen Tüchtigkeit des Domherrn Richter oder wie ihn die Polen
schreiben Nycbter solche Worte aus voller Ueberzeugung gesprochen habe: wir
wissen aber auch, welche Schritte vor zwei Jahren geschahen, um seinen Ein¬
fluß aus den Erzbischof zu brechen, und daß diese Schritte den besten Erfolg
hatten. Wie wenig ferner die Geistlichkeit der Provinz das Vertrauen des
Prälaten rechtfertigt, erfahren wir täglich. Wir wurden neuerdings daran
erinnert, da die Negierung genöthigt war, dem Probst Hübner in Zivns daß
Schulinspectorat abzunehmen.

Bekanntlich wird ihr das formale Recht dazu bestritten, und das Kreisgericht
zu Kosten hat sich (vgl. Ur. 18 S. 168.) in einem Specialfall gegen sie erklärt.
Gewiß ist die einseitige Cassation von Schulinspectoren, die dennoch Pfarrer
bleiben dürfen, eine gefährliche Waffe, die sich leicht gegen den. der sie führt,
zurückwenden kann, denn diese Inspectorate sind für die Geistlichen mit Kosten,
Arbeit, Aerger verbunden und bringen ihnen gar nichts ein. Hat nun die
Behörde den Grundsatz, daß sich der Pfarrer solche Last gefallen lassen müsse,
factisch verläugnet, so kann leicht der Fall einzelner oder allgemeinerer Verzicht¬
leistungen eintreten. Dennoch kann man, darf man den Herren um keinen Preis
den Einfluß auf die Jugend lassen, den sie mißbrauchen. Aus diesem Dilemma
führt entweder der Weg des Gesetzes, das solch Ding regle, oder kürzer der Muth
der Behörde, ihr ius eil'(!k>, ssera,, das sie auch der katholischen Kirche gegen¬
über nicbt aufgegeben hat. geltend zu machen, den Hohn nicht länger zu dul¬
den, daß gerichtlich bestrafte Geistliche aus dem Gefängniß heraus an den
Altar treten. Hat unsere Regierung, die ja sonst so sehr auf ihre Stärke hält,
erst bewiesen, daß sie sich nicht vor jedem aufrührerischen Vicar beuge, sind erst
einige Geistliche entfernt, so wird die "posenscbe Frage" auch ohne Herrn Jacob
Venedey bald gelöst sein. Daß man sich die Verlegenheiten erspart hätte, wenn
die Simultanschulen, die hier vorgefunden wurden, nicht -- meist wider Willen
der Communen -- in confessionelle verwandelt worden wären, wird hier oft ge¬
sagt. Doch das ist müßige, vielleicht nicht einmal gerechte Klage; denn in den
Schulen, deren es jetzt noch gibt, wo einige deutsche Kinder mit vielen pol¬
nischen unterrichtet werden, stehen dieselben sehr viel aus. Freilich nicht da
allein. Was würden wohl die edeln Lords von England, die zornesglübenden
Ankläger der russischen Barbarei, was meines Busens Freund der Graf v, Monta-
lembert, was der jüngste blondgelockte Anwalt des edeln, gemarterten Polcn-
stammes sagen, wenn sie zusähen, wie Wirthe in polnischen Dörfern sichs zur
Freude machen, ihre Hunde auf die deutschen Schulkinder zu Hetzen, die bei
ihrem Gehöfre vorbei in die Schule müssen? wenn sie zuhörten, wie die deut¬
schen Kinder von Lehrern und polnischen Mitschülern gescholten werden?


Kronprinz erwiedert habe: „Es freut mich, dies aus Ihrem Munde zu hören."
Gewiß zweifelt kein Mensch daran, daß ein Mann von der wissenschaftlichen
Bildung und sittlichen Tüchtigkeit des Domherrn Richter oder wie ihn die Polen
schreiben Nycbter solche Worte aus voller Ueberzeugung gesprochen habe: wir
wissen aber auch, welche Schritte vor zwei Jahren geschahen, um seinen Ein¬
fluß aus den Erzbischof zu brechen, und daß diese Schritte den besten Erfolg
hatten. Wie wenig ferner die Geistlichkeit der Provinz das Vertrauen des
Prälaten rechtfertigt, erfahren wir täglich. Wir wurden neuerdings daran
erinnert, da die Negierung genöthigt war, dem Probst Hübner in Zivns daß
Schulinspectorat abzunehmen.

Bekanntlich wird ihr das formale Recht dazu bestritten, und das Kreisgericht
zu Kosten hat sich (vgl. Ur. 18 S. 168.) in einem Specialfall gegen sie erklärt.
Gewiß ist die einseitige Cassation von Schulinspectoren, die dennoch Pfarrer
bleiben dürfen, eine gefährliche Waffe, die sich leicht gegen den. der sie führt,
zurückwenden kann, denn diese Inspectorate sind für die Geistlichen mit Kosten,
Arbeit, Aerger verbunden und bringen ihnen gar nichts ein. Hat nun die
Behörde den Grundsatz, daß sich der Pfarrer solche Last gefallen lassen müsse,
factisch verläugnet, so kann leicht der Fall einzelner oder allgemeinerer Verzicht¬
leistungen eintreten. Dennoch kann man, darf man den Herren um keinen Preis
den Einfluß auf die Jugend lassen, den sie mißbrauchen. Aus diesem Dilemma
führt entweder der Weg des Gesetzes, das solch Ding regle, oder kürzer der Muth
der Behörde, ihr ius eil'(!k>, ssera,, das sie auch der katholischen Kirche gegen¬
über nicbt aufgegeben hat. geltend zu machen, den Hohn nicht länger zu dul¬
den, daß gerichtlich bestrafte Geistliche aus dem Gefängniß heraus an den
Altar treten. Hat unsere Regierung, die ja sonst so sehr auf ihre Stärke hält,
erst bewiesen, daß sie sich nicht vor jedem aufrührerischen Vicar beuge, sind erst
einige Geistliche entfernt, so wird die „posenscbe Frage" auch ohne Herrn Jacob
Venedey bald gelöst sein. Daß man sich die Verlegenheiten erspart hätte, wenn
die Simultanschulen, die hier vorgefunden wurden, nicht — meist wider Willen
der Communen — in confessionelle verwandelt worden wären, wird hier oft ge¬
sagt. Doch das ist müßige, vielleicht nicht einmal gerechte Klage; denn in den
Schulen, deren es jetzt noch gibt, wo einige deutsche Kinder mit vielen pol¬
nischen unterrichtet werden, stehen dieselben sehr viel aus. Freilich nicht da
allein. Was würden wohl die edeln Lords von England, die zornesglübenden
Ankläger der russischen Barbarei, was meines Busens Freund der Graf v, Monta-
lembert, was der jüngste blondgelockte Anwalt des edeln, gemarterten Polcn-
stammes sagen, wenn sie zusähen, wie Wirthe in polnischen Dörfern sichs zur
Freude machen, ihre Hunde auf die deutschen Schulkinder zu Hetzen, die bei
ihrem Gehöfre vorbei in die Schule müssen? wenn sie zuhörten, wie die deut¬
schen Kinder von Lehrern und polnischen Mitschülern gescholten werden?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/111>, abgerufen am 28.04.2024.