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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Unter diesen trostlosen Umständen ist es in der That zu bewundern, daß
der Geist des Volkes nur überhaupt wieder zur literarischen Thätigkeit erwachen
konnte. Das Wiederaufleben trifft zusammen mit den mütterlich wohlwollenden
Anregungen Maria Theresias und den Anfängen der josefinischen Reformen.
Es ist aber in seiner Weise bezeichnend für das widerspruchsvolle Wesen des
Aufklärungsdespotismus in derjenigen Form, für welche Kaiser Josefs Name
in gutem und in üblem Sinne typisch geworden ist. Diese Hast der Anticipation,
mit welcher der Märtyrer unter den modernen Monarchen fast stets den Zweck,
aber nicht die Mittel wollte, finden wir auch hier wieder. Die Vergleichung
mit einer anderen, genialen Staatskunst läßt sich etwa so ausdrücken: beide
wollen, daß die Völker selig werden; aber die eine läßt "jedem seine eigene
Fatzvn", die andere zwingt allen die eine auf. Ohne Wirkung bleibt auch
sie nicht; aber diese Wirkung ist naturgemäß in der Regel das Gegentheil der
Absicht. Die socialen und staatsökonomischen Reformen der josefinischen Aera
gehen auch in Böhmen auf Hebung des Selbstgefühls und der Freiheit des
geknechteten Standes aus, des nämlichen, aus welchem eine Erneuerung der
verschwundenen Nationalität möglich schien und nach übereinstimmenden Natur¬
erscheinungen des Völkerlebens auch möglich war; aber zu gleicher Zeit schließen
die Unterrichtsgcsetzc diesen Stand von der Möglichkeit aus, sich durch tüchtige
Geistesbildung mit den übrigen so höchst verschiedenartigen Elementen der Be¬
völkerung wieder zu verquicken und dadurch den rechten sittlichen Boden und
den nothwendigen Antrieb der Weiterentwicklung zu erwerben. Denn zu diesem
Ende war es unerläßlich, das Volk in der heimischen Sprache zu erziehen.
Erst wenn sich für dasselbe durch gute Elementarbildung der Weg geebnet hätte,
um zu höherem Unterricht fortzuschreiten, wäre das Hinderniß zu überwinden
gewesen, welches darin lag, daß die fremde deutsche Sprache das gebotene
Medium solcher Fortbildung war. Dagegen zeugt es von unglaublicher Naive¬
tät, wenn die Regierung es u. a. für nöthig fand, in einer Verordnung von
1783 die Schulcommissare ausdrücklich erst darauf anzuweisen, "die böhmische
Sprache sich um so mehr zu eigen zu machen, als es beinahe keinen Kreis im
Lande gibt, der diese Kenntniß an dem Kreiscommissare nicht foderte!" Wo
solche Anschauungen, wie sie sich in derartigen Documenten verrathen, zu Grunde
lagen, konnte an eine wirklich fruchtbare Förderung des Volkes aus seinem
Kerne heraus nicht gedacht werden. Ueberdies nahmen die socialen Conflicte,
welche durch die Robotablösungsfrage verursacht wurden, die unteren Kreise
des Volkes völlig in Anspruch, zumal da die Regierung, in den unangenehmen
Streit mit den Ständen verwickelt, sehr bald nur nach Mitteln suchte, aus
der Noth eine Tugend machen 'zu können, indem sie die josefinischen Ueber-
schwänglichkeiten allmälig abminderte und in den langwierigsten Erwägungen
erstickte. Aber kein Anstoß, der tiefe und wichtige Interessen eines Volkes be-


Unter diesen trostlosen Umständen ist es in der That zu bewundern, daß
der Geist des Volkes nur überhaupt wieder zur literarischen Thätigkeit erwachen
konnte. Das Wiederaufleben trifft zusammen mit den mütterlich wohlwollenden
Anregungen Maria Theresias und den Anfängen der josefinischen Reformen.
Es ist aber in seiner Weise bezeichnend für das widerspruchsvolle Wesen des
Aufklärungsdespotismus in derjenigen Form, für welche Kaiser Josefs Name
in gutem und in üblem Sinne typisch geworden ist. Diese Hast der Anticipation,
mit welcher der Märtyrer unter den modernen Monarchen fast stets den Zweck,
aber nicht die Mittel wollte, finden wir auch hier wieder. Die Vergleichung
mit einer anderen, genialen Staatskunst läßt sich etwa so ausdrücken: beide
wollen, daß die Völker selig werden; aber die eine läßt „jedem seine eigene
Fatzvn", die andere zwingt allen die eine auf. Ohne Wirkung bleibt auch
sie nicht; aber diese Wirkung ist naturgemäß in der Regel das Gegentheil der
Absicht. Die socialen und staatsökonomischen Reformen der josefinischen Aera
gehen auch in Böhmen auf Hebung des Selbstgefühls und der Freiheit des
geknechteten Standes aus, des nämlichen, aus welchem eine Erneuerung der
verschwundenen Nationalität möglich schien und nach übereinstimmenden Natur¬
erscheinungen des Völkerlebens auch möglich war; aber zu gleicher Zeit schließen
die Unterrichtsgcsetzc diesen Stand von der Möglichkeit aus, sich durch tüchtige
Geistesbildung mit den übrigen so höchst verschiedenartigen Elementen der Be¬
völkerung wieder zu verquicken und dadurch den rechten sittlichen Boden und
den nothwendigen Antrieb der Weiterentwicklung zu erwerben. Denn zu diesem
Ende war es unerläßlich, das Volk in der heimischen Sprache zu erziehen.
Erst wenn sich für dasselbe durch gute Elementarbildung der Weg geebnet hätte,
um zu höherem Unterricht fortzuschreiten, wäre das Hinderniß zu überwinden
gewesen, welches darin lag, daß die fremde deutsche Sprache das gebotene
Medium solcher Fortbildung war. Dagegen zeugt es von unglaublicher Naive¬
tät, wenn die Regierung es u. a. für nöthig fand, in einer Verordnung von
1783 die Schulcommissare ausdrücklich erst darauf anzuweisen, „die böhmische
Sprache sich um so mehr zu eigen zu machen, als es beinahe keinen Kreis im
Lande gibt, der diese Kenntniß an dem Kreiscommissare nicht foderte!" Wo
solche Anschauungen, wie sie sich in derartigen Documenten verrathen, zu Grunde
lagen, konnte an eine wirklich fruchtbare Förderung des Volkes aus seinem
Kerne heraus nicht gedacht werden. Ueberdies nahmen die socialen Conflicte,
welche durch die Robotablösungsfrage verursacht wurden, die unteren Kreise
des Volkes völlig in Anspruch, zumal da die Regierung, in den unangenehmen
Streit mit den Ständen verwickelt, sehr bald nur nach Mitteln suchte, aus
der Noth eine Tugend machen 'zu können, indem sie die josefinischen Ueber-
schwänglichkeiten allmälig abminderte und in den langwierigsten Erwägungen
erstickte. Aber kein Anstoß, der tiefe und wichtige Interessen eines Volkes be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/165>, abgerufen am 31.05.2024.