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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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trifft, und käme er auch noch so unvermittelt, bleibt ohne Wirkung auf den
weiteren Umkreis seines Lebens. So auch hier. Das böhmische Volk war es
lange nicht mehr gewohnt, der Gegenstand fördernder Sorge der Regierung zu
sein. Es empfand sich als einen der Brachacker der monströsen Monarchie,
und selbst zu der Zeit, da aus seinen Gefilde" mit ehernem Munde über das
Schicksal seiner Herrscherdynastie disputirt wurde, hat es nur träge ausgetauscht,
bis der Tag von Kollin die etwa erwachten Gedanken wieder verscheuchte; ein
Verhalten, welches schwerwiegendes Zeugniß ablegt von der totalen Erlahmung.
Aber die josefinischen Pläne bewegten doch den Nerv seiner Existenz, und
mochte ihm auch in dem, was vor Allem noth that, noch so schlecht Wort
gehalten werden, es ward doch seiner selbst wieder inne; es begann, wie ein
aus dem Scheintode Erwachender, sich selbst verwundert zu betrachten. Wir
wollen die edlen und tüchtigen Männer, wie u. a. Dobner, Pelzel, DlabaL
und Prochazka waren, auf deren Wirksamkeit wir damit hindeuten, durch die¬
sen Vergleich nicht in ihrem wohlverdienten Ruhme kränken. Er gilt zunächst
auch nur dem Sinne litterarischer Thätigkeit, in welchem zu jener Zeit die könig¬
lich böhmische Gesellschaft der Wissenschaften sich vorbereitete. In ihren An¬
sängen bemerken wir lediglich das Streben eines gutmüthigen und bienen¬
fleißigen Dilettantismus, der, angeregt durch den Aufschwung der deutschen
Geschichtsschreibung, durch Vereinigung sich zu stärken und zu heben strebt. Er
lieferte zahlreiche Specialmonographien, zwar meist völlig unmethodisch, aber
dafür eben mit dem liebevollen Kleincifer des Sammlers unternommen, der
über dem Triebe nach materieller Vollständigkeit die systematischen Gesichts¬
punkte vergessend, sich im Einzelnen verliert. Da war es denn ein Glück, daß
inmitten dieser engherzigen antiquarischen Betriebsamkeit ein Geist hervortrat,
der mit lebenzündcndem Blicke w die mannigfaltigen Studien, welche Böhmen
zu ihrem Gegenstände hatten, eindrang und ihnen für immer die Wege vor¬
zeichnete und eigenhändig bahnte. Wir meinen Dobrowsky, den man den
böhmischen Grimm nennen darf. Die Thätigkeit fast aller der neuen böh¬
mischen Gelehrten galt der vaterländischen Geschichte im weitesten Wortsinne,
aber es.fehlte ihnen namentlich für die Kritik der Quellen älterer Zeit, die
allmälig zum Vorschein kamen, eine Haupthandhabe: es existirte keine Wissen¬
schaft der böhmischen und überhaupt der slavischen Sprache. Sie begründet
zu haben, ist das Verdienst Dobrowstys. In seinen Arbeiten hat die sla¬
vische Philologie eine Reihe von Meisterwerken erhalten, welche nicht blos in
ihren positiven wie in ihren negativen Resultaten von unschätzbarem Werthe
sind, sondern auch deshalb, weil sie, selbst in ihren Irrthümern überaus lehr¬
reich , den historischen Forschungen der Böhmen den großen Dienst geleistet
haben, welchen die moderne Geschichtsforschung fast aller Literaturvölker der
philologisch-linguistischen Wissenschaft zu danken hat: die Begründung strenger


trifft, und käme er auch noch so unvermittelt, bleibt ohne Wirkung auf den
weiteren Umkreis seines Lebens. So auch hier. Das böhmische Volk war es
lange nicht mehr gewohnt, der Gegenstand fördernder Sorge der Regierung zu
sein. Es empfand sich als einen der Brachacker der monströsen Monarchie,
und selbst zu der Zeit, da aus seinen Gefilde» mit ehernem Munde über das
Schicksal seiner Herrscherdynastie disputirt wurde, hat es nur träge ausgetauscht,
bis der Tag von Kollin die etwa erwachten Gedanken wieder verscheuchte; ein
Verhalten, welches schwerwiegendes Zeugniß ablegt von der totalen Erlahmung.
Aber die josefinischen Pläne bewegten doch den Nerv seiner Existenz, und
mochte ihm auch in dem, was vor Allem noth that, noch so schlecht Wort
gehalten werden, es ward doch seiner selbst wieder inne; es begann, wie ein
aus dem Scheintode Erwachender, sich selbst verwundert zu betrachten. Wir
wollen die edlen und tüchtigen Männer, wie u. a. Dobner, Pelzel, DlabaL
und Prochazka waren, auf deren Wirksamkeit wir damit hindeuten, durch die¬
sen Vergleich nicht in ihrem wohlverdienten Ruhme kränken. Er gilt zunächst
auch nur dem Sinne litterarischer Thätigkeit, in welchem zu jener Zeit die könig¬
lich böhmische Gesellschaft der Wissenschaften sich vorbereitete. In ihren An¬
sängen bemerken wir lediglich das Streben eines gutmüthigen und bienen¬
fleißigen Dilettantismus, der, angeregt durch den Aufschwung der deutschen
Geschichtsschreibung, durch Vereinigung sich zu stärken und zu heben strebt. Er
lieferte zahlreiche Specialmonographien, zwar meist völlig unmethodisch, aber
dafür eben mit dem liebevollen Kleincifer des Sammlers unternommen, der
über dem Triebe nach materieller Vollständigkeit die systematischen Gesichts¬
punkte vergessend, sich im Einzelnen verliert. Da war es denn ein Glück, daß
inmitten dieser engherzigen antiquarischen Betriebsamkeit ein Geist hervortrat,
der mit lebenzündcndem Blicke w die mannigfaltigen Studien, welche Böhmen
zu ihrem Gegenstände hatten, eindrang und ihnen für immer die Wege vor¬
zeichnete und eigenhändig bahnte. Wir meinen Dobrowsky, den man den
böhmischen Grimm nennen darf. Die Thätigkeit fast aller der neuen böh¬
mischen Gelehrten galt der vaterländischen Geschichte im weitesten Wortsinne,
aber es.fehlte ihnen namentlich für die Kritik der Quellen älterer Zeit, die
allmälig zum Vorschein kamen, eine Haupthandhabe: es existirte keine Wissen¬
schaft der böhmischen und überhaupt der slavischen Sprache. Sie begründet
zu haben, ist das Verdienst Dobrowstys. In seinen Arbeiten hat die sla¬
vische Philologie eine Reihe von Meisterwerken erhalten, welche nicht blos in
ihren positiven wie in ihren negativen Resultaten von unschätzbarem Werthe
sind, sondern auch deshalb, weil sie, selbst in ihren Irrthümern überaus lehr¬
reich , den historischen Forschungen der Böhmen den großen Dienst geleistet
haben, welchen die moderne Geschichtsforschung fast aller Literaturvölker der
philologisch-linguistischen Wissenschaft zu danken hat: die Begründung strenger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/166>, abgerufen am 31.05.2024.