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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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gestellt hat. Hierin beruht denn auch der eigentliche innere Grund unseres ab¬
lehnenden Verhaltens gegen die böhmische Literatur, die erklärlicherweise je
länger je ausschließlicher in der historischen Forschung aufging. Alle äußer¬
lichen Umstände, deren hindernden Einfluß wir erwähnten, würden überwunden
werden, träte uns nicht in der verläugneten Einsicht vom Werthe dieses Ver¬
hältnisses bei den Böhmen zum mindesten eine sittliche Unklarheit entgegen,
welche, obendrein noch als ein Palladium patriotischer Weisheit gehegt, zwi¬
schen ihnen und uns die gefährlichste Kluft befestigt. Ebendarum aber ist es von
großer Wichtigkeit, daß uns die böhmische Literatur der Neuzeit als be¬
deutendstes Ergebniß ein Werk geschenkt hat. welches den rechten Boden zur
Erörterung dieser in Wahrheit heiligen Angelegenheit bereitet. Wir meinen Franz
Palacky's Geschichte von Böhmen (völlig n^roäu öeskslw). Vom
Verfasser zu gleicher Zeit böhmisch und deutsch geschrieben, hat es von vorn
herein nicht mit zu leiden gehabt an dem Uebelstande der Unzugänglichkeit, der
die allgemeine Würdigung mehrer andrer ebenbürtiger Erzeugnisse, wie an¬
fänglich u. a. auch des hochverdienten Schafarik slavischer Alterthümer, auf¬
hielt und erschwerte. Mit beiden Händen dargebracht, ist es von böhmischer
Seite voll Bewunderung als nationales Svmbolum begrüßt, in Deutschland
von der Fachwissenschaft als eine schätzbare Bereicherung aufgenommen und
verwerthet worden, wenn schon ihm aus guten Gründen diejenige Verbreitung
und Bekanntschaft abgeht, deren gleichwichtige Werke der heimischen Literatur
sicher sind. Daß es aber eine größere Popularität verdient, daran ist ebenso¬
wenig zu zweifeln wie daran, daß es ihrer theilhaft werden wird, wenn es
glücklich sortgedeihend. diejenige Epoche erreicht hat, in welcher, freilich als das
Vermächtniß der böhmischen Nationalgeschichte im eigentlichen Sinne, die
Uebereinstimmung derselben mit der modernen Entwicklung des deutschen Gei¬
stes im Blutzeugnisse des dreißigjährigen Krieges sich bekundet.

Ehe wir in dem angedeuteten ethischen Interesse das böhmische National¬
werk in seinen Hauptmomenten überblicken, sind wir ihm, damit es in seiner
ganzen Bedeutung als eine wissenschaftliche That ersten Ranges erscheine, eine
kurze Rechenschaft über seine Entstehung schuldig. Denn es stellt sich in allem
Betracht als die reife Frucht dessen dar. was vor Allen Dobrowskys schöpfe¬
rische Anregung bezweckte. Er ist auch ganz eigentlich der geistige Pathe dieses
von der Nation ersehnten Kindes. Bei dem damaligen Stande der historischen
Wissenschaft in Böhmen war es ein kühner Wurf dieses Mannes, der sich
weniger als irgend einer über den Werth desselben täuschte, daß er die kritische
Vorbereitung zu diesem von den Meisten nicht für möglich -gehaltenen Werke,
einer Geschichte Böhmens, zum Gegenstande einer öffentlichen Preisbewerbung
machte, die im Jahre 1826 von der k. böhmischen Gesellschaft der Wissen¬
schaften ausgeschrieben wurde. Der Erfolg war die Schrift "Würdigung der


Grenjbotcn III. 1S6S. 23

gestellt hat. Hierin beruht denn auch der eigentliche innere Grund unseres ab¬
lehnenden Verhaltens gegen die böhmische Literatur, die erklärlicherweise je
länger je ausschließlicher in der historischen Forschung aufging. Alle äußer¬
lichen Umstände, deren hindernden Einfluß wir erwähnten, würden überwunden
werden, träte uns nicht in der verläugneten Einsicht vom Werthe dieses Ver¬
hältnisses bei den Böhmen zum mindesten eine sittliche Unklarheit entgegen,
welche, obendrein noch als ein Palladium patriotischer Weisheit gehegt, zwi¬
schen ihnen und uns die gefährlichste Kluft befestigt. Ebendarum aber ist es von
großer Wichtigkeit, daß uns die böhmische Literatur der Neuzeit als be¬
deutendstes Ergebniß ein Werk geschenkt hat. welches den rechten Boden zur
Erörterung dieser in Wahrheit heiligen Angelegenheit bereitet. Wir meinen Franz
Palacky's Geschichte von Böhmen (völlig n^roäu öeskslw). Vom
Verfasser zu gleicher Zeit böhmisch und deutsch geschrieben, hat es von vorn
herein nicht mit zu leiden gehabt an dem Uebelstande der Unzugänglichkeit, der
die allgemeine Würdigung mehrer andrer ebenbürtiger Erzeugnisse, wie an¬
fänglich u. a. auch des hochverdienten Schafarik slavischer Alterthümer, auf¬
hielt und erschwerte. Mit beiden Händen dargebracht, ist es von böhmischer
Seite voll Bewunderung als nationales Svmbolum begrüßt, in Deutschland
von der Fachwissenschaft als eine schätzbare Bereicherung aufgenommen und
verwerthet worden, wenn schon ihm aus guten Gründen diejenige Verbreitung
und Bekanntschaft abgeht, deren gleichwichtige Werke der heimischen Literatur
sicher sind. Daß es aber eine größere Popularität verdient, daran ist ebenso¬
wenig zu zweifeln wie daran, daß es ihrer theilhaft werden wird, wenn es
glücklich sortgedeihend. diejenige Epoche erreicht hat, in welcher, freilich als das
Vermächtniß der böhmischen Nationalgeschichte im eigentlichen Sinne, die
Uebereinstimmung derselben mit der modernen Entwicklung des deutschen Gei¬
stes im Blutzeugnisse des dreißigjährigen Krieges sich bekundet.

Ehe wir in dem angedeuteten ethischen Interesse das böhmische National¬
werk in seinen Hauptmomenten überblicken, sind wir ihm, damit es in seiner
ganzen Bedeutung als eine wissenschaftliche That ersten Ranges erscheine, eine
kurze Rechenschaft über seine Entstehung schuldig. Denn es stellt sich in allem
Betracht als die reife Frucht dessen dar. was vor Allen Dobrowskys schöpfe¬
rische Anregung bezweckte. Er ist auch ganz eigentlich der geistige Pathe dieses
von der Nation ersehnten Kindes. Bei dem damaligen Stande der historischen
Wissenschaft in Böhmen war es ein kühner Wurf dieses Mannes, der sich
weniger als irgend einer über den Werth desselben täuschte, daß er die kritische
Vorbereitung zu diesem von den Meisten nicht für möglich -gehaltenen Werke,
einer Geschichte Böhmens, zum Gegenstande einer öffentlichen Preisbewerbung
machte, die im Jahre 1826 von der k. böhmischen Gesellschaft der Wissen¬
schaften ausgeschrieben wurde. Der Erfolg war die Schrift „Würdigung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/185>, abgerufen am 31.05.2024.