Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

alten böhmischen Geschichtschreiber" von Palacky, der damals, ein junger still-
fleißiger Mann, die Redaction der Museumözeitschriften (LasopjZ 8po1cera8ti
vlastonslckno Nusöum) leitete. Sie gibt einen vollständigen Nachweis über den
Bestand aller bekannten gedruckten und ungedruckten Quellenschriftsteller von Cos-
mas von Prag bis auf Hajekvon Libocan, vom Ende des elften bis zur Mitte des
sechzehnten Jahrhunderts, nebst der Kritik der Ausgaben, eine Arbeit, die schon
um ihrer materiellen Fülle willen Achtung gebietet, und welche die Meisterhand ihres
Autors auch in der cvmpendiösen Abhandlung des umfangreichen Stoffes bekundet.

Es that vor Allem noth, einen Götzen zu stürzen, der nur zu lange
in der historischen Wissenschaft der Böhmen ein ungebührliches und schäd¬
liches Regiment geführt hatte: die Autorität Hasels, der durch seinen Bei¬
namen des "böhmischen Livius" den großen Römer verunzierte. Seine nicht
nur aller Spur von Kritik entbehrende, sondern auch alles gesunden In¬
stinktes und Geschmackes baare Kompilation hatte in ihrer dickleibigen Leer¬
heit aller freien und kritischen Forschung wie eine nivellirende Straßenwalze
den Weg verlegt und behauptete sich vermöge ihrer billigen Schönrednerei trotz
des Geruches antiutraquistischer Tendenz, in welchem sie um ihrer Entstehung
willen stand, als ein bewunderter Kanon. Erst der treffliche Dobner hat es
gewagt, die Olla pvdrida der Geschichtsliteratur seines Volkes, die demselben
ein theurer Hausrath hatte werden können, anzutasten. Aber während er "den
Irrlichtern Hajeks" noch die Ehre des Handgemenges gönnte, hat Palacky durch
die vorgenommene Qucllenprüfung ihn für immer unschädlich gemacht. Bei
diesen vorbereitenden Studien gewann er hinlängliche Einsicht darüber, was es
auf sich habe, eine Geschichte seines Vaterlandes zu schreiben, die den Anfor¬
derungen kritischer Forschung genügen sollte; aber als bald nach Krönung
seines vorbereitenden Werkes ihm durch die Stände des Königreichs der Auftrag
wurde, die Geschichte Böhmens in einem mehrbändigen Werke zu behandeln,
entschloß er sich nicht nur dazu, dies auf Grund aller bekannten Quellen zu
thun, sondern er dehnte seinen Plan auf möglichst umfassende archivalische
Grundlage aus, zu welchem Zwecke er öfters Reisen unternahm. Er wußte,
daß er dabei fast in allen Dingen nicht blos Maurer und Baumeister, sondern
auch Steinbrecher und Handlanger in einer Person sein mußte; denn er fand
auch nicht einmal den Anfang eines Lodox äiplomatieus oder epistolaris vor;
allein alle Bedenken überwand die Liebe zum Vaterlande. Obwohl er Mähre
von Geburt ist, erkennt er Böhmen als sein Vaterland, indem er die geschwister¬
liche Identität beider Stämme als Dogma hegt. Was^ seine Ausrüstung zu
der großen Arbeit betrifft, so nennt er sich zwar gern einen Autodidakten, und
er war es in gewissem Sinne, als er Hand anlegte; aber wie die historische
Wissenschaft in Böhmen überhaupt dem Gange der deutschen unwillkürlich folgte,
so trat auch er bald bewußter bald unbewußter in die Sphäre der mächtigeren


alten böhmischen Geschichtschreiber" von Palacky, der damals, ein junger still-
fleißiger Mann, die Redaction der Museumözeitschriften (LasopjZ 8po1cera8ti
vlastonslckno Nusöum) leitete. Sie gibt einen vollständigen Nachweis über den
Bestand aller bekannten gedruckten und ungedruckten Quellenschriftsteller von Cos-
mas von Prag bis auf Hajekvon Libocan, vom Ende des elften bis zur Mitte des
sechzehnten Jahrhunderts, nebst der Kritik der Ausgaben, eine Arbeit, die schon
um ihrer materiellen Fülle willen Achtung gebietet, und welche die Meisterhand ihres
Autors auch in der cvmpendiösen Abhandlung des umfangreichen Stoffes bekundet.

Es that vor Allem noth, einen Götzen zu stürzen, der nur zu lange
in der historischen Wissenschaft der Böhmen ein ungebührliches und schäd¬
liches Regiment geführt hatte: die Autorität Hasels, der durch seinen Bei¬
namen des „böhmischen Livius" den großen Römer verunzierte. Seine nicht
nur aller Spur von Kritik entbehrende, sondern auch alles gesunden In¬
stinktes und Geschmackes baare Kompilation hatte in ihrer dickleibigen Leer¬
heit aller freien und kritischen Forschung wie eine nivellirende Straßenwalze
den Weg verlegt und behauptete sich vermöge ihrer billigen Schönrednerei trotz
des Geruches antiutraquistischer Tendenz, in welchem sie um ihrer Entstehung
willen stand, als ein bewunderter Kanon. Erst der treffliche Dobner hat es
gewagt, die Olla pvdrida der Geschichtsliteratur seines Volkes, die demselben
ein theurer Hausrath hatte werden können, anzutasten. Aber während er „den
Irrlichtern Hajeks" noch die Ehre des Handgemenges gönnte, hat Palacky durch
die vorgenommene Qucllenprüfung ihn für immer unschädlich gemacht. Bei
diesen vorbereitenden Studien gewann er hinlängliche Einsicht darüber, was es
auf sich habe, eine Geschichte seines Vaterlandes zu schreiben, die den Anfor¬
derungen kritischer Forschung genügen sollte; aber als bald nach Krönung
seines vorbereitenden Werkes ihm durch die Stände des Königreichs der Auftrag
wurde, die Geschichte Böhmens in einem mehrbändigen Werke zu behandeln,
entschloß er sich nicht nur dazu, dies auf Grund aller bekannten Quellen zu
thun, sondern er dehnte seinen Plan auf möglichst umfassende archivalische
Grundlage aus, zu welchem Zwecke er öfters Reisen unternahm. Er wußte,
daß er dabei fast in allen Dingen nicht blos Maurer und Baumeister, sondern
auch Steinbrecher und Handlanger in einer Person sein mußte; denn er fand
auch nicht einmal den Anfang eines Lodox äiplomatieus oder epistolaris vor;
allein alle Bedenken überwand die Liebe zum Vaterlande. Obwohl er Mähre
von Geburt ist, erkennt er Böhmen als sein Vaterland, indem er die geschwister¬
liche Identität beider Stämme als Dogma hegt. Was^ seine Ausrüstung zu
der großen Arbeit betrifft, so nennt er sich zwar gern einen Autodidakten, und
er war es in gewissem Sinne, als er Hand anlegte; aber wie die historische
Wissenschaft in Böhmen überhaupt dem Gange der deutschen unwillkürlich folgte,
so trat auch er bald bewußter bald unbewußter in die Sphäre der mächtigeren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0186" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/355317"/>
            <p xml:id="ID_491" prev="#ID_490"> alten böhmischen Geschichtschreiber" von Palacky, der damals, ein junger still-<lb/>
fleißiger Mann, die Redaction der Museumözeitschriften (LasopjZ 8po1cera8ti<lb/>
vlastonslckno Nusöum) leitete. Sie gibt einen vollständigen Nachweis über den<lb/>
Bestand aller bekannten gedruckten und ungedruckten Quellenschriftsteller von Cos-<lb/>
mas von Prag bis auf Hajekvon Libocan, vom Ende des elften bis zur Mitte des<lb/>
sechzehnten Jahrhunderts, nebst der Kritik der Ausgaben, eine Arbeit, die schon<lb/>
um ihrer materiellen Fülle willen Achtung gebietet, und welche die Meisterhand ihres<lb/>
Autors auch in der cvmpendiösen Abhandlung des umfangreichen Stoffes bekundet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_492" next="#ID_493"> Es that vor Allem noth, einen Götzen zu stürzen, der nur zu lange<lb/>
in der historischen Wissenschaft der Böhmen ein ungebührliches und schäd¬<lb/>
liches Regiment geführt hatte: die Autorität Hasels, der durch seinen Bei¬<lb/>
namen des &#x201E;böhmischen Livius" den großen Römer verunzierte. Seine nicht<lb/>
nur aller Spur von Kritik entbehrende, sondern auch alles gesunden In¬<lb/>
stinktes und Geschmackes baare Kompilation hatte in ihrer dickleibigen Leer¬<lb/>
heit aller freien und kritischen Forschung wie eine nivellirende Straßenwalze<lb/>
den Weg verlegt und behauptete sich vermöge ihrer billigen Schönrednerei trotz<lb/>
des Geruches antiutraquistischer Tendenz, in welchem sie um ihrer Entstehung<lb/>
willen stand, als ein bewunderter Kanon. Erst der treffliche Dobner hat es<lb/>
gewagt, die Olla pvdrida der Geschichtsliteratur seines Volkes, die demselben<lb/>
ein theurer Hausrath hatte werden können, anzutasten. Aber während er &#x201E;den<lb/>
Irrlichtern Hajeks" noch die Ehre des Handgemenges gönnte, hat Palacky durch<lb/>
die vorgenommene Qucllenprüfung ihn für immer unschädlich gemacht. Bei<lb/>
diesen vorbereitenden Studien gewann er hinlängliche Einsicht darüber, was es<lb/>
auf sich habe, eine Geschichte seines Vaterlandes zu schreiben, die den Anfor¬<lb/>
derungen kritischer Forschung genügen sollte; aber als bald nach Krönung<lb/>
seines vorbereitenden Werkes ihm durch die Stände des Königreichs der Auftrag<lb/>
wurde, die Geschichte Böhmens in einem mehrbändigen Werke zu behandeln,<lb/>
entschloß er sich nicht nur dazu, dies auf Grund aller bekannten Quellen zu<lb/>
thun, sondern er dehnte seinen Plan auf möglichst umfassende archivalische<lb/>
Grundlage aus, zu welchem Zwecke er öfters Reisen unternahm. Er wußte,<lb/>
daß er dabei fast in allen Dingen nicht blos Maurer und Baumeister, sondern<lb/>
auch Steinbrecher und Handlanger in einer Person sein mußte; denn er fand<lb/>
auch nicht einmal den Anfang eines Lodox äiplomatieus oder epistolaris vor;<lb/>
allein alle Bedenken überwand die Liebe zum Vaterlande. Obwohl er Mähre<lb/>
von Geburt ist, erkennt er Böhmen als sein Vaterland, indem er die geschwister¬<lb/>
liche Identität beider Stämme als Dogma hegt. Was^ seine Ausrüstung zu<lb/>
der großen Arbeit betrifft, so nennt er sich zwar gern einen Autodidakten, und<lb/>
er war es in gewissem Sinne, als er Hand anlegte; aber wie die historische<lb/>
Wissenschaft in Böhmen überhaupt dem Gange der deutschen unwillkürlich folgte,<lb/>
so trat auch er bald bewußter bald unbewußter in die Sphäre der mächtigeren</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0186] alten böhmischen Geschichtschreiber" von Palacky, der damals, ein junger still- fleißiger Mann, die Redaction der Museumözeitschriften (LasopjZ 8po1cera8ti vlastonslckno Nusöum) leitete. Sie gibt einen vollständigen Nachweis über den Bestand aller bekannten gedruckten und ungedruckten Quellenschriftsteller von Cos- mas von Prag bis auf Hajekvon Libocan, vom Ende des elften bis zur Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, nebst der Kritik der Ausgaben, eine Arbeit, die schon um ihrer materiellen Fülle willen Achtung gebietet, und welche die Meisterhand ihres Autors auch in der cvmpendiösen Abhandlung des umfangreichen Stoffes bekundet. Es that vor Allem noth, einen Götzen zu stürzen, der nur zu lange in der historischen Wissenschaft der Böhmen ein ungebührliches und schäd¬ liches Regiment geführt hatte: die Autorität Hasels, der durch seinen Bei¬ namen des „böhmischen Livius" den großen Römer verunzierte. Seine nicht nur aller Spur von Kritik entbehrende, sondern auch alles gesunden In¬ stinktes und Geschmackes baare Kompilation hatte in ihrer dickleibigen Leer¬ heit aller freien und kritischen Forschung wie eine nivellirende Straßenwalze den Weg verlegt und behauptete sich vermöge ihrer billigen Schönrednerei trotz des Geruches antiutraquistischer Tendenz, in welchem sie um ihrer Entstehung willen stand, als ein bewunderter Kanon. Erst der treffliche Dobner hat es gewagt, die Olla pvdrida der Geschichtsliteratur seines Volkes, die demselben ein theurer Hausrath hatte werden können, anzutasten. Aber während er „den Irrlichtern Hajeks" noch die Ehre des Handgemenges gönnte, hat Palacky durch die vorgenommene Qucllenprüfung ihn für immer unschädlich gemacht. Bei diesen vorbereitenden Studien gewann er hinlängliche Einsicht darüber, was es auf sich habe, eine Geschichte seines Vaterlandes zu schreiben, die den Anfor¬ derungen kritischer Forschung genügen sollte; aber als bald nach Krönung seines vorbereitenden Werkes ihm durch die Stände des Königreichs der Auftrag wurde, die Geschichte Böhmens in einem mehrbändigen Werke zu behandeln, entschloß er sich nicht nur dazu, dies auf Grund aller bekannten Quellen zu thun, sondern er dehnte seinen Plan auf möglichst umfassende archivalische Grundlage aus, zu welchem Zwecke er öfters Reisen unternahm. Er wußte, daß er dabei fast in allen Dingen nicht blos Maurer und Baumeister, sondern auch Steinbrecher und Handlanger in einer Person sein mußte; denn er fand auch nicht einmal den Anfang eines Lodox äiplomatieus oder epistolaris vor; allein alle Bedenken überwand die Liebe zum Vaterlande. Obwohl er Mähre von Geburt ist, erkennt er Böhmen als sein Vaterland, indem er die geschwister¬ liche Identität beider Stämme als Dogma hegt. Was^ seine Ausrüstung zu der großen Arbeit betrifft, so nennt er sich zwar gern einen Autodidakten, und er war es in gewissem Sinne, als er Hand anlegte; aber wie die historische Wissenschaft in Böhmen überhaupt dem Gange der deutschen unwillkürlich folgte, so trat auch er bald bewußter bald unbewußter in die Sphäre der mächtigeren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/186
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/186>, abgerufen am 31.05.2024.