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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Und trotz dieser peinlichen Vorsicht, deren Beobachtung seinen Darstellungen
fast durchweg das lebendige Colorit nimmt und ihnen eine gewisse chronistische
Trockenheit gibt, und trotz des Umstandes, daß er bisher nichts geschildert hat,
was nicht wenigstens in der ehrwürdigen' Ferne von vier Jahrhunderten hinter
unsrer Gegenwart zurückläge, hat er dennoch mehrmals mißgünstige Verschleppun¬
gen des Imprimatur und Sistirungen des Druckes seiner Geschichte erleiden müssen.

Durch solche Erfahrungen schärfte sich der tiefe verhaltene Groll über den
Untergang der politischen Freiheit Böhmens, über den man als solchen weder reden
noch seufzen durfte, zum unversöhnlichen Hasse gegen die Herrschaft Oestreichs, die
frech genug, mit den Unglücklichen auch noch zu spielen, eine lächelnd-schmei-
chelnde Loyalität heischte. Und dieser tiefe Abscheu sprach zu den Kundigen
auch aus den ruhigen, breit-objectiven Schilderungen in Palackys Geschichte und
bildete die Patrioten zu einer stillen Gemeinde von Männern heran, von denen
es nicht Wunder nehmen dürfte, wenn sie bei aller nothgedrungcnen Fügung
unter die Wucht der Obmacht, im Herzen entschlossen wären, unier keiner Be¬
dingung Friede zu machen mit Oestreich und dem Hause Habsburg und mit
Allem, was einem Kompromiß ähnlich sieht, stets nur um so sicherer zu täu¬
schen. Aber der glühende, unerbittliche Haß, um den wir sie weder schelten
noch beneiden können, hat der Gefahr nicht zu widerstehen vermocht, sich als
ein vorwiegend formales Princip in thörichtem Radikalismus bis zur Exklu¬
sivität der Raye zu erweitern und seine Spitze gegen Deutschland und alles
deutsche Wesen zu kehren, weil der Hof zu Wien den Nationen, die er be¬
herrscht, zufällig in deutscher Sprache gebietet. Die alte, traurige Verwechselung,
die uns schon mehr als einen fruchtbaren Boden unseres Einflusses gekostet
hat, sie sollte endlich aufhören, vor Anderen aber bei den Slaven aufhören,
die trotz aller blutigen Blätter des Kampfes mit Deutschen, welche die Annalen
ihres Volkes enthalten, dennoch gegen den tiefsten Sinn ihrer Geschichte freveln
mit diesem Hasse, der ihnen deshalb als schwerer sittlicher Fehler zur Last fällt.

Versuchen wir es, uns die Hauptepochen der böhmischen Geschichte, wie
sie in Palackys Werke vorliegt, in dem Interesse der Werthbestimmung des
Verhältnisses der Deutschen zu den Böhmen kurz zu vergegenwärtigen.

Der Lebensnerv der Geschichte eines jeden Kulturvolkes ist die Entwicklung
seiner inneren politischen Zustände, wie sie durch die Factoren seiner religiösen,
sittlichen und materiellen Ideale bestimmt werden. Wenn wir diese Entwicklung
beim böhmischen Volke betrachten, so drängt sich uns als durchschlagender Er¬
klärungsgrund ihres Herganges die Wahrnehmung auf, daß durch alle Zeit¬
räume der selbständigen Geschichte des böhmischen Stammes -- und mehr oder
weniger aller slavischen überhaupt -- die Thatsache eines Conflictes zwischen
der nationalen und der politischen Entfaltung hindurchgeht, der, sich bis zum
unlösbaren inneren Widerspruche vertiefend, die Volkskraft aufzuzehren droht.


Und trotz dieser peinlichen Vorsicht, deren Beobachtung seinen Darstellungen
fast durchweg das lebendige Colorit nimmt und ihnen eine gewisse chronistische
Trockenheit gibt, und trotz des Umstandes, daß er bisher nichts geschildert hat,
was nicht wenigstens in der ehrwürdigen' Ferne von vier Jahrhunderten hinter
unsrer Gegenwart zurückläge, hat er dennoch mehrmals mißgünstige Verschleppun¬
gen des Imprimatur und Sistirungen des Druckes seiner Geschichte erleiden müssen.

Durch solche Erfahrungen schärfte sich der tiefe verhaltene Groll über den
Untergang der politischen Freiheit Böhmens, über den man als solchen weder reden
noch seufzen durfte, zum unversöhnlichen Hasse gegen die Herrschaft Oestreichs, die
frech genug, mit den Unglücklichen auch noch zu spielen, eine lächelnd-schmei-
chelnde Loyalität heischte. Und dieser tiefe Abscheu sprach zu den Kundigen
auch aus den ruhigen, breit-objectiven Schilderungen in Palackys Geschichte und
bildete die Patrioten zu einer stillen Gemeinde von Männern heran, von denen
es nicht Wunder nehmen dürfte, wenn sie bei aller nothgedrungcnen Fügung
unter die Wucht der Obmacht, im Herzen entschlossen wären, unier keiner Be¬
dingung Friede zu machen mit Oestreich und dem Hause Habsburg und mit
Allem, was einem Kompromiß ähnlich sieht, stets nur um so sicherer zu täu¬
schen. Aber der glühende, unerbittliche Haß, um den wir sie weder schelten
noch beneiden können, hat der Gefahr nicht zu widerstehen vermocht, sich als
ein vorwiegend formales Princip in thörichtem Radikalismus bis zur Exklu¬
sivität der Raye zu erweitern und seine Spitze gegen Deutschland und alles
deutsche Wesen zu kehren, weil der Hof zu Wien den Nationen, die er be¬
herrscht, zufällig in deutscher Sprache gebietet. Die alte, traurige Verwechselung,
die uns schon mehr als einen fruchtbaren Boden unseres Einflusses gekostet
hat, sie sollte endlich aufhören, vor Anderen aber bei den Slaven aufhören,
die trotz aller blutigen Blätter des Kampfes mit Deutschen, welche die Annalen
ihres Volkes enthalten, dennoch gegen den tiefsten Sinn ihrer Geschichte freveln
mit diesem Hasse, der ihnen deshalb als schwerer sittlicher Fehler zur Last fällt.

Versuchen wir es, uns die Hauptepochen der böhmischen Geschichte, wie
sie in Palackys Werke vorliegt, in dem Interesse der Werthbestimmung des
Verhältnisses der Deutschen zu den Böhmen kurz zu vergegenwärtigen.

Der Lebensnerv der Geschichte eines jeden Kulturvolkes ist die Entwicklung
seiner inneren politischen Zustände, wie sie durch die Factoren seiner religiösen,
sittlichen und materiellen Ideale bestimmt werden. Wenn wir diese Entwicklung
beim böhmischen Volke betrachten, so drängt sich uns als durchschlagender Er¬
klärungsgrund ihres Herganges die Wahrnehmung auf, daß durch alle Zeit¬
räume der selbständigen Geschichte des böhmischen Stammes — und mehr oder
weniger aller slavischen überhaupt — die Thatsache eines Conflictes zwischen
der nationalen und der politischen Entfaltung hindurchgeht, der, sich bis zum
unlösbaren inneren Widerspruche vertiefend, die Volkskraft aufzuzehren droht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/188>, abgerufen am 31.05.2024.