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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Denn das czechische Volk, in der vorgeschichtlichen Zeit seiner Existenz einmal
hineingedrängt in die Nachbarschaft der germanischen Stämme, bleibt dadurch
eingedammt in den Machtkreis der politischen Ideale der Germanen, die, seiner
Natur von Haus aus fremd, das unaufhaltsame Triebelement einer Umgestal¬
tung bilden, die es durch ihren Verlauf in die Alternative hineindrängen: sich
entweder streng-national und politisch-gebunden, oder politisch-frei und national¬
gemischt zu gestalten. Die historische Nothwendigkeit aber wirkt als unaufhalt¬
sames Verhängnis) und setzt den Sterblichen nur die Wahl der Vernichtung
oder der muthigen Verwirklichung ihrer Erkenntniß. In dem Geschick aller
großen Männer der böhmischen Geschichte redet sie diese erschütternde Sprache,
zwingt sie zu der bitteren Entscheidung. Fast alle sind untergegangen, ent¬
weder unter der Wucht des materiellen Gegensatzes oder verschlungen von dem
Dämon widergeschichtlicher fanatischer Einseitigkeit, oder endlich erdrückt wegen
des mangelnden Muthes ihrer zu späten Einsicht oder trotz ihrer durch den
Widerspruch ihrer idealen Ziele mit den gewordenen Zuständen.

An der Spitze der Erscheinungen, welche die Geschicke des böhmischen
Volkes in den großen Gang der europäischen Geschichte einführen, steht der
Premislide Otokar der Zweite, eine Heldengestalt im höchsten Sinn. Die
ganze vorausgehende Geschichte seines Volkes, die von Palacky mit ungemewer
Akribie geläutert und dargelegt ist, die aber außerhalb des praktischen Gesichts¬
punktes liegt, welcher uns leitet, zeigt sich in diesem Manne zusammengerafft
zu einer compacten Persönlichkeit, die mit überquellender Kraft und zugleich
mit weiser Besonnenheit in der Energie der Gedanken arbeitet, welche Böhmens
Schicksal für immer bestimmen. Durch ihn, der die böhmischen Waffen an
zwei Meere trug, indem er an der Ostsee Königsberg gründete und am Gestade
der Adria sein Banner wehen ließ, hat Böhmen die kühnste Höhe seiner Macht-
entfaltung erstiegen; aber wie ein Meteor ist er herabgefallen, und der die
Kaiserkrone verschmäht hatte, lag am Tage seines Verhängnisses ein nackter,
zertretener Leichnam vor dem habsburgischen Grafen dahingestreckt. Sein Ge¬
schick ist das lehrreichste Erlebniß der böhmischen Geschichte. Ihm zuerst sind
die Augen aufgegangen über die ungeheure Gefahr, welche die ständische Ent¬
wicklung seines Reiches für die Zukunft in sich trug, wenn sie ihrer einseitig
volkstümlichen Tradition überlassen würde. Inmitten alles des kriegerischen
Tumultes, der ihn umgab, blieb sein Augenmerk darauf gerichtet. Es leitete
ihn dabei zwar vorwiegend, der königliche Instinkt, aber dieser war in der That
der Herold des Volkes. Seine Sorge war die unaufhaltsame Verkümmerung
der administrativen und der juridischen Kreisämter, welche, ähnlich den deutschen
Gauverfassungen, in den böhmischen Zupen als Schöffengerichte bestanden.
Theils durch Mißbrauch seines engen Verhältnisses zu ihnen, theils durch freche
Auflehnung gegen sie hatte der hohe Adel, in den Erinnerungen der barba-


Denn das czechische Volk, in der vorgeschichtlichen Zeit seiner Existenz einmal
hineingedrängt in die Nachbarschaft der germanischen Stämme, bleibt dadurch
eingedammt in den Machtkreis der politischen Ideale der Germanen, die, seiner
Natur von Haus aus fremd, das unaufhaltsame Triebelement einer Umgestal¬
tung bilden, die es durch ihren Verlauf in die Alternative hineindrängen: sich
entweder streng-national und politisch-gebunden, oder politisch-frei und national¬
gemischt zu gestalten. Die historische Nothwendigkeit aber wirkt als unaufhalt¬
sames Verhängnis) und setzt den Sterblichen nur die Wahl der Vernichtung
oder der muthigen Verwirklichung ihrer Erkenntniß. In dem Geschick aller
großen Männer der böhmischen Geschichte redet sie diese erschütternde Sprache,
zwingt sie zu der bitteren Entscheidung. Fast alle sind untergegangen, ent¬
weder unter der Wucht des materiellen Gegensatzes oder verschlungen von dem
Dämon widergeschichtlicher fanatischer Einseitigkeit, oder endlich erdrückt wegen
des mangelnden Muthes ihrer zu späten Einsicht oder trotz ihrer durch den
Widerspruch ihrer idealen Ziele mit den gewordenen Zuständen.

An der Spitze der Erscheinungen, welche die Geschicke des böhmischen
Volkes in den großen Gang der europäischen Geschichte einführen, steht der
Premislide Otokar der Zweite, eine Heldengestalt im höchsten Sinn. Die
ganze vorausgehende Geschichte seines Volkes, die von Palacky mit ungemewer
Akribie geläutert und dargelegt ist, die aber außerhalb des praktischen Gesichts¬
punktes liegt, welcher uns leitet, zeigt sich in diesem Manne zusammengerafft
zu einer compacten Persönlichkeit, die mit überquellender Kraft und zugleich
mit weiser Besonnenheit in der Energie der Gedanken arbeitet, welche Böhmens
Schicksal für immer bestimmen. Durch ihn, der die böhmischen Waffen an
zwei Meere trug, indem er an der Ostsee Königsberg gründete und am Gestade
der Adria sein Banner wehen ließ, hat Böhmen die kühnste Höhe seiner Macht-
entfaltung erstiegen; aber wie ein Meteor ist er herabgefallen, und der die
Kaiserkrone verschmäht hatte, lag am Tage seines Verhängnisses ein nackter,
zertretener Leichnam vor dem habsburgischen Grafen dahingestreckt. Sein Ge¬
schick ist das lehrreichste Erlebniß der böhmischen Geschichte. Ihm zuerst sind
die Augen aufgegangen über die ungeheure Gefahr, welche die ständische Ent¬
wicklung seines Reiches für die Zukunft in sich trug, wenn sie ihrer einseitig
volkstümlichen Tradition überlassen würde. Inmitten alles des kriegerischen
Tumultes, der ihn umgab, blieb sein Augenmerk darauf gerichtet. Es leitete
ihn dabei zwar vorwiegend, der königliche Instinkt, aber dieser war in der That
der Herold des Volkes. Seine Sorge war die unaufhaltsame Verkümmerung
der administrativen und der juridischen Kreisämter, welche, ähnlich den deutschen
Gauverfassungen, in den böhmischen Zupen als Schöffengerichte bestanden.
Theils durch Mißbrauch seines engen Verhältnisses zu ihnen, theils durch freche
Auflehnung gegen sie hatte der hohe Adel, in den Erinnerungen der barba-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/189>, abgerufen am 29.05.2024.