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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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unter den Bataillonschefs aussuchen und daher ein Bataillon der Leitung eines
Hauptmanns, der vielleicht höchst nothdürftig reiten konnte, übertragen. Die
bereits in fast allen Staaten verworfene dreigliedrige Stellung und ebenso das
Tirailliren in der Kette wurde beibehalten, obschon sich selbst in Oestreich viele
Stimmen für das Zweigliedersystem und das Gruppentirailliren aussprachen.

Mit Siegeszuversicht eröffnete die Regierung im Jahre 1859 den Krieg.
Die Zahl der auf dem Kriegsschauplatze befindlichen östreichischen Truppen
war jener der französisch-italienischen weit überlegen, doch wußte man nicht
einmal von dieser numerischen Überlegenheit einen richtigen Gebrauch zu
machen, indem man nicht nur in den Erbfehler der östreichischen Krieg¬
führung, in den rückwärtigen Provinzen große Truppenmassen unter dem Na¬
men "strategischer Reserven" zwecklos anzuhäufen, verfiel, sondern auch in der
unmittelbaren Nähe des Feindes die Truppen verzettelte und zurückbehielt, so daß
die Oestreicher sich an jedem Schlachttage regelmäßig in der Minderheit befanden.

Aber diese kolossale Armee, oder wenigstens das Fußvolk derselben bestand
aus unausgebildeten Rekruten, aus Jünglingen, welche an die Strapazen des
Krieges weder gewöhnt, noch wegen ihrer noch zu schwächlichen Körperbeschaffen¬
heit dazu geeignet waren, aus Unteroffizieren, welche von ihrem Dienst nur
wenig verstanden und wegen ihrer Jugend und Unwissenheit bei der Mann¬
schaft nur selten Achtung und Vertrauen genossen, aus Offizieren, welche
entweder durch langes Verbleiben in einer untergeordneten Stellung einge¬
schrumpft und erst jetzt im Drange der Umstände vorgerückt waren und jeder
höhern Bildung entbehrten, oder, unter dem Schutze der Protection empor¬
gehoben, von den Obliegenheiten eines Anführers im Kriege kaum eine Ahnung
hatten und den letzter" eben nur als eine Gelegenheit betrachteten, bei welcher
sie ein noch rascheres Vorwärtskommen finden könnten, aus Generalen, welche,
von gegenseitiger Eifersucht und dem Bewußtsein ihrer eigenen Unfehlbarkeit
erfüllt, den Gegner'verachteten, nur auf die eigenen Operationen, nie aber auf
die des Feindes und ihrer Mitbefehlshaber, denen sie recht gern eine kleine
Schlappe gönnten, achteten, dann aber, als die Dinge bereits eine bedenkliche
Wendung genommen hatten, um jeden Preis alle Verantwortlichkeit von
sich abwälzen wollten und oft auch nicht wußten, an welche Persönlichkeit sie
sich zu wenden hatten, um Abhilfe eines Uebelstandes oder die Vollmacht
zur Ausführung einer ihnen zweckmäßig erscheinenden Bewegung zu erwirken.
Es gab allerdings viele ehrenwerthe Ausnahmen, man fand bei den Regimentern
noch immer viele abgehärtete tüchtige Veteranen, intelligente und charakterfeste
Offiziere, und es wäre sehr ungerecht, wenn man über die Tüchtigkeit aller
östreichischen Generale jener Epoche den Stab brechen wollte. Aber diese Aus¬
nahmen waren doch immer nur Ausnahmen, und wenn dieses auch nicht der
Fall gewesen wäre, so hätten doch diese Männer nicht gegen den Strom schwimmen


Grenzboten III. 18ö3. SO

unter den Bataillonschefs aussuchen und daher ein Bataillon der Leitung eines
Hauptmanns, der vielleicht höchst nothdürftig reiten konnte, übertragen. Die
bereits in fast allen Staaten verworfene dreigliedrige Stellung und ebenso das
Tirailliren in der Kette wurde beibehalten, obschon sich selbst in Oestreich viele
Stimmen für das Zweigliedersystem und das Gruppentirailliren aussprachen.

Mit Siegeszuversicht eröffnete die Regierung im Jahre 1859 den Krieg.
Die Zahl der auf dem Kriegsschauplatze befindlichen östreichischen Truppen
war jener der französisch-italienischen weit überlegen, doch wußte man nicht
einmal von dieser numerischen Überlegenheit einen richtigen Gebrauch zu
machen, indem man nicht nur in den Erbfehler der östreichischen Krieg¬
führung, in den rückwärtigen Provinzen große Truppenmassen unter dem Na¬
men „strategischer Reserven" zwecklos anzuhäufen, verfiel, sondern auch in der
unmittelbaren Nähe des Feindes die Truppen verzettelte und zurückbehielt, so daß
die Oestreicher sich an jedem Schlachttage regelmäßig in der Minderheit befanden.

Aber diese kolossale Armee, oder wenigstens das Fußvolk derselben bestand
aus unausgebildeten Rekruten, aus Jünglingen, welche an die Strapazen des
Krieges weder gewöhnt, noch wegen ihrer noch zu schwächlichen Körperbeschaffen¬
heit dazu geeignet waren, aus Unteroffizieren, welche von ihrem Dienst nur
wenig verstanden und wegen ihrer Jugend und Unwissenheit bei der Mann¬
schaft nur selten Achtung und Vertrauen genossen, aus Offizieren, welche
entweder durch langes Verbleiben in einer untergeordneten Stellung einge¬
schrumpft und erst jetzt im Drange der Umstände vorgerückt waren und jeder
höhern Bildung entbehrten, oder, unter dem Schutze der Protection empor¬
gehoben, von den Obliegenheiten eines Anführers im Kriege kaum eine Ahnung
hatten und den letzter» eben nur als eine Gelegenheit betrachteten, bei welcher
sie ein noch rascheres Vorwärtskommen finden könnten, aus Generalen, welche,
von gegenseitiger Eifersucht und dem Bewußtsein ihrer eigenen Unfehlbarkeit
erfüllt, den Gegner'verachteten, nur auf die eigenen Operationen, nie aber auf
die des Feindes und ihrer Mitbefehlshaber, denen sie recht gern eine kleine
Schlappe gönnten, achteten, dann aber, als die Dinge bereits eine bedenkliche
Wendung genommen hatten, um jeden Preis alle Verantwortlichkeit von
sich abwälzen wollten und oft auch nicht wußten, an welche Persönlichkeit sie
sich zu wenden hatten, um Abhilfe eines Uebelstandes oder die Vollmacht
zur Ausführung einer ihnen zweckmäßig erscheinenden Bewegung zu erwirken.
Es gab allerdings viele ehrenwerthe Ausnahmen, man fand bei den Regimentern
noch immer viele abgehärtete tüchtige Veteranen, intelligente und charakterfeste
Offiziere, und es wäre sehr ungerecht, wenn man über die Tüchtigkeit aller
östreichischen Generale jener Epoche den Stab brechen wollte. Aber diese Aus¬
nahmen waren doch immer nur Ausnahmen, und wenn dieses auch nicht der
Fall gewesen wäre, so hätten doch diese Männer nicht gegen den Strom schwimmen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/403>, abgerufen am 04.06.2024.