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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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dann nach Teplitz, wo man den Sieg an der Katzbach und die Niederlage bei
Dresden erfuhr. Später besuchte er, drei Tage nach der Schlacht, die Wahl¬
statt von Leipzig. Am 27. October traf er mit Hardenberg in Weimar ein,
wo er einen interessanten Abend bei Goethe zubrachte, welcher sich damals --
in chinesische Poesie versenkt hatte. Am 14. November gelangte er nach Frank¬
furt, von wo er über Darmstadt, Heidelberg, Freiburg nach Basel ging, um
sich von hier nach Langres zu begeben, wohin Schwarzenberg das Hauptquartier
der böhmischen Armee verlegt hatte, die in ihrer processionsartigen Langsamkeit
zum Marsch von Basel bis dahin -- ein Weg von 24 Meilen -- einen vol¬
len Monat gebraucht. Am 13. April 1814 endlich ritt er mit Heult in Paris
ein, wo Hardenberg bereits am 8. eingetroffen war.

Hippel fühlte sich in der pariser Luft nicht wohl. Die Diplomaten wa¬
ren ihm zuwider. Das Vaterland war befreit, er hatte seine Schuldigkeit ge¬
than und konnte gehen. Auch sah er sich oft Männer vorgezogen, denen er
sich überlegen glaubte, und überdies hatte er wahrgenommen, daß Hardenberg
schon seit dem Waffenstillstand kälter gegen ihn geworden. Er ersuchte daher
den Staatskanzler, ihm die Stelle eines Präsidenten an der westpreußischen
Regierung in Marienwerder zu überweisen. Der König bewilligte den dahin
gerichteten Antrag insofern, als er ihm unter Bezeigung seiner vorzüglichen
Zufriedenheit den Posten eines Vicepräsidenten mit dem Gehalt und der An¬
wartschaft auf den eines Chefpräsidenten verlieh, und Hippel reiste, nachdem
er dem Staatskanzler vorher noch einige Aufsätze über Regulirung der bäuer¬
lichen Verhältnisse und über die General-Commissionen, sowie über das er¬
wähnte Gensdamerie-Edict vom 30. Juli 1812 und über die wichtigsten preu¬
ßischen Verfassungsfragen übergeben hatte, zunächst zur Erholung in die Schweiz,
dann in die Heimath.

Die Denkschrift über die Verfassung ist ziemlich allgemein gehalten, enthält
aber folgenden charakteristischen Satz: "Dürfen wir eine Constitution erwarten
und nach welchen Grundsätzen? -- Ohne mir ein Urtheil darüber anzumaßen,
bitte ich Ew. Excellenz nur inständig, für den Fall, daß Sie die gesetzgebende
Gewalt nicht in die Hände der Repräsentanten geben, nicht Preßfreiheit, nicht
ein Gesetz über persönliche Freiheit gleich der Habcas-Corpus-Acte, nicht Ver¬
antwortlichkeit der Minister proclamiren, sondern der Repräsentation nur eine
consultative Stimme geben wollen, dafür zu sorgen, daß nicht eine andere auf
solche Grundsätze gebaute, der englischen ähnliche Constitution in irgend einem
deutschen Staate eingesetzt werde."

Die Frage, ob die Landesvertretung blos consultative oder legislative Befug-
niß haben sollte, ist in der Denkschrift offen gelassen, während Hippel, wie wir
sahen, im Jahre 1809 eine legislative Repräsentation empfohlen hatte. Auch lehnt
er sich jetzt nicht mehr wie damals an die französische, sondern an die englische


dann nach Teplitz, wo man den Sieg an der Katzbach und die Niederlage bei
Dresden erfuhr. Später besuchte er, drei Tage nach der Schlacht, die Wahl¬
statt von Leipzig. Am 27. October traf er mit Hardenberg in Weimar ein,
wo er einen interessanten Abend bei Goethe zubrachte, welcher sich damals —
in chinesische Poesie versenkt hatte. Am 14. November gelangte er nach Frank¬
furt, von wo er über Darmstadt, Heidelberg, Freiburg nach Basel ging, um
sich von hier nach Langres zu begeben, wohin Schwarzenberg das Hauptquartier
der böhmischen Armee verlegt hatte, die in ihrer processionsartigen Langsamkeit
zum Marsch von Basel bis dahin — ein Weg von 24 Meilen — einen vol¬
len Monat gebraucht. Am 13. April 1814 endlich ritt er mit Heult in Paris
ein, wo Hardenberg bereits am 8. eingetroffen war.

Hippel fühlte sich in der pariser Luft nicht wohl. Die Diplomaten wa¬
ren ihm zuwider. Das Vaterland war befreit, er hatte seine Schuldigkeit ge¬
than und konnte gehen. Auch sah er sich oft Männer vorgezogen, denen er
sich überlegen glaubte, und überdies hatte er wahrgenommen, daß Hardenberg
schon seit dem Waffenstillstand kälter gegen ihn geworden. Er ersuchte daher
den Staatskanzler, ihm die Stelle eines Präsidenten an der westpreußischen
Regierung in Marienwerder zu überweisen. Der König bewilligte den dahin
gerichteten Antrag insofern, als er ihm unter Bezeigung seiner vorzüglichen
Zufriedenheit den Posten eines Vicepräsidenten mit dem Gehalt und der An¬
wartschaft auf den eines Chefpräsidenten verlieh, und Hippel reiste, nachdem
er dem Staatskanzler vorher noch einige Aufsätze über Regulirung der bäuer¬
lichen Verhältnisse und über die General-Commissionen, sowie über das er¬
wähnte Gensdamerie-Edict vom 30. Juli 1812 und über die wichtigsten preu¬
ßischen Verfassungsfragen übergeben hatte, zunächst zur Erholung in die Schweiz,
dann in die Heimath.

Die Denkschrift über die Verfassung ist ziemlich allgemein gehalten, enthält
aber folgenden charakteristischen Satz: „Dürfen wir eine Constitution erwarten
und nach welchen Grundsätzen? — Ohne mir ein Urtheil darüber anzumaßen,
bitte ich Ew. Excellenz nur inständig, für den Fall, daß Sie die gesetzgebende
Gewalt nicht in die Hände der Repräsentanten geben, nicht Preßfreiheit, nicht
ein Gesetz über persönliche Freiheit gleich der Habcas-Corpus-Acte, nicht Ver¬
antwortlichkeit der Minister proclamiren, sondern der Repräsentation nur eine
consultative Stimme geben wollen, dafür zu sorgen, daß nicht eine andere auf
solche Grundsätze gebaute, der englischen ähnliche Constitution in irgend einem
deutschen Staate eingesetzt werde."

Die Frage, ob die Landesvertretung blos consultative oder legislative Befug-
niß haben sollte, ist in der Denkschrift offen gelassen, während Hippel, wie wir
sahen, im Jahre 1809 eine legislative Repräsentation empfohlen hatte. Auch lehnt
er sich jetzt nicht mehr wie damals an die französische, sondern an die englische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/506>, abgerufen am 29.05.2024.