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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Konstitution an, die er noch am Spätabend seines Lebens für "die einzig ver¬
nünftige Verfassung" erklärte. Von einer blos pcipiernen Verfassung hielt er
nichts, wesentlich war ihm die organische Einheit zwischen König und Volk,
der zu verschiedenen Zeiten ein der Zeit- und Volksbildung entsprechender ge¬
setzlicher Ausdruck gegeben werden müsse, und besonders wichtig schien ihm,
daß Preußen seinen Beruf erkenne, daß es, wie er sich in einer späteren amt¬
lichen Zuschrift an Hardenberg ausdrückt, "nicht im Paradeschritt gehe, wo
überall der Geschwindschritt gehalten werde" und daß es sich in Deutschland
nicht überholen lasse.

In Marienwerder, wo er nach wenigen Monaten zum Chefpräsidenten
ausrückte, wirkte er mit Eifer und Umsicht für Ausgleichung der von der Pro¬
vinz erlittenen Kriegsschäden. Im Sommer 1821 ging er als Mitglied der
Commission, die über Vereinfachung des Geschäftsgangs und Verminderung der
Beamtcnzahl berathen sollte, und zu der von Hardenberg noch v. Vincke,
Baumann und Delius berufen waren, nach Berlin, wo er bis zum April
des nächsten Jahres blieb und mehre Denkschriften ausarbeitete, von denen
vorzüglich die vom 27. Juni und die vom 15. December 1821 Bedeutung ha¬
ben. Jene dringt nach einer trefflichen Kritik der preußischen Verwaltung von
Friedrich dem Großen an hauptsächlich auf Beseitigung der Vielschreiberei, des
Bureaudespotismus und der übermäßigen Controlirungssucht und enthält zum
Schluß einen wohlangelegten Verwaltungsplan, nach welchem an der Spitze
des Ganzen der Staatskanzler, vier Fachminister (Krieg, Justiz, Auswärtiges,
Finanzen) und fünf Provinzialminister mit gleicher Stimme wie die Fachministcr
stehen, die Oberpräsidien aber abgeschafft werden sollen. Diese widerlegt die
Ansicht eines der Cvmmissionsmitglicder, daß den Mängeln der preußischen
Verwaltung durch Einsetzung von Provinzialministern abzuhelfen sei, zeigt,
daß neben diesen Fachminister unbedingt nothwendig seien, und betont, daß der
öffentlichen Meinung, sei es durch Provinziell-, sei es durch Reichsstände, eine
Stimme eingeräumt werden müsse, falls den Behörden das Vertrauen des Vol¬
kes zugewendet und erhalten werden solle.

Nach Marienwerder zurückgekehrt, wurde Hippel 1823 als Chefpräsident
nach Oppeln versetzt, eine Wendung seines Lebens, die für den Ruin seiner
Güter vollends entscheidend wurde. In seiner neuen Stellung nahm er sich
besonders der Hebung des Schulwesens mit Eifer an und wirkte namentlich
im Sinne Lorinsers für Einführung des Turnens in den höhern Unterrichts¬
anstalten. Daneben beschäftigte er sich viel mit Literatur, versammelte Ge¬
lehrte und Freunde der Wissenschaft um sich und machte sich an eine Gesammt-
ausgabe der Werke seines Oheims, die er indeß, durch Krankheit gestört, nicht
zu vollenden vermochte. 1837 begehrte und erhielt er seiner geschwächten Ge¬
sundheit halber den Abschied, woraus er zunächst nach Berlin, dann nach Brom-


Grenzboten III. 1863. 63

Konstitution an, die er noch am Spätabend seines Lebens für „die einzig ver¬
nünftige Verfassung" erklärte. Von einer blos pcipiernen Verfassung hielt er
nichts, wesentlich war ihm die organische Einheit zwischen König und Volk,
der zu verschiedenen Zeiten ein der Zeit- und Volksbildung entsprechender ge¬
setzlicher Ausdruck gegeben werden müsse, und besonders wichtig schien ihm,
daß Preußen seinen Beruf erkenne, daß es, wie er sich in einer späteren amt¬
lichen Zuschrift an Hardenberg ausdrückt, „nicht im Paradeschritt gehe, wo
überall der Geschwindschritt gehalten werde" und daß es sich in Deutschland
nicht überholen lasse.

In Marienwerder, wo er nach wenigen Monaten zum Chefpräsidenten
ausrückte, wirkte er mit Eifer und Umsicht für Ausgleichung der von der Pro¬
vinz erlittenen Kriegsschäden. Im Sommer 1821 ging er als Mitglied der
Commission, die über Vereinfachung des Geschäftsgangs und Verminderung der
Beamtcnzahl berathen sollte, und zu der von Hardenberg noch v. Vincke,
Baumann und Delius berufen waren, nach Berlin, wo er bis zum April
des nächsten Jahres blieb und mehre Denkschriften ausarbeitete, von denen
vorzüglich die vom 27. Juni und die vom 15. December 1821 Bedeutung ha¬
ben. Jene dringt nach einer trefflichen Kritik der preußischen Verwaltung von
Friedrich dem Großen an hauptsächlich auf Beseitigung der Vielschreiberei, des
Bureaudespotismus und der übermäßigen Controlirungssucht und enthält zum
Schluß einen wohlangelegten Verwaltungsplan, nach welchem an der Spitze
des Ganzen der Staatskanzler, vier Fachminister (Krieg, Justiz, Auswärtiges,
Finanzen) und fünf Provinzialminister mit gleicher Stimme wie die Fachministcr
stehen, die Oberpräsidien aber abgeschafft werden sollen. Diese widerlegt die
Ansicht eines der Cvmmissionsmitglicder, daß den Mängeln der preußischen
Verwaltung durch Einsetzung von Provinzialministern abzuhelfen sei, zeigt,
daß neben diesen Fachminister unbedingt nothwendig seien, und betont, daß der
öffentlichen Meinung, sei es durch Provinziell-, sei es durch Reichsstände, eine
Stimme eingeräumt werden müsse, falls den Behörden das Vertrauen des Vol¬
kes zugewendet und erhalten werden solle.

Nach Marienwerder zurückgekehrt, wurde Hippel 1823 als Chefpräsident
nach Oppeln versetzt, eine Wendung seines Lebens, die für den Ruin seiner
Güter vollends entscheidend wurde. In seiner neuen Stellung nahm er sich
besonders der Hebung des Schulwesens mit Eifer an und wirkte namentlich
im Sinne Lorinsers für Einführung des Turnens in den höhern Unterrichts¬
anstalten. Daneben beschäftigte er sich viel mit Literatur, versammelte Ge¬
lehrte und Freunde der Wissenschaft um sich und machte sich an eine Gesammt-
ausgabe der Werke seines Oheims, die er indeß, durch Krankheit gestört, nicht
zu vollenden vermochte. 1837 begehrte und erhielt er seiner geschwächten Ge¬
sundheit halber den Abschied, woraus er zunächst nach Berlin, dann nach Brom-


Grenzboten III. 1863. 63
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[0507] Konstitution an, die er noch am Spätabend seines Lebens für „die einzig ver¬ nünftige Verfassung" erklärte. Von einer blos pcipiernen Verfassung hielt er nichts, wesentlich war ihm die organische Einheit zwischen König und Volk, der zu verschiedenen Zeiten ein der Zeit- und Volksbildung entsprechender ge¬ setzlicher Ausdruck gegeben werden müsse, und besonders wichtig schien ihm, daß Preußen seinen Beruf erkenne, daß es, wie er sich in einer späteren amt¬ lichen Zuschrift an Hardenberg ausdrückt, „nicht im Paradeschritt gehe, wo überall der Geschwindschritt gehalten werde" und daß es sich in Deutschland nicht überholen lasse. In Marienwerder, wo er nach wenigen Monaten zum Chefpräsidenten ausrückte, wirkte er mit Eifer und Umsicht für Ausgleichung der von der Pro¬ vinz erlittenen Kriegsschäden. Im Sommer 1821 ging er als Mitglied der Commission, die über Vereinfachung des Geschäftsgangs und Verminderung der Beamtcnzahl berathen sollte, und zu der von Hardenberg noch v. Vincke, Baumann und Delius berufen waren, nach Berlin, wo er bis zum April des nächsten Jahres blieb und mehre Denkschriften ausarbeitete, von denen vorzüglich die vom 27. Juni und die vom 15. December 1821 Bedeutung ha¬ ben. Jene dringt nach einer trefflichen Kritik der preußischen Verwaltung von Friedrich dem Großen an hauptsächlich auf Beseitigung der Vielschreiberei, des Bureaudespotismus und der übermäßigen Controlirungssucht und enthält zum Schluß einen wohlangelegten Verwaltungsplan, nach welchem an der Spitze des Ganzen der Staatskanzler, vier Fachminister (Krieg, Justiz, Auswärtiges, Finanzen) und fünf Provinzialminister mit gleicher Stimme wie die Fachministcr stehen, die Oberpräsidien aber abgeschafft werden sollen. Diese widerlegt die Ansicht eines der Cvmmissionsmitglicder, daß den Mängeln der preußischen Verwaltung durch Einsetzung von Provinzialministern abzuhelfen sei, zeigt, daß neben diesen Fachminister unbedingt nothwendig seien, und betont, daß der öffentlichen Meinung, sei es durch Provinziell-, sei es durch Reichsstände, eine Stimme eingeräumt werden müsse, falls den Behörden das Vertrauen des Vol¬ kes zugewendet und erhalten werden solle. Nach Marienwerder zurückgekehrt, wurde Hippel 1823 als Chefpräsident nach Oppeln versetzt, eine Wendung seines Lebens, die für den Ruin seiner Güter vollends entscheidend wurde. In seiner neuen Stellung nahm er sich besonders der Hebung des Schulwesens mit Eifer an und wirkte namentlich im Sinne Lorinsers für Einführung des Turnens in den höhern Unterrichts¬ anstalten. Daneben beschäftigte er sich viel mit Literatur, versammelte Ge¬ lehrte und Freunde der Wissenschaft um sich und machte sich an eine Gesammt- ausgabe der Werke seines Oheims, die er indeß, durch Krankheit gestört, nicht zu vollenden vermochte. 1837 begehrte und erhielt er seiner geschwächten Ge¬ sundheit halber den Abschied, woraus er zunächst nach Berlin, dann nach Brom- Grenzboten III. 1863. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/507>, abgerufen am 09.06.2024.