Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

that tilgen, den göttlichen Zorn versöhnen und für Rom eine neue Zeit des
Friedens und des Wohlgefallens begründen soll.

Horaz war in seinem zwei- oder drciundvicrzigstcn Jahre, als er diese
Odensammlung veröffentlichte. Er war frühzeitig grau geworden, und seine
Gesundheit wankte, weshalb er auf den Rath des berühmten Arztes Antonius
Musa einen Frühling in den Badeorten Präneste und Gabii und einen Winter
im Süden Italiens zugebracht hatte. Bon jetzt an lebte er meist auf dem
Lande, hing die Leier an die Wand und beschäftigte sich einzig mit dem Studium
der Philosophie, in welcher er indeß zu keiner bestimmten Schule gehörte,
sondern eklektisch verfuhr und bald sich an Platos Dialogen erfreute, bald mit
der Stoa das alleinige Gut in der Tugend sah, bald wieder nach Aristipp als
dem Lehrer rechter Lebensweisheit hinschwankte.

Später kehrte ihm die Muse wieder, und er dichtete zunächst die "Briefe",
eine neue Art satirisch-didaktischer Poesien, in denen er Freunden seine Gedanken
über Welt und Leben, Menschen und Dinge mittheilt, ihnen über Leiden¬
schaften und Verirrungen, über das Glück, welches im Gleichmuth der Seele
liege, als Mentor Rath ertheilt u. s. w. Sind die Lormonss von Horaz ein
Sittcnspiegel seiner Zeit, so find seine ^pistvla" mehr ein Spiegel seines
eignen Lebens.

Im Jahre 17. v. Chr., im achtundvierzigsten Lebensjahr des Horaz, schrieb
Augustus das große Neichsfcst der knall s^eoulurvs aus, ein Jubiläum, welches,
wie die Proclamation lautete, Niemand noch erlebt hätte noch wieder erleben
würde, und der Dichter erhielt den Auftrag, es durch einen Jubelgesang zu
verherrlichen, welchem er durch das <nu>i'ir>6u suLcuIare, das stolzeste und
prächtigste seiner Gelegenheitsgedichte, entsprach. Es ist ein Wechselgesang,
durch abwechselnde Chöre von Mädchen und Knaben vorzutragen. Bitten um
Fruchtbarkeit von Menschen, Vieh und Aeckern, um Glück und Größe für das
Reich und den Kaiser, um Frieden und Treue, Ehre und Tugend machen den
Inhalt desselben aus.

Nicht lange darauf ergriff der Dichter noch einmal die Leier, und das
vierte Buch seiner Oden entstand: Lieder an seine Freunde, ein Abschieds¬
gedicht an Phyllis, ein Hymnus an Melpomene, Lobgedichtc aus die kaiserliche
Familie, namentlich auf Drusus,, welcher Prinz damals am Rhein Lorbeern
pflückte, und aus Tiberius, welcher die Völker der untern Donau unterwarf, und
auf den Beherrscher des Weltreichs selbst, der "Roms Namen von den Gestaden
des Euphrat bis zu den Säulen des Herkules Hochachtung verschafft", und den
er in einer seiner Strophen anredet: "Cäsar, in dieser guten Zeit ernten wir
wieder wie vor Alters von unsern Aeckern, haben wir aus der Perser Händen Roms
Adler befreit. Jupiters stolze Tempelwände prunken mit diesen kostbaren Unter¬
pfändern, seit du Janus' Thüren schlossest und der ganzen Erde Frieden gabst."


Grenzboten III. 186S. 64

that tilgen, den göttlichen Zorn versöhnen und für Rom eine neue Zeit des
Friedens und des Wohlgefallens begründen soll.

Horaz war in seinem zwei- oder drciundvicrzigstcn Jahre, als er diese
Odensammlung veröffentlichte. Er war frühzeitig grau geworden, und seine
Gesundheit wankte, weshalb er auf den Rath des berühmten Arztes Antonius
Musa einen Frühling in den Badeorten Präneste und Gabii und einen Winter
im Süden Italiens zugebracht hatte. Bon jetzt an lebte er meist auf dem
Lande, hing die Leier an die Wand und beschäftigte sich einzig mit dem Studium
der Philosophie, in welcher er indeß zu keiner bestimmten Schule gehörte,
sondern eklektisch verfuhr und bald sich an Platos Dialogen erfreute, bald mit
der Stoa das alleinige Gut in der Tugend sah, bald wieder nach Aristipp als
dem Lehrer rechter Lebensweisheit hinschwankte.

Später kehrte ihm die Muse wieder, und er dichtete zunächst die „Briefe",
eine neue Art satirisch-didaktischer Poesien, in denen er Freunden seine Gedanken
über Welt und Leben, Menschen und Dinge mittheilt, ihnen über Leiden¬
schaften und Verirrungen, über das Glück, welches im Gleichmuth der Seele
liege, als Mentor Rath ertheilt u. s. w. Sind die Lormonss von Horaz ein
Sittcnspiegel seiner Zeit, so find seine ^pistvla« mehr ein Spiegel seines
eignen Lebens.

Im Jahre 17. v. Chr., im achtundvierzigsten Lebensjahr des Horaz, schrieb
Augustus das große Neichsfcst der knall s^eoulurvs aus, ein Jubiläum, welches,
wie die Proclamation lautete, Niemand noch erlebt hätte noch wieder erleben
würde, und der Dichter erhielt den Auftrag, es durch einen Jubelgesang zu
verherrlichen, welchem er durch das <nu>i'ir>6u suLcuIare, das stolzeste und
prächtigste seiner Gelegenheitsgedichte, entsprach. Es ist ein Wechselgesang,
durch abwechselnde Chöre von Mädchen und Knaben vorzutragen. Bitten um
Fruchtbarkeit von Menschen, Vieh und Aeckern, um Glück und Größe für das
Reich und den Kaiser, um Frieden und Treue, Ehre und Tugend machen den
Inhalt desselben aus.

Nicht lange darauf ergriff der Dichter noch einmal die Leier, und das
vierte Buch seiner Oden entstand: Lieder an seine Freunde, ein Abschieds¬
gedicht an Phyllis, ein Hymnus an Melpomene, Lobgedichtc aus die kaiserliche
Familie, namentlich auf Drusus,, welcher Prinz damals am Rhein Lorbeern
pflückte, und aus Tiberius, welcher die Völker der untern Donau unterwarf, und
auf den Beherrscher des Weltreichs selbst, der „Roms Namen von den Gestaden
des Euphrat bis zu den Säulen des Herkules Hochachtung verschafft", und den
er in einer seiner Strophen anredet: „Cäsar, in dieser guten Zeit ernten wir
wieder wie vor Alters von unsern Aeckern, haben wir aus der Perser Händen Roms
Adler befreit. Jupiters stolze Tempelwände prunken mit diesen kostbaren Unter¬
pfändern, seit du Janus' Thüren schlossest und der ganzen Erde Frieden gabst."


Grenzboten III. 186S. 64
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115907"/>
          <p xml:id="ID_1577" prev="#ID_1576"> that tilgen, den göttlichen Zorn versöhnen und für Rom eine neue Zeit des<lb/>
Friedens und des Wohlgefallens begründen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1578"> Horaz war in seinem zwei- oder drciundvicrzigstcn Jahre, als er diese<lb/>
Odensammlung veröffentlichte. Er war frühzeitig grau geworden, und seine<lb/>
Gesundheit wankte, weshalb er auf den Rath des berühmten Arztes Antonius<lb/>
Musa einen Frühling in den Badeorten Präneste und Gabii und einen Winter<lb/>
im Süden Italiens zugebracht hatte. Bon jetzt an lebte er meist auf dem<lb/>
Lande, hing die Leier an die Wand und beschäftigte sich einzig mit dem Studium<lb/>
der Philosophie, in welcher er indeß zu keiner bestimmten Schule gehörte,<lb/>
sondern eklektisch verfuhr und bald sich an Platos Dialogen erfreute, bald mit<lb/>
der Stoa das alleinige Gut in der Tugend sah, bald wieder nach Aristipp als<lb/>
dem Lehrer rechter Lebensweisheit hinschwankte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1579"> Später kehrte ihm die Muse wieder, und er dichtete zunächst die &#x201E;Briefe",<lb/>
eine neue Art satirisch-didaktischer Poesien, in denen er Freunden seine Gedanken<lb/>
über Welt und Leben, Menschen und Dinge mittheilt, ihnen über Leiden¬<lb/>
schaften und Verirrungen, über das Glück, welches im Gleichmuth der Seele<lb/>
liege, als Mentor Rath ertheilt u. s. w. Sind die Lormonss von Horaz ein<lb/>
Sittcnspiegel seiner Zeit, so find seine ^pistvla« mehr ein Spiegel seines<lb/>
eignen Lebens.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1580"> Im Jahre 17. v. Chr., im achtundvierzigsten Lebensjahr des Horaz, schrieb<lb/>
Augustus das große Neichsfcst der knall s^eoulurvs aus, ein Jubiläum, welches,<lb/>
wie die Proclamation lautete, Niemand noch erlebt hätte noch wieder erleben<lb/>
würde, und der Dichter erhielt den Auftrag, es durch einen Jubelgesang zu<lb/>
verherrlichen, welchem er durch das &lt;nu&gt;i'ir&gt;6u suLcuIare, das stolzeste und<lb/>
prächtigste seiner Gelegenheitsgedichte, entsprach. Es ist ein Wechselgesang,<lb/>
durch abwechselnde Chöre von Mädchen und Knaben vorzutragen. Bitten um<lb/>
Fruchtbarkeit von Menschen, Vieh und Aeckern, um Glück und Größe für das<lb/>
Reich und den Kaiser, um Frieden und Treue, Ehre und Tugend machen den<lb/>
Inhalt desselben aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1581"> Nicht lange darauf ergriff der Dichter noch einmal die Leier, und das<lb/>
vierte Buch seiner Oden entstand: Lieder an seine Freunde, ein Abschieds¬<lb/>
gedicht an Phyllis, ein Hymnus an Melpomene, Lobgedichtc aus die kaiserliche<lb/>
Familie, namentlich auf Drusus,, welcher Prinz damals am Rhein Lorbeern<lb/>
pflückte, und aus Tiberius, welcher die Völker der untern Donau unterwarf, und<lb/>
auf den Beherrscher des Weltreichs selbst, der &#x201E;Roms Namen von den Gestaden<lb/>
des Euphrat bis zu den Säulen des Herkules Hochachtung verschafft", und den<lb/>
er in einer seiner Strophen anredet: &#x201E;Cäsar, in dieser guten Zeit ernten wir<lb/>
wieder wie vor Alters von unsern Aeckern, haben wir aus der Perser Händen Roms<lb/>
Adler befreit. Jupiters stolze Tempelwände prunken mit diesen kostbaren Unter¬<lb/>
pfändern, seit du Janus' Thüren schlossest und der ganzen Erde Frieden gabst."</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 186S. 64</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0515] that tilgen, den göttlichen Zorn versöhnen und für Rom eine neue Zeit des Friedens und des Wohlgefallens begründen soll. Horaz war in seinem zwei- oder drciundvicrzigstcn Jahre, als er diese Odensammlung veröffentlichte. Er war frühzeitig grau geworden, und seine Gesundheit wankte, weshalb er auf den Rath des berühmten Arztes Antonius Musa einen Frühling in den Badeorten Präneste und Gabii und einen Winter im Süden Italiens zugebracht hatte. Bon jetzt an lebte er meist auf dem Lande, hing die Leier an die Wand und beschäftigte sich einzig mit dem Studium der Philosophie, in welcher er indeß zu keiner bestimmten Schule gehörte, sondern eklektisch verfuhr und bald sich an Platos Dialogen erfreute, bald mit der Stoa das alleinige Gut in der Tugend sah, bald wieder nach Aristipp als dem Lehrer rechter Lebensweisheit hinschwankte. Später kehrte ihm die Muse wieder, und er dichtete zunächst die „Briefe", eine neue Art satirisch-didaktischer Poesien, in denen er Freunden seine Gedanken über Welt und Leben, Menschen und Dinge mittheilt, ihnen über Leiden¬ schaften und Verirrungen, über das Glück, welches im Gleichmuth der Seele liege, als Mentor Rath ertheilt u. s. w. Sind die Lormonss von Horaz ein Sittcnspiegel seiner Zeit, so find seine ^pistvla« mehr ein Spiegel seines eignen Lebens. Im Jahre 17. v. Chr., im achtundvierzigsten Lebensjahr des Horaz, schrieb Augustus das große Neichsfcst der knall s^eoulurvs aus, ein Jubiläum, welches, wie die Proclamation lautete, Niemand noch erlebt hätte noch wieder erleben würde, und der Dichter erhielt den Auftrag, es durch einen Jubelgesang zu verherrlichen, welchem er durch das <nu>i'ir>6u suLcuIare, das stolzeste und prächtigste seiner Gelegenheitsgedichte, entsprach. Es ist ein Wechselgesang, durch abwechselnde Chöre von Mädchen und Knaben vorzutragen. Bitten um Fruchtbarkeit von Menschen, Vieh und Aeckern, um Glück und Größe für das Reich und den Kaiser, um Frieden und Treue, Ehre und Tugend machen den Inhalt desselben aus. Nicht lange darauf ergriff der Dichter noch einmal die Leier, und das vierte Buch seiner Oden entstand: Lieder an seine Freunde, ein Abschieds¬ gedicht an Phyllis, ein Hymnus an Melpomene, Lobgedichtc aus die kaiserliche Familie, namentlich auf Drusus,, welcher Prinz damals am Rhein Lorbeern pflückte, und aus Tiberius, welcher die Völker der untern Donau unterwarf, und auf den Beherrscher des Weltreichs selbst, der „Roms Namen von den Gestaden des Euphrat bis zu den Säulen des Herkules Hochachtung verschafft", und den er in einer seiner Strophen anredet: „Cäsar, in dieser guten Zeit ernten wir wieder wie vor Alters von unsern Aeckern, haben wir aus der Perser Händen Roms Adler befreit. Jupiters stolze Tempelwände prunken mit diesen kostbaren Unter¬ pfändern, seit du Janus' Thüren schlossest und der ganzen Erde Frieden gabst." Grenzboten III. 186S. 64

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/515
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/515>, abgerufen am 29.05.2024.