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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Die letzte Frucht der Studien des Dichters waren drei Episteln, von denen
die erste, den literarischen Geschmack der Zeit, namentlich auf dem Gebiet des
Dramas tadelnd, an Augustus, die zweite, von ähnlichem Inhalt, an Julius
Florus, einen jungen talentvollen Mann im Gefolge des Prinzen Tiberius'
gerichtet ist, während die dritte, die bekannte ^rs xoetiea, ihren Gedanken nach
einem Buche des Neoptolcmos von Paros entlehnt, sich an einen Piso wendet,
welcher später unter Tiberius den Posten eines Stadtpräfectcn bekleidete.

Mit dieser mehr kritischen Thätigkeit beschloß Horaz seine dichterische Lauf¬
bahn. Mäcenas starb, und Horaz folgte ihm nach wenigen Wochen, am
27. November des Jahres 8 v. Chr., seines Alters siebenundfünfzig Jahre.
Er fand seine Ruhestätte auf den Esquilien, neben der seines Gönners. Seine
Gesichtszüge sind uns auf einer Gemme erhalten. Von Natur war er klein
und schwächlich. Lat. II., 3, 309 sagt er in scherzhafter Uebertreibung, daß er
"von oben bis unten nur zwei Fuß gemessen", und anderwärts finden sich An¬
deutungen, daß er sich in ältern Jahren ein Bäuchlein wachsen ließ. Häusig
litt er an Krankheit. Schon im achtundzwanzigsten Jahre war er triefäugig,
später quälten ihn vorzüglich Nervenübel, und infolge dessen hatte er über
Abspannung, Trübsinn und launenhafte Reizbarkeit zu klagen.

Blicken wir auf sein Leben zurück, so sehen wir in ihm einen Mann, in
dem sich in sittlicher Beziehung Schwächen und Vorzüge zu gleichen Theilen
mischten. Geschmeidig, wußte er sich doch eine gewisse Selbständigkeit- zu wahren.
Ein feiner hosmännischer Charakter, hatte er dennoch in seiner Seele Raum
für einen anständigen Freimuth. Ein Kopf voll Witz, in Dingen des Ge¬
nusses sehr liberal, fast Libertin, bewahrte er doch einen gewissen Ernst der
Grundsätze, der das Urmaß wenigstens als unschön und schädlich floh.

Betrachten wir ihn als Dichter, so ist zunächst zu bemerken, daß er kein
Genie, kein ursprünglicher Geist war, der neue Formen der Dichtung, neue
Ideen schuf. Die Satire, mit der er begann, war ein echtes Erzeugniß italischen
Bodens, schon geraume Zeit vor ihm aus dem Volkscharakter emporgewachsen
und von Lucilius mit Glück angebaut. Horaz hat sie nur dem Geschmack
der veränderten Zeit angepaßt, als fleißiger Leser von Eupolis, Menander
und der attischen Komödie ihr ein Gewand gegeben, welches aus griechischen
und römischen Fäden zugleich gewebt ist. Sein Scherz ist nicht das Itklum
Äcstuni. sondern das sal ^ttieum.

Dasselbe gilt von den horazischen Episteln, und auch in den Epoden, die
gleichsam Mischtrüge satirischen und odischen Geistes sind und so den Ueber¬
gang zwischen dem Spottgedicht und der lyrischen Poesie bilden, nimmt er sich
einen Griechen, den Archilochos zum Vorbilde.

Endlich entlehnt Horaz auch als Odendichter Ton, Stimmung und Ge¬
danken hellenischen Vorgängern, vor Allem dem Alkcios und der Sappho, dann


Die letzte Frucht der Studien des Dichters waren drei Episteln, von denen
die erste, den literarischen Geschmack der Zeit, namentlich auf dem Gebiet des
Dramas tadelnd, an Augustus, die zweite, von ähnlichem Inhalt, an Julius
Florus, einen jungen talentvollen Mann im Gefolge des Prinzen Tiberius'
gerichtet ist, während die dritte, die bekannte ^rs xoetiea, ihren Gedanken nach
einem Buche des Neoptolcmos von Paros entlehnt, sich an einen Piso wendet,
welcher später unter Tiberius den Posten eines Stadtpräfectcn bekleidete.

Mit dieser mehr kritischen Thätigkeit beschloß Horaz seine dichterische Lauf¬
bahn. Mäcenas starb, und Horaz folgte ihm nach wenigen Wochen, am
27. November des Jahres 8 v. Chr., seines Alters siebenundfünfzig Jahre.
Er fand seine Ruhestätte auf den Esquilien, neben der seines Gönners. Seine
Gesichtszüge sind uns auf einer Gemme erhalten. Von Natur war er klein
und schwächlich. Lat. II., 3, 309 sagt er in scherzhafter Uebertreibung, daß er
„von oben bis unten nur zwei Fuß gemessen", und anderwärts finden sich An¬
deutungen, daß er sich in ältern Jahren ein Bäuchlein wachsen ließ. Häusig
litt er an Krankheit. Schon im achtundzwanzigsten Jahre war er triefäugig,
später quälten ihn vorzüglich Nervenübel, und infolge dessen hatte er über
Abspannung, Trübsinn und launenhafte Reizbarkeit zu klagen.

Blicken wir auf sein Leben zurück, so sehen wir in ihm einen Mann, in
dem sich in sittlicher Beziehung Schwächen und Vorzüge zu gleichen Theilen
mischten. Geschmeidig, wußte er sich doch eine gewisse Selbständigkeit- zu wahren.
Ein feiner hosmännischer Charakter, hatte er dennoch in seiner Seele Raum
für einen anständigen Freimuth. Ein Kopf voll Witz, in Dingen des Ge¬
nusses sehr liberal, fast Libertin, bewahrte er doch einen gewissen Ernst der
Grundsätze, der das Urmaß wenigstens als unschön und schädlich floh.

Betrachten wir ihn als Dichter, so ist zunächst zu bemerken, daß er kein
Genie, kein ursprünglicher Geist war, der neue Formen der Dichtung, neue
Ideen schuf. Die Satire, mit der er begann, war ein echtes Erzeugniß italischen
Bodens, schon geraume Zeit vor ihm aus dem Volkscharakter emporgewachsen
und von Lucilius mit Glück angebaut. Horaz hat sie nur dem Geschmack
der veränderten Zeit angepaßt, als fleißiger Leser von Eupolis, Menander
und der attischen Komödie ihr ein Gewand gegeben, welches aus griechischen
und römischen Fäden zugleich gewebt ist. Sein Scherz ist nicht das Itklum
Äcstuni. sondern das sal ^ttieum.

Dasselbe gilt von den horazischen Episteln, und auch in den Epoden, die
gleichsam Mischtrüge satirischen und odischen Geistes sind und so den Ueber¬
gang zwischen dem Spottgedicht und der lyrischen Poesie bilden, nimmt er sich
einen Griechen, den Archilochos zum Vorbilde.

Endlich entlehnt Horaz auch als Odendichter Ton, Stimmung und Ge¬
danken hellenischen Vorgängern, vor Allem dem Alkcios und der Sappho, dann


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[0516] Die letzte Frucht der Studien des Dichters waren drei Episteln, von denen die erste, den literarischen Geschmack der Zeit, namentlich auf dem Gebiet des Dramas tadelnd, an Augustus, die zweite, von ähnlichem Inhalt, an Julius Florus, einen jungen talentvollen Mann im Gefolge des Prinzen Tiberius' gerichtet ist, während die dritte, die bekannte ^rs xoetiea, ihren Gedanken nach einem Buche des Neoptolcmos von Paros entlehnt, sich an einen Piso wendet, welcher später unter Tiberius den Posten eines Stadtpräfectcn bekleidete. Mit dieser mehr kritischen Thätigkeit beschloß Horaz seine dichterische Lauf¬ bahn. Mäcenas starb, und Horaz folgte ihm nach wenigen Wochen, am 27. November des Jahres 8 v. Chr., seines Alters siebenundfünfzig Jahre. Er fand seine Ruhestätte auf den Esquilien, neben der seines Gönners. Seine Gesichtszüge sind uns auf einer Gemme erhalten. Von Natur war er klein und schwächlich. Lat. II., 3, 309 sagt er in scherzhafter Uebertreibung, daß er „von oben bis unten nur zwei Fuß gemessen", und anderwärts finden sich An¬ deutungen, daß er sich in ältern Jahren ein Bäuchlein wachsen ließ. Häusig litt er an Krankheit. Schon im achtundzwanzigsten Jahre war er triefäugig, später quälten ihn vorzüglich Nervenübel, und infolge dessen hatte er über Abspannung, Trübsinn und launenhafte Reizbarkeit zu klagen. Blicken wir auf sein Leben zurück, so sehen wir in ihm einen Mann, in dem sich in sittlicher Beziehung Schwächen und Vorzüge zu gleichen Theilen mischten. Geschmeidig, wußte er sich doch eine gewisse Selbständigkeit- zu wahren. Ein feiner hosmännischer Charakter, hatte er dennoch in seiner Seele Raum für einen anständigen Freimuth. Ein Kopf voll Witz, in Dingen des Ge¬ nusses sehr liberal, fast Libertin, bewahrte er doch einen gewissen Ernst der Grundsätze, der das Urmaß wenigstens als unschön und schädlich floh. Betrachten wir ihn als Dichter, so ist zunächst zu bemerken, daß er kein Genie, kein ursprünglicher Geist war, der neue Formen der Dichtung, neue Ideen schuf. Die Satire, mit der er begann, war ein echtes Erzeugniß italischen Bodens, schon geraume Zeit vor ihm aus dem Volkscharakter emporgewachsen und von Lucilius mit Glück angebaut. Horaz hat sie nur dem Geschmack der veränderten Zeit angepaßt, als fleißiger Leser von Eupolis, Menander und der attischen Komödie ihr ein Gewand gegeben, welches aus griechischen und römischen Fäden zugleich gewebt ist. Sein Scherz ist nicht das Itklum Äcstuni. sondern das sal ^ttieum. Dasselbe gilt von den horazischen Episteln, und auch in den Epoden, die gleichsam Mischtrüge satirischen und odischen Geistes sind und so den Ueber¬ gang zwischen dem Spottgedicht und der lyrischen Poesie bilden, nimmt er sich einen Griechen, den Archilochos zum Vorbilde. Endlich entlehnt Horaz auch als Odendichter Ton, Stimmung und Ge¬ danken hellenischen Vorgängern, vor Allem dem Alkcios und der Sappho, dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/516>, abgerufen am 29.05.2024.