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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Vorzüglich durch die Aneinanderreihung und die stufenweise Steigerung der Ge¬
danken versteht er zu wirken. So in der schönen Strophe "luswm g,e teuaesm"
und so in den Zeilen in III, 6, die mit "Damnos", quia non imminuit äiss?"
beginnen, wo die durch vier Geschlechter hindurch anhaltende Entartung und
der zunehmende Verfall durch die Climax der Worte -- neczuior --
vitiosior ebenso zierlich als bündig geschildert sind.

Ueberhaupt verstand sich der Dichter vortrefflich auf die Kunst, mit wenig
Worten viel zu sagen, mit einem Epitheton ein volles deutliches Bild dem
Leser vor die Seele zu stellen. Ein Beispiel ist die Stelle vara. I, 3. wo
er Pyrrha "simplex mmräitiis" nennt, ein anderes, wo er (I, 12) durch die
bloße Wortverbindung "animo-e irmMus procligum ?aulum" den hohen Sinn
und die Selbstaufopferung des Gegenstandes seines Preises schildert. Und
von welcher Wirkung die richtige Stellung eines einzigen Worts sein kann,
ersehen wir aus den folgenden Versen an Archytas (I, 28):


"Ave cMllcMm tibi xroclsst
^frih-s tölliassiz äomo" g-runo^no rownäum
?ereui'i'issö xolum, inor nul'0?"

Was vor Allem die Gedichte des Horaz bezeichnet, sind zwei Eigenthümlich¬
keiten: zunächst die Färbung, die sie durch die überall bemerkbare Mischung
poetischer Empfindung und philosophischer Reflexion erhalten, und dann der
häusig hervortretende ironische Ton.

Herzensergießungen eines heiteren Gemüths, niedliche Bildchen sind mit
ernsten Gedanken gemischt, die wie Wolkenschatten über eine sonnenbeschienene
grüne Landschaft hingleiten. In dem Frühlingsliede an Sextius (I, 4) be¬
schattet plötzlich das anmuthig lächelnde Bild der wiederauflebenden Natur,
welche die Menschen einladet, sich mit Myrthen und Blumen zu bekränzen,
die Erinnerung an den bleichen Tod, der mit gleichmütigem Fuß die Hütten
der Armen wie die Paläste der Könige betritt. Aber die Wolke schwindet, und
wieder glänzt allenthalben der heitere Himmel.

Der zweite Zug ist damit verwandt. In die lyrische Stimmung spielt die
Satire, die Ironie, der Spott hinein, und es scheint zuweilen, als ob der
Dichter zwei Personen in sich vereinigte: den Günstling der Melpomene und den
schalkhaften Satyr, dem das Pathos seines Hausgenossen Lachen erregt. Gleich
die Widmung seiner lyrischen Poesien an Mcicenas liefert zu dieser Bemerkung
ein deutliches Beispiel, und zwar schon zu Anfang, wo das Deminutivum
"curriculo", das "xulverem eolliMre" und das hyperbolische "evelrit n.ä 1)<zö""
eine ironische Schattirung aus das Glänzende des Wettstreites der Ruhmsüch¬
tigen wirst, dann aber noch mehr am Schlüsse, wo der Dichter mit einer aber¬
maligen Hyperbel sich selbst ironisirt.

Wir schließen mit einem noch auffallenderen Beispiel. Das zweite Buch


Vorzüglich durch die Aneinanderreihung und die stufenweise Steigerung der Ge¬
danken versteht er zu wirken. So in der schönen Strophe „luswm g,e teuaesm"
und so in den Zeilen in III, 6, die mit „Damnos», quia non imminuit äiss?"
beginnen, wo die durch vier Geschlechter hindurch anhaltende Entartung und
der zunehmende Verfall durch die Climax der Worte — neczuior —
vitiosior ebenso zierlich als bündig geschildert sind.

Ueberhaupt verstand sich der Dichter vortrefflich auf die Kunst, mit wenig
Worten viel zu sagen, mit einem Epitheton ein volles deutliches Bild dem
Leser vor die Seele zu stellen. Ein Beispiel ist die Stelle vara. I, 3. wo
er Pyrrha „simplex mmräitiis" nennt, ein anderes, wo er (I, 12) durch die
bloße Wortverbindung „animo-e irmMus procligum ?aulum" den hohen Sinn
und die Selbstaufopferung des Gegenstandes seines Preises schildert. Und
von welcher Wirkung die richtige Stellung eines einzigen Worts sein kann,
ersehen wir aus den folgenden Versen an Archytas (I, 28):


„Ave cMllcMm tibi xroclsst
^frih-s tölliassiz äomo« g-runo^no rownäum
?ereui'i'issö xolum, inor nul'0?"

Was vor Allem die Gedichte des Horaz bezeichnet, sind zwei Eigenthümlich¬
keiten: zunächst die Färbung, die sie durch die überall bemerkbare Mischung
poetischer Empfindung und philosophischer Reflexion erhalten, und dann der
häusig hervortretende ironische Ton.

Herzensergießungen eines heiteren Gemüths, niedliche Bildchen sind mit
ernsten Gedanken gemischt, die wie Wolkenschatten über eine sonnenbeschienene
grüne Landschaft hingleiten. In dem Frühlingsliede an Sextius (I, 4) be¬
schattet plötzlich das anmuthig lächelnde Bild der wiederauflebenden Natur,
welche die Menschen einladet, sich mit Myrthen und Blumen zu bekränzen,
die Erinnerung an den bleichen Tod, der mit gleichmütigem Fuß die Hütten
der Armen wie die Paläste der Könige betritt. Aber die Wolke schwindet, und
wieder glänzt allenthalben der heitere Himmel.

Der zweite Zug ist damit verwandt. In die lyrische Stimmung spielt die
Satire, die Ironie, der Spott hinein, und es scheint zuweilen, als ob der
Dichter zwei Personen in sich vereinigte: den Günstling der Melpomene und den
schalkhaften Satyr, dem das Pathos seines Hausgenossen Lachen erregt. Gleich
die Widmung seiner lyrischen Poesien an Mcicenas liefert zu dieser Bemerkung
ein deutliches Beispiel, und zwar schon zu Anfang, wo das Deminutivum
„curriculo", das „xulverem eolliMre" und das hyperbolische „evelrit n.ä 1)<zö«"
eine ironische Schattirung aus das Glänzende des Wettstreites der Ruhmsüch¬
tigen wirst, dann aber noch mehr am Schlüsse, wo der Dichter mit einer aber¬
maligen Hyperbel sich selbst ironisirt.

Wir schließen mit einem noch auffallenderen Beispiel. Das zweite Buch


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[0518] Vorzüglich durch die Aneinanderreihung und die stufenweise Steigerung der Ge¬ danken versteht er zu wirken. So in der schönen Strophe „luswm g,e teuaesm" und so in den Zeilen in III, 6, die mit „Damnos», quia non imminuit äiss?" beginnen, wo die durch vier Geschlechter hindurch anhaltende Entartung und der zunehmende Verfall durch die Climax der Worte — neczuior — vitiosior ebenso zierlich als bündig geschildert sind. Ueberhaupt verstand sich der Dichter vortrefflich auf die Kunst, mit wenig Worten viel zu sagen, mit einem Epitheton ein volles deutliches Bild dem Leser vor die Seele zu stellen. Ein Beispiel ist die Stelle vara. I, 3. wo er Pyrrha „simplex mmräitiis" nennt, ein anderes, wo er (I, 12) durch die bloße Wortverbindung „animo-e irmMus procligum ?aulum" den hohen Sinn und die Selbstaufopferung des Gegenstandes seines Preises schildert. Und von welcher Wirkung die richtige Stellung eines einzigen Worts sein kann, ersehen wir aus den folgenden Versen an Archytas (I, 28): „Ave cMllcMm tibi xroclsst ^frih-s tölliassiz äomo« g-runo^no rownäum ?ereui'i'issö xolum, inor nul'0?" Was vor Allem die Gedichte des Horaz bezeichnet, sind zwei Eigenthümlich¬ keiten: zunächst die Färbung, die sie durch die überall bemerkbare Mischung poetischer Empfindung und philosophischer Reflexion erhalten, und dann der häusig hervortretende ironische Ton. Herzensergießungen eines heiteren Gemüths, niedliche Bildchen sind mit ernsten Gedanken gemischt, die wie Wolkenschatten über eine sonnenbeschienene grüne Landschaft hingleiten. In dem Frühlingsliede an Sextius (I, 4) be¬ schattet plötzlich das anmuthig lächelnde Bild der wiederauflebenden Natur, welche die Menschen einladet, sich mit Myrthen und Blumen zu bekränzen, die Erinnerung an den bleichen Tod, der mit gleichmütigem Fuß die Hütten der Armen wie die Paläste der Könige betritt. Aber die Wolke schwindet, und wieder glänzt allenthalben der heitere Himmel. Der zweite Zug ist damit verwandt. In die lyrische Stimmung spielt die Satire, die Ironie, der Spott hinein, und es scheint zuweilen, als ob der Dichter zwei Personen in sich vereinigte: den Günstling der Melpomene und den schalkhaften Satyr, dem das Pathos seines Hausgenossen Lachen erregt. Gleich die Widmung seiner lyrischen Poesien an Mcicenas liefert zu dieser Bemerkung ein deutliches Beispiel, und zwar schon zu Anfang, wo das Deminutivum „curriculo", das „xulverem eolliMre" und das hyperbolische „evelrit n.ä 1)<zö«" eine ironische Schattirung aus das Glänzende des Wettstreites der Ruhmsüch¬ tigen wirst, dann aber noch mehr am Schlüsse, wo der Dichter mit einer aber¬ maligen Hyperbel sich selbst ironisirt. Wir schließen mit einem noch auffallenderen Beispiel. Das zweite Buch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/518>, abgerufen am 15.05.2024.