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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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dem Anakreon und dem Simonides. In der Form war er Meister wie jene,
musikalisch, lieblich und witzig zugleich. Vortrefflich gelang ihm, Versmaß und
Rhythmus mit den Gedanken und Empfindungen in Einklang zu bringen und
so'gleichsam mit Klängen zu schildern. Wie anmuthig wird in vara. I., 4
das Lachende der aufblühenden Frühlingsnatur im Gegensatz zu der Kraft¬
anstrengung der wiederbcginnenden Arbeiten charakterisirt, jenes unter dem Bilde
von Cytherea mit ihren tanzenden Nymphenchören, dieses unter dem Bilde des
Vulkan mit seinen Cyklopen, und wie prächtig malt der Dichter in diesen Ver¬
sen durch die Verschiedenheit von Versmaß und Cäsur hier die Heiterkeit des
Reigens, dort die Mühsal der Schmiedearbeit.

Im Allgemeinen sind indeß seine Oden mehr Producte des Kunstfleißes,
als Ausflüsse innerlichen Schöpfertriebes, mehr Bienenarbeit (Lärm. IV, 2, 27)
als Nachtigallenschlag. Sein Gefühl war weniger tief als lebhaft, leicht erregt¬
bar, aber bald wieder beruhigt. Sein reizbares Gemüth ist für alle Empfin¬
dungen, frohe und traurige, heftige und sanfte empfänglich, aber es sind
immer nur kurze Zeit währende Eindrücke, dem Steinfall in ein stilles Wasser
gleich, der seine Ringe treibt, und dann wieder dem glatten Spiegel sein Recht
läßt. Dabei ist seiner großen Herrschaft über die Sprache Vieles aufs Beste
gelungen, und oft erfreut er so durch eine Wärme und Zartheit des Tones, wie
sie nur dem echten Dichter zu Gebote steht. Allerliebst sind in dieser Beziehung
das Lied an Tyndaris (Larm. I, 17), in dem der Dichter die Geliebte auf
sein Landgut einladet, die Ode an die flatterhaste Pyrrha (I, S), die an die
schüchterne Chios (I, 23) und die an die schöne, aber treulose Barine (II, 8),
in welcher Schmeichelrede mit Vorwürfen witzig verwebt ist. Sehr schön drückt
die Ode auf den Tod des Quinctilius (I, 24) den Schmerz des verlassenen
Freundes und den Werth des Geschiedenen aus. Auch von den Oden an
Mäcenas sind einige, besonders III, 29, ebenso reich an Gefühl wie an
WohMang. und will man ein Gedicht, in dem hochgestimmte Freudigkeit und
herzliche Theilnahme überraschend lebendig ausgedrückt sind, so lese man die
Ode an Pompejus Varus (II, 7), in der er diesen alten Kameraden bei seiner
Rückkehr aus der Verbannung bewillkommt. Abwechslung und Steigerung der
Empfindung sind in diesem Liede auf eine Weise angewendet, die dem Herzen
des Dichters ebensosehr zur Ehre gereicht als seiner Kunstfertigkeit.

Daß Horaz eine glückliche und lebhafte Phantasie nicht mangelte, bedarf
kaum der Erwähnung. Seine Poesie ist reich an treffenden Bildern aus der
Natur und dem Leben. Gleichwohl gilt hier dasselbe, was soeben über sein
Gefühl gesagt wurde: seine Bilder zeigen weniger Tiefe, als Feinheit und Ge¬
schmack, und überdies begegnet man unter ihnen nicht vielen neuen. Aber
auch ohne Bilder kann die Sprache dichterisch sein durch Lebendigkeit des Aus¬
drucks, Wahl und Gegenüberstellung der Worte, und hierin ist Horaz Meister.


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dem Anakreon und dem Simonides. In der Form war er Meister wie jene,
musikalisch, lieblich und witzig zugleich. Vortrefflich gelang ihm, Versmaß und
Rhythmus mit den Gedanken und Empfindungen in Einklang zu bringen und
so'gleichsam mit Klängen zu schildern. Wie anmuthig wird in vara. I., 4
das Lachende der aufblühenden Frühlingsnatur im Gegensatz zu der Kraft¬
anstrengung der wiederbcginnenden Arbeiten charakterisirt, jenes unter dem Bilde
von Cytherea mit ihren tanzenden Nymphenchören, dieses unter dem Bilde des
Vulkan mit seinen Cyklopen, und wie prächtig malt der Dichter in diesen Ver¬
sen durch die Verschiedenheit von Versmaß und Cäsur hier die Heiterkeit des
Reigens, dort die Mühsal der Schmiedearbeit.

Im Allgemeinen sind indeß seine Oden mehr Producte des Kunstfleißes,
als Ausflüsse innerlichen Schöpfertriebes, mehr Bienenarbeit (Lärm. IV, 2, 27)
als Nachtigallenschlag. Sein Gefühl war weniger tief als lebhaft, leicht erregt¬
bar, aber bald wieder beruhigt. Sein reizbares Gemüth ist für alle Empfin¬
dungen, frohe und traurige, heftige und sanfte empfänglich, aber es sind
immer nur kurze Zeit währende Eindrücke, dem Steinfall in ein stilles Wasser
gleich, der seine Ringe treibt, und dann wieder dem glatten Spiegel sein Recht
läßt. Dabei ist seiner großen Herrschaft über die Sprache Vieles aufs Beste
gelungen, und oft erfreut er so durch eine Wärme und Zartheit des Tones, wie
sie nur dem echten Dichter zu Gebote steht. Allerliebst sind in dieser Beziehung
das Lied an Tyndaris (Larm. I, 17), in dem der Dichter die Geliebte auf
sein Landgut einladet, die Ode an die flatterhaste Pyrrha (I, S), die an die
schüchterne Chios (I, 23) und die an die schöne, aber treulose Barine (II, 8),
in welcher Schmeichelrede mit Vorwürfen witzig verwebt ist. Sehr schön drückt
die Ode auf den Tod des Quinctilius (I, 24) den Schmerz des verlassenen
Freundes und den Werth des Geschiedenen aus. Auch von den Oden an
Mäcenas sind einige, besonders III, 29, ebenso reich an Gefühl wie an
WohMang. und will man ein Gedicht, in dem hochgestimmte Freudigkeit und
herzliche Theilnahme überraschend lebendig ausgedrückt sind, so lese man die
Ode an Pompejus Varus (II, 7), in der er diesen alten Kameraden bei seiner
Rückkehr aus der Verbannung bewillkommt. Abwechslung und Steigerung der
Empfindung sind in diesem Liede auf eine Weise angewendet, die dem Herzen
des Dichters ebensosehr zur Ehre gereicht als seiner Kunstfertigkeit.

Daß Horaz eine glückliche und lebhafte Phantasie nicht mangelte, bedarf
kaum der Erwähnung. Seine Poesie ist reich an treffenden Bildern aus der
Natur und dem Leben. Gleichwohl gilt hier dasselbe, was soeben über sein
Gefühl gesagt wurde: seine Bilder zeigen weniger Tiefe, als Feinheit und Ge¬
schmack, und überdies begegnet man unter ihnen nicht vielen neuen. Aber
auch ohne Bilder kann die Sprache dichterisch sein durch Lebendigkeit des Aus¬
drucks, Wahl und Gegenüberstellung der Worte, und hierin ist Horaz Meister.


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[0517] dem Anakreon und dem Simonides. In der Form war er Meister wie jene, musikalisch, lieblich und witzig zugleich. Vortrefflich gelang ihm, Versmaß und Rhythmus mit den Gedanken und Empfindungen in Einklang zu bringen und so'gleichsam mit Klängen zu schildern. Wie anmuthig wird in vara. I., 4 das Lachende der aufblühenden Frühlingsnatur im Gegensatz zu der Kraft¬ anstrengung der wiederbcginnenden Arbeiten charakterisirt, jenes unter dem Bilde von Cytherea mit ihren tanzenden Nymphenchören, dieses unter dem Bilde des Vulkan mit seinen Cyklopen, und wie prächtig malt der Dichter in diesen Ver¬ sen durch die Verschiedenheit von Versmaß und Cäsur hier die Heiterkeit des Reigens, dort die Mühsal der Schmiedearbeit. Im Allgemeinen sind indeß seine Oden mehr Producte des Kunstfleißes, als Ausflüsse innerlichen Schöpfertriebes, mehr Bienenarbeit (Lärm. IV, 2, 27) als Nachtigallenschlag. Sein Gefühl war weniger tief als lebhaft, leicht erregt¬ bar, aber bald wieder beruhigt. Sein reizbares Gemüth ist für alle Empfin¬ dungen, frohe und traurige, heftige und sanfte empfänglich, aber es sind immer nur kurze Zeit währende Eindrücke, dem Steinfall in ein stilles Wasser gleich, der seine Ringe treibt, und dann wieder dem glatten Spiegel sein Recht läßt. Dabei ist seiner großen Herrschaft über die Sprache Vieles aufs Beste gelungen, und oft erfreut er so durch eine Wärme und Zartheit des Tones, wie sie nur dem echten Dichter zu Gebote steht. Allerliebst sind in dieser Beziehung das Lied an Tyndaris (Larm. I, 17), in dem der Dichter die Geliebte auf sein Landgut einladet, die Ode an die flatterhaste Pyrrha (I, S), die an die schüchterne Chios (I, 23) und die an die schöne, aber treulose Barine (II, 8), in welcher Schmeichelrede mit Vorwürfen witzig verwebt ist. Sehr schön drückt die Ode auf den Tod des Quinctilius (I, 24) den Schmerz des verlassenen Freundes und den Werth des Geschiedenen aus. Auch von den Oden an Mäcenas sind einige, besonders III, 29, ebenso reich an Gefühl wie an WohMang. und will man ein Gedicht, in dem hochgestimmte Freudigkeit und herzliche Theilnahme überraschend lebendig ausgedrückt sind, so lese man die Ode an Pompejus Varus (II, 7), in der er diesen alten Kameraden bei seiner Rückkehr aus der Verbannung bewillkommt. Abwechslung und Steigerung der Empfindung sind in diesem Liede auf eine Weise angewendet, die dem Herzen des Dichters ebensosehr zur Ehre gereicht als seiner Kunstfertigkeit. Daß Horaz eine glückliche und lebhafte Phantasie nicht mangelte, bedarf kaum der Erwähnung. Seine Poesie ist reich an treffenden Bildern aus der Natur und dem Leben. Gleichwohl gilt hier dasselbe, was soeben über sein Gefühl gesagt wurde: seine Bilder zeigen weniger Tiefe, als Feinheit und Ge¬ schmack, und überdies begegnet man unter ihnen nicht vielen neuen. Aber auch ohne Bilder kann die Sprache dichterisch sein durch Lebendigkeit des Aus¬ drucks, Wahl und Gegenüberstellung der Worte, und hierin ist Horaz Meister. 64*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/517>, abgerufen am 29.05.2024.