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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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leim gab der östreichisch-italienische Krieg, indem derselbe der großdeutschen Par¬
tei willkommene Gelegenheit bot, einen leidenschaftlichen Wort- und Federkrieg
gegen Preußen zu eröffnen. Sie hatte dabei den Vortheil, sich auf den in
Süddeutschland lebhaft aufgeregten Patriotismus stützen und im Namen des
gekränkten Nationalgefühls die heftigsten Anklagen gegen Preußen schleudern zu
können, als ob dieses mit Verletzung seiner Bundespflichten Oestreich im Stich
gelassen habe. Die tleindcutsche, ausschließlich aus liberalen Elementen zusam¬
mengesetzte Partei befand sich in einer nicht gerade angenehmen Situation.
Mit ihren Sympathien hatte sie mehr auf Seiten Italiens als Oestreichs ge¬
standen. Andererseits konnte aber auch sie nicht verkennen, daß durch den Ver¬
lauf des Krieges Frankreich einen für Deutschlands Sicherheit gefährlichen Macht-
zrnvachs erhalten hatte; wie denn anch in ihren Reihen die damals populäre
Furcht Eingang fand, daß Napoleon nur deshalb seinem Programm: "Frei bis
zur Adria" untreu geworden sei, um womöglich noch die Herbstmonate zur
Wegnahme der Rheinprovinz zu benutzen: man sah bereits im Geist die Gallier
ihre Rosse in dem vaterländischen Strome tränken. Die damals herrschenden
Besorgnisse waren allerdings krankhaft übertrieben, doch keineswegs ganz un¬
gerechtfertigt, und für Deutschland insofern heilsam / als aus ihnen sich das
klare Bewußtsein entwickelte, daß im Augenblicke der Gefahr der Antagonismus
der beiden Großmächte die Kräfte Deutschlands völlig zu neutralisiren drohe.
Dies Bewußtsein trug indessen nur dazu bei, jede der beiden Parteien in ihren
Ueberzeugungen zu bestärken. Die kleindeutsche Partei sah die Ursache alles
Uebels in der bestehenden, die beiden Großmächte durch ein unnatürliches Band
verknüpfenden Bundesverfassung. Dem gemäß sah sie das einzige Heil in dem
Ausscheiden Oestreichs aus dem Bunde, in der völligen Umgestaltung der Bun¬
desverfassung und zunächst in der Übertragung der politischen und militärischen
Leitung Deutschlands an Preußen. Die Grvßdeutschen dagegen machten nicht
die Bundesverfassung, sondern Preußens Unbotmäßigkeit für die Lähmung der
Kräfte Deutschlands verantwortlich. Sie waren überzeugt, daß, wenn Preußen
zum Gehorsam gegen die Decrete des Bundestags gezwungen würde, wenn
man es nöthige, sich masorisiren zu lassen (den Nebcnpunkt, mit welchen Mit¬
teln die Execution gegen das widerspenstige Preußen zu vollziehen sei, ließ man
einstweilen noch unerörtert), Alles in Deutschland aufs Beste gehen würde.
Diesen Bestrebungen gegenüber war Preußen, so lange es nicht die Initiative
zu einer Umgestaltung der deutschen Verhältnisse in seinem Sinne ergreifen
konnte oder wollte, darauf angewiesen, den Bundestag aufs allerstrengste inner¬
halb der Schranken seiner Competenz zu halten, was freilich von einem Trocken¬
legen des Bundestages nicht sehr verschieden war. Da nun aber Preußen bei
dieser Methode, so lange es auf das Vertrauen und die Geduld der National¬
partei rechnen konnte, nicht schlecht stand, so sahen sich die Mittelstaaten, denen


leim gab der östreichisch-italienische Krieg, indem derselbe der großdeutschen Par¬
tei willkommene Gelegenheit bot, einen leidenschaftlichen Wort- und Federkrieg
gegen Preußen zu eröffnen. Sie hatte dabei den Vortheil, sich auf den in
Süddeutschland lebhaft aufgeregten Patriotismus stützen und im Namen des
gekränkten Nationalgefühls die heftigsten Anklagen gegen Preußen schleudern zu
können, als ob dieses mit Verletzung seiner Bundespflichten Oestreich im Stich
gelassen habe. Die tleindcutsche, ausschließlich aus liberalen Elementen zusam¬
mengesetzte Partei befand sich in einer nicht gerade angenehmen Situation.
Mit ihren Sympathien hatte sie mehr auf Seiten Italiens als Oestreichs ge¬
standen. Andererseits konnte aber auch sie nicht verkennen, daß durch den Ver¬
lauf des Krieges Frankreich einen für Deutschlands Sicherheit gefährlichen Macht-
zrnvachs erhalten hatte; wie denn anch in ihren Reihen die damals populäre
Furcht Eingang fand, daß Napoleon nur deshalb seinem Programm: „Frei bis
zur Adria" untreu geworden sei, um womöglich noch die Herbstmonate zur
Wegnahme der Rheinprovinz zu benutzen: man sah bereits im Geist die Gallier
ihre Rosse in dem vaterländischen Strome tränken. Die damals herrschenden
Besorgnisse waren allerdings krankhaft übertrieben, doch keineswegs ganz un¬
gerechtfertigt, und für Deutschland insofern heilsam / als aus ihnen sich das
klare Bewußtsein entwickelte, daß im Augenblicke der Gefahr der Antagonismus
der beiden Großmächte die Kräfte Deutschlands völlig zu neutralisiren drohe.
Dies Bewußtsein trug indessen nur dazu bei, jede der beiden Parteien in ihren
Ueberzeugungen zu bestärken. Die kleindeutsche Partei sah die Ursache alles
Uebels in der bestehenden, die beiden Großmächte durch ein unnatürliches Band
verknüpfenden Bundesverfassung. Dem gemäß sah sie das einzige Heil in dem
Ausscheiden Oestreichs aus dem Bunde, in der völligen Umgestaltung der Bun¬
desverfassung und zunächst in der Übertragung der politischen und militärischen
Leitung Deutschlands an Preußen. Die Grvßdeutschen dagegen machten nicht
die Bundesverfassung, sondern Preußens Unbotmäßigkeit für die Lähmung der
Kräfte Deutschlands verantwortlich. Sie waren überzeugt, daß, wenn Preußen
zum Gehorsam gegen die Decrete des Bundestags gezwungen würde, wenn
man es nöthige, sich masorisiren zu lassen (den Nebcnpunkt, mit welchen Mit¬
teln die Execution gegen das widerspenstige Preußen zu vollziehen sei, ließ man
einstweilen noch unerörtert), Alles in Deutschland aufs Beste gehen würde.
Diesen Bestrebungen gegenüber war Preußen, so lange es nicht die Initiative
zu einer Umgestaltung der deutschen Verhältnisse in seinem Sinne ergreifen
konnte oder wollte, darauf angewiesen, den Bundestag aufs allerstrengste inner¬
halb der Schranken seiner Competenz zu halten, was freilich von einem Trocken¬
legen des Bundestages nicht sehr verschieden war. Da nun aber Preußen bei
dieser Methode, so lange es auf das Vertrauen und die Geduld der National¬
partei rechnen konnte, nicht schlecht stand, so sahen sich die Mittelstaaten, denen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/52>, abgerufen am 31.05.2024.