Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Bewegungslosigkeit der Situation unbequem wurde, genöthigt, ihre alte
Vorliebe für die bestehenden Bundesinstitutionen bis zu einem gewissen Grade
zu verläugnen, und ihrerseits mit bestimmt formulirten Reformanträgen vorzu¬
gehen. Verhältnißmäßig leicht einigte man sich über das Project einer Ver¬
tretung der Nation am Bunde, und zwar deshalb, weil man mit Sicherheit
darauf rechnen konnte, daß dieselbe ein wesenloses Phantom bleiben müsse,
wenn sie nicht in einer starken Centralgewalt eine feste Stütze fände. Die
Gründung der Centralgewalt war der Kernpunkt der ganzen Reformfrage: als
man bis an diesen Punkt gekommen war, ermattete der Eifer und hörte die
Einigkeit auf. Zwcir wurde von Seiten der Coalition als Grund dafür, daß
man bei den dem Bundestage vorgelegten Neformanträgen die Frage wegen
der Executivgcwalt ganz unberücksichtigt gelassen habe, angeführt, dies sei nur
aus Rücksicht für Preußen geschehen, ohne dessen Betheiligung man in diesem
wichtigsten Punkte nicht habe vorgehen wollen. Wenn man indessen bedenkt,
daß die Nesormregierungen sehr wohl wußten, daß Preußen auch ihren andern
Anträgen nicht beistimmen würde, so scheint die Vermuthung nicht ungerecht¬
fertigt, daß jene Erklärung nur ein sehr durchsichtiger Deckmantel für die That¬
sache war, daß die Verbündeten sich selbst nicht über die Bildung einer Bun¬
desexecutive haben einigen tonnen.. Denn natürlich betrachtet Oestreich diese
Frage aus einem andern Gesichtspunkte als Bayern, und auch Bayern wohl
aus einem andern Gesichtspunkte alö manche der übrigen Mittelstaaten. Zwar
ist aus den Reihen der Mittelstädten ein Gedanke hervorgegangen, den man
wirklich als eine politische Idee bezeichnen muß, die Triasidee, die aufs engste
zusammenhängt mit der Anschauung, daß es der historische Beruf der Mittel¬
staaten sei, sich in geschlossener Vereinigung in die Kluft des Dualismus zu
stürzen und als vermittelndes Element die. händelsüchtige Rivalität der beiden
Großmächte auszugleichen. Doch steht unter den Mittelstaaten selbst der Reali-
sirung dieser Idee das Bedenken entgegen, daß der mächtigste unter ihnen in
dem neuen Bunde eine die Selbständigkeit der übrigen Verbündeten beeinträch¬
tigende Leitung beanspruchen möchte. Soll man es etwa der welfischen Mon¬
archie verdenken, wenn sie sich weigert, zum Lohn für die Bekämpfung der
preußischen Hegemonie sich der bayrischen Hegemonie zu unterwerfen? Das
Wünschenswerteste wäre es jedenfalls, wenn jeder der Mittelstaaten an die
Spitze einer besondern Symmachie gestellt werden könnte, z. B. Hannover an
die Spitze einer Societät für die Vertheidigung der Nordseeküsten. Freilich
müßten die Mittel, deren der Verein bedarf, von ganz Deutschland bestritten
werden, was, wie es heißt, nicht der Ansicht aller süddeutschen Staaten ent¬
spricht. Und an ähnlichen Schwierigkeiten dürften alle derartigen Pläne schei¬
tern. Bis also die deutschen Verhältnisse sich so glücklich gestaltet haben wer¬
den, daß sie dem Herrschaftsbedürsnisse eines jeden der Mittelstaaten einen ge-


die Bewegungslosigkeit der Situation unbequem wurde, genöthigt, ihre alte
Vorliebe für die bestehenden Bundesinstitutionen bis zu einem gewissen Grade
zu verläugnen, und ihrerseits mit bestimmt formulirten Reformanträgen vorzu¬
gehen. Verhältnißmäßig leicht einigte man sich über das Project einer Ver¬
tretung der Nation am Bunde, und zwar deshalb, weil man mit Sicherheit
darauf rechnen konnte, daß dieselbe ein wesenloses Phantom bleiben müsse,
wenn sie nicht in einer starken Centralgewalt eine feste Stütze fände. Die
Gründung der Centralgewalt war der Kernpunkt der ganzen Reformfrage: als
man bis an diesen Punkt gekommen war, ermattete der Eifer und hörte die
Einigkeit auf. Zwcir wurde von Seiten der Coalition als Grund dafür, daß
man bei den dem Bundestage vorgelegten Neformanträgen die Frage wegen
der Executivgcwalt ganz unberücksichtigt gelassen habe, angeführt, dies sei nur
aus Rücksicht für Preußen geschehen, ohne dessen Betheiligung man in diesem
wichtigsten Punkte nicht habe vorgehen wollen. Wenn man indessen bedenkt,
daß die Nesormregierungen sehr wohl wußten, daß Preußen auch ihren andern
Anträgen nicht beistimmen würde, so scheint die Vermuthung nicht ungerecht¬
fertigt, daß jene Erklärung nur ein sehr durchsichtiger Deckmantel für die That¬
sache war, daß die Verbündeten sich selbst nicht über die Bildung einer Bun¬
desexecutive haben einigen tonnen.. Denn natürlich betrachtet Oestreich diese
Frage aus einem andern Gesichtspunkte als Bayern, und auch Bayern wohl
aus einem andern Gesichtspunkte alö manche der übrigen Mittelstaaten. Zwar
ist aus den Reihen der Mittelstädten ein Gedanke hervorgegangen, den man
wirklich als eine politische Idee bezeichnen muß, die Triasidee, die aufs engste
zusammenhängt mit der Anschauung, daß es der historische Beruf der Mittel¬
staaten sei, sich in geschlossener Vereinigung in die Kluft des Dualismus zu
stürzen und als vermittelndes Element die. händelsüchtige Rivalität der beiden
Großmächte auszugleichen. Doch steht unter den Mittelstaaten selbst der Reali-
sirung dieser Idee das Bedenken entgegen, daß der mächtigste unter ihnen in
dem neuen Bunde eine die Selbständigkeit der übrigen Verbündeten beeinträch¬
tigende Leitung beanspruchen möchte. Soll man es etwa der welfischen Mon¬
archie verdenken, wenn sie sich weigert, zum Lohn für die Bekämpfung der
preußischen Hegemonie sich der bayrischen Hegemonie zu unterwerfen? Das
Wünschenswerteste wäre es jedenfalls, wenn jeder der Mittelstaaten an die
Spitze einer besondern Symmachie gestellt werden könnte, z. B. Hannover an
die Spitze einer Societät für die Vertheidigung der Nordseeküsten. Freilich
müßten die Mittel, deren der Verein bedarf, von ganz Deutschland bestritten
werden, was, wie es heißt, nicht der Ansicht aller süddeutschen Staaten ent¬
spricht. Und an ähnlichen Schwierigkeiten dürften alle derartigen Pläne schei¬
tern. Bis also die deutschen Verhältnisse sich so glücklich gestaltet haben wer¬
den, daß sie dem Herrschaftsbedürsnisse eines jeden der Mittelstaaten einen ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0053" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115447"/>
            <p xml:id="ID_150" prev="#ID_149" next="#ID_151"> die Bewegungslosigkeit der Situation unbequem wurde, genöthigt, ihre alte<lb/>
Vorliebe für die bestehenden Bundesinstitutionen bis zu einem gewissen Grade<lb/>
zu verläugnen, und ihrerseits mit bestimmt formulirten Reformanträgen vorzu¬<lb/>
gehen.  Verhältnißmäßig leicht einigte man sich über das Project einer Ver¬<lb/>
tretung der Nation am Bunde, und zwar deshalb, weil man mit Sicherheit<lb/>
darauf rechnen konnte, daß dieselbe ein wesenloses Phantom bleiben müsse,<lb/>
wenn sie nicht in einer starken Centralgewalt eine feste Stütze fände. Die<lb/>
Gründung der Centralgewalt war der Kernpunkt der ganzen Reformfrage: als<lb/>
man bis an diesen Punkt gekommen war, ermattete der Eifer und hörte die<lb/>
Einigkeit auf.  Zwcir wurde von Seiten der Coalition als Grund dafür, daß<lb/>
man bei den dem Bundestage vorgelegten Neformanträgen die Frage wegen<lb/>
der Executivgcwalt ganz unberücksichtigt gelassen habe, angeführt, dies sei nur<lb/>
aus Rücksicht für Preußen geschehen, ohne dessen Betheiligung man in diesem<lb/>
wichtigsten Punkte nicht habe vorgehen wollen.  Wenn man indessen bedenkt,<lb/>
daß die Nesormregierungen sehr wohl wußten, daß Preußen auch ihren andern<lb/>
Anträgen nicht beistimmen würde, so scheint die Vermuthung nicht ungerecht¬<lb/>
fertigt, daß jene Erklärung nur ein sehr durchsichtiger Deckmantel für die That¬<lb/>
sache war, daß die Verbündeten sich selbst nicht über die Bildung einer Bun¬<lb/>
desexecutive haben einigen tonnen.. Denn natürlich betrachtet Oestreich diese<lb/>
Frage aus einem andern Gesichtspunkte als Bayern, und auch Bayern wohl<lb/>
aus einem andern Gesichtspunkte alö manche der übrigen Mittelstaaten. Zwar<lb/>
ist aus den Reihen der Mittelstädten ein Gedanke hervorgegangen, den man<lb/>
wirklich als eine politische Idee bezeichnen muß, die Triasidee, die aufs engste<lb/>
zusammenhängt mit der Anschauung, daß es der historische Beruf der Mittel¬<lb/>
staaten sei, sich in geschlossener Vereinigung in die Kluft des Dualismus zu<lb/>
stürzen und als vermittelndes Element die. händelsüchtige Rivalität der beiden<lb/>
Großmächte auszugleichen.  Doch steht unter den Mittelstaaten selbst der Reali-<lb/>
sirung dieser Idee das Bedenken entgegen, daß der mächtigste unter ihnen in<lb/>
dem neuen Bunde eine die Selbständigkeit der übrigen Verbündeten beeinträch¬<lb/>
tigende Leitung beanspruchen möchte.  Soll man es etwa der welfischen Mon¬<lb/>
archie verdenken, wenn sie sich weigert, zum Lohn für die Bekämpfung der<lb/>
preußischen Hegemonie sich der bayrischen Hegemonie zu unterwerfen? Das<lb/>
Wünschenswerteste wäre es jedenfalls, wenn jeder der Mittelstaaten an die<lb/>
Spitze einer besondern Symmachie gestellt werden könnte, z. B. Hannover an<lb/>
die Spitze einer Societät für die Vertheidigung der Nordseeküsten. Freilich<lb/>
müßten die Mittel, deren der Verein bedarf, von ganz Deutschland bestritten<lb/>
werden, was, wie es heißt, nicht der Ansicht aller süddeutschen Staaten ent¬<lb/>
spricht.  Und an ähnlichen Schwierigkeiten dürften alle derartigen Pläne schei¬<lb/>
tern.  Bis also die deutschen Verhältnisse sich so glücklich gestaltet haben wer¬<lb/>
den, daß sie dem Herrschaftsbedürsnisse eines jeden der Mittelstaaten einen ge-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0053] die Bewegungslosigkeit der Situation unbequem wurde, genöthigt, ihre alte Vorliebe für die bestehenden Bundesinstitutionen bis zu einem gewissen Grade zu verläugnen, und ihrerseits mit bestimmt formulirten Reformanträgen vorzu¬ gehen. Verhältnißmäßig leicht einigte man sich über das Project einer Ver¬ tretung der Nation am Bunde, und zwar deshalb, weil man mit Sicherheit darauf rechnen konnte, daß dieselbe ein wesenloses Phantom bleiben müsse, wenn sie nicht in einer starken Centralgewalt eine feste Stütze fände. Die Gründung der Centralgewalt war der Kernpunkt der ganzen Reformfrage: als man bis an diesen Punkt gekommen war, ermattete der Eifer und hörte die Einigkeit auf. Zwcir wurde von Seiten der Coalition als Grund dafür, daß man bei den dem Bundestage vorgelegten Neformanträgen die Frage wegen der Executivgcwalt ganz unberücksichtigt gelassen habe, angeführt, dies sei nur aus Rücksicht für Preußen geschehen, ohne dessen Betheiligung man in diesem wichtigsten Punkte nicht habe vorgehen wollen. Wenn man indessen bedenkt, daß die Nesormregierungen sehr wohl wußten, daß Preußen auch ihren andern Anträgen nicht beistimmen würde, so scheint die Vermuthung nicht ungerecht¬ fertigt, daß jene Erklärung nur ein sehr durchsichtiger Deckmantel für die That¬ sache war, daß die Verbündeten sich selbst nicht über die Bildung einer Bun¬ desexecutive haben einigen tonnen.. Denn natürlich betrachtet Oestreich diese Frage aus einem andern Gesichtspunkte als Bayern, und auch Bayern wohl aus einem andern Gesichtspunkte alö manche der übrigen Mittelstaaten. Zwar ist aus den Reihen der Mittelstädten ein Gedanke hervorgegangen, den man wirklich als eine politische Idee bezeichnen muß, die Triasidee, die aufs engste zusammenhängt mit der Anschauung, daß es der historische Beruf der Mittel¬ staaten sei, sich in geschlossener Vereinigung in die Kluft des Dualismus zu stürzen und als vermittelndes Element die. händelsüchtige Rivalität der beiden Großmächte auszugleichen. Doch steht unter den Mittelstaaten selbst der Reali- sirung dieser Idee das Bedenken entgegen, daß der mächtigste unter ihnen in dem neuen Bunde eine die Selbständigkeit der übrigen Verbündeten beeinträch¬ tigende Leitung beanspruchen möchte. Soll man es etwa der welfischen Mon¬ archie verdenken, wenn sie sich weigert, zum Lohn für die Bekämpfung der preußischen Hegemonie sich der bayrischen Hegemonie zu unterwerfen? Das Wünschenswerteste wäre es jedenfalls, wenn jeder der Mittelstaaten an die Spitze einer besondern Symmachie gestellt werden könnte, z. B. Hannover an die Spitze einer Societät für die Vertheidigung der Nordseeküsten. Freilich müßten die Mittel, deren der Verein bedarf, von ganz Deutschland bestritten werden, was, wie es heißt, nicht der Ansicht aller süddeutschen Staaten ent¬ spricht. Und an ähnlichen Schwierigkeiten dürften alle derartigen Pläne schei¬ tern. Bis also die deutschen Verhältnisse sich so glücklich gestaltet haben wer¬ den, daß sie dem Herrschaftsbedürsnisse eines jeden der Mittelstaaten einen ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/53
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/53>, abgerufen am 31.05.2024.