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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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geschrittener zu schützen, gegenwärtig, wo in ganz Deutschland die Gewerb-
thätigkeit nicht sowohl des Schutzes, als der Eröffnung großer Märkte bedarf,
ein Mittel in der Hand einiger kurzsichtigen und engherzigen, aber einflußreichen
Industriellen geworden, um jeden Fortschritt zu hindern. Der Handelsvertrag
hat Deutschland einen Markt eröffnet und verspricht ihm weitere zu eröffnen;
er begünstigt keineswegs die Frcihandelspartei auf ungebührliche Weise, hält
sich vielmehr durchaus auf der Linie eines überaus maßvollen Comprvmisscs
zwischen den verschiedenen sich gegenüberstehenden wirthschaftlichen Interessen;
er ist endlich nicht willkürlich, sondern im Auftrage seiner Verbündeten von
Preußen abgeschlossen worden. Aber der Vertrag hatte den Fehler, Preußens
Stellung zu stärken; dies genügte der großdeutschen Tendenzpolitik, um ihn zu
verdonnern; die Rücksicht auf die Partei der Schutzzöllner spielt bei dem Ver¬
fahren der Regierungen jedenfalls nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Indessen würde die tendenziöse Opposition einiger preußenfeindlichen Re¬
gierungen sehr bald an der überwiegenden'Macht der realen Verhältnisse und
an dem gewichtigen Widerspruch, den sie innerhalb der Koalition selbst fand,
gescheitert sein, wenn sie nicht durch die Einmischung Oestreichs zu einem bedenk¬
lichen Grade von Thatenlust gesteigert und in eine Stellung verlockt wäre,
aus der der Rückweg schwer zu finden ist. Es ist, man darf sich darüber keine
Illusionen machen, wahrscheinlich, daß Oestreich den Zweck seiner Proteste und
Anerbietungen erreichen wird, die Sprengung des Zollvereins und die Schwächung
der hervorragenden handelspolitischen Stellung Preußens in Deutschland. Auf
diesen negativen Gewinn werden sich aber die Erfolge Oestreichs beschränken.
Der Versuch Oestreichs, dem Zollverein beizutreten (wenn er überhaupt ernst
gemeint gewesen ist), ist gescheitert, und mußte scheitern. Denn wie auf dem
rein politischen, so auch auf dem handelspolitischen Gebiete kann Oestreich keine
Verbindung eingehen, durch die es in der autonomen Behandlung seiner Ange¬
legenheiten beschränkt würde. Die Vereinigung Oestreichs und Deutschlands
zu einem Zollkörper könnte nur die Bedeutung haben, daß Deutschland seine
Gesammtinteressen und die Interessen der Einzelstaaten denen Oestreichs auf¬
opferte. Eine derartige Politik der Selbstverläugnung liegt aber gar nicht im
Charakter der mittelstaatlichen Regierungen, von denen man daher auch über¬
zeugt sein kann, daß sie nicht einen Augenblick daran gedacht haben, die östrei¬
chischen Vorschläge anzunehmen. Sie sind zum Schein darauf eingegangen,
weil sie an die Durchführbarkeit derselben niemals geglaubt haben, und weil
sie wußten, daß dieselben spurlos und wirkungslos von der Bühne verschwin¬
den würden, nachdem sie ihren Zweck erreicht, durch einen Blick auf die in¬
dustrielle Herrlichkeit des fabelhaften Siebzigmillionenreichs die Gemüther aller
Großbeutschen gegen das particularistische Preußen, dessen Eigennutz und
Herrschsucht allein die Verwirklichung aller dieser Herrlichkeit hindere, zu ent-


Grenjboten III. 1L63. 7

geschrittener zu schützen, gegenwärtig, wo in ganz Deutschland die Gewerb-
thätigkeit nicht sowohl des Schutzes, als der Eröffnung großer Märkte bedarf,
ein Mittel in der Hand einiger kurzsichtigen und engherzigen, aber einflußreichen
Industriellen geworden, um jeden Fortschritt zu hindern. Der Handelsvertrag
hat Deutschland einen Markt eröffnet und verspricht ihm weitere zu eröffnen;
er begünstigt keineswegs die Frcihandelspartei auf ungebührliche Weise, hält
sich vielmehr durchaus auf der Linie eines überaus maßvollen Comprvmisscs
zwischen den verschiedenen sich gegenüberstehenden wirthschaftlichen Interessen;
er ist endlich nicht willkürlich, sondern im Auftrage seiner Verbündeten von
Preußen abgeschlossen worden. Aber der Vertrag hatte den Fehler, Preußens
Stellung zu stärken; dies genügte der großdeutschen Tendenzpolitik, um ihn zu
verdonnern; die Rücksicht auf die Partei der Schutzzöllner spielt bei dem Ver¬
fahren der Regierungen jedenfalls nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Indessen würde die tendenziöse Opposition einiger preußenfeindlichen Re¬
gierungen sehr bald an der überwiegenden'Macht der realen Verhältnisse und
an dem gewichtigen Widerspruch, den sie innerhalb der Koalition selbst fand,
gescheitert sein, wenn sie nicht durch die Einmischung Oestreichs zu einem bedenk¬
lichen Grade von Thatenlust gesteigert und in eine Stellung verlockt wäre,
aus der der Rückweg schwer zu finden ist. Es ist, man darf sich darüber keine
Illusionen machen, wahrscheinlich, daß Oestreich den Zweck seiner Proteste und
Anerbietungen erreichen wird, die Sprengung des Zollvereins und die Schwächung
der hervorragenden handelspolitischen Stellung Preußens in Deutschland. Auf
diesen negativen Gewinn werden sich aber die Erfolge Oestreichs beschränken.
Der Versuch Oestreichs, dem Zollverein beizutreten (wenn er überhaupt ernst
gemeint gewesen ist), ist gescheitert, und mußte scheitern. Denn wie auf dem
rein politischen, so auch auf dem handelspolitischen Gebiete kann Oestreich keine
Verbindung eingehen, durch die es in der autonomen Behandlung seiner Ange¬
legenheiten beschränkt würde. Die Vereinigung Oestreichs und Deutschlands
zu einem Zollkörper könnte nur die Bedeutung haben, daß Deutschland seine
Gesammtinteressen und die Interessen der Einzelstaaten denen Oestreichs auf¬
opferte. Eine derartige Politik der Selbstverläugnung liegt aber gar nicht im
Charakter der mittelstaatlichen Regierungen, von denen man daher auch über¬
zeugt sein kann, daß sie nicht einen Augenblick daran gedacht haben, die östrei¬
chischen Vorschläge anzunehmen. Sie sind zum Schein darauf eingegangen,
weil sie an die Durchführbarkeit derselben niemals geglaubt haben, und weil
sie wußten, daß dieselben spurlos und wirkungslos von der Bühne verschwin¬
den würden, nachdem sie ihren Zweck erreicht, durch einen Blick auf die in¬
dustrielle Herrlichkeit des fabelhaften Siebzigmillionenreichs die Gemüther aller
Großbeutschen gegen das particularistische Preußen, dessen Eigennutz und
Herrschsucht allein die Verwirklichung aller dieser Herrlichkeit hindere, zu ent-


Grenjboten III. 1L63. 7
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/57>, abgerufen am 31.05.2024.