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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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stammen. Um die Politik der Würzburger richtig zu beurtheilen, muß man
stets im Auge behalten, daß sie deshalb besonders ihren Halt an Oestreich
suchen, weil sie von der Unausführbarkeit eines jeden in Gemeinschaft mit
Oestreich unternommenen Neformversuches von vorn herein überzeugt find, Sie
sind östreichisch, gerade weil sie wissen, daß Oestreich von einer staatsrecht¬
lichen engeren Gemeinschaft mit Deutschland durch eine unausfüllbare Kluft
getrennt ist.

Um so auffallender wäre es, wenn man es im kleindeutschen Lager ver¬
gäße und aus Mißstimmung über die gegenwärtige Lage Preußens Oestreich
aus den Schild erhöbe. Oder ist etwa das thatsächliche Verhältniß, auf dem
der kleindeutsche Gedanke begründet ist, durch die augenblickliche Lähmung
Preußens verändert worden? oder durch die Fortschritte der constitutionellen
Entwickelung Oestreichs? Wir geben zu, daß das Fortschreiten Oestreichs, wenn
es auch noch keineswegs völlig gesichert ist, doch zu Hoffnungen berechtigt, sind
aber gerade überzeugt, daß, je kräftiger das Verfassungsleben in Oestreich auf¬
blühe, um so eigenartiger sich auch die Gesammtpolitik des Staates entwickeln
wird. Was Preußen Deutschland näher bringt, eben das entfernt Oestreich
von Deutschland. Es wäre doch eine wunderbare Erscheinung, wenn Oestreich
in dem Augenblicke, wo es seine verschiedenen Nationen der Idee des Staa¬
tes zu unterwerfen sich abmüht, in Deutschland als Vertreter und Vorkämpfer
des Nationalitätsprincips aufträte.

Deutschland strebt nach, einer staatlichen Centralisation, zu der die Gemein¬
samkeit der geistigen, wieder materiellen Interessen es befähigt. Oestreich müht
sich ab, seinen bunten Völkercomplex zu einem Staate zu vereinigen. Die
deutsche Staatengruppe, wie die östreichische Völkergruppe können ihr Ziel nur
erreichen, wenn jeder Theil den andern ungestört an seinem Werke arbeiten
läßt. Die größte Hemmung für beide wäre es, wenn die sogenannten Reform¬
ideen sich verwirklichen sollten. Gesetzt, es gelänge die Trias ins Werk, zu
setzen (und bei aller Abneigung gegen diese Form der Consolidirung müssen
wir doch zugestehen, daß die Trias wirklich eine Idee ist. die einzige, die von
großdeutscher Seite aufgestellt werden kann), was würden die Folgen sein?
Die Coalition der Mittelstaaten würde unzweifelhaft zu jeder Zeit auf Seite
der schwächern Großmacht stehen; sie würde, nachdem sie Oestreich empor¬
gehoben, sofort im Anschluß an Preußen einen Schutz gegen den übermächtig
gewordenen Kaiserstaat suchen. Vor Allem aber würde sie dem Staate oppo-
niren, dem die Verhältnisse gerade ein actives Eingreifen in europäische Fra¬
gen aufnöthigten. Die Einführung der Trias wäre die förmliche Neutralitäts¬
erklärung Oestreichs. Preußens und Deutschlands.

Daß die beiden Großmächte auf die Dauer eine solche Stellung nicht
würden ertragen können, ist klar. Sie würden über die Mittelstaaten hinweg


stammen. Um die Politik der Würzburger richtig zu beurtheilen, muß man
stets im Auge behalten, daß sie deshalb besonders ihren Halt an Oestreich
suchen, weil sie von der Unausführbarkeit eines jeden in Gemeinschaft mit
Oestreich unternommenen Neformversuches von vorn herein überzeugt find, Sie
sind östreichisch, gerade weil sie wissen, daß Oestreich von einer staatsrecht¬
lichen engeren Gemeinschaft mit Deutschland durch eine unausfüllbare Kluft
getrennt ist.

Um so auffallender wäre es, wenn man es im kleindeutschen Lager ver¬
gäße und aus Mißstimmung über die gegenwärtige Lage Preußens Oestreich
aus den Schild erhöbe. Oder ist etwa das thatsächliche Verhältniß, auf dem
der kleindeutsche Gedanke begründet ist, durch die augenblickliche Lähmung
Preußens verändert worden? oder durch die Fortschritte der constitutionellen
Entwickelung Oestreichs? Wir geben zu, daß das Fortschreiten Oestreichs, wenn
es auch noch keineswegs völlig gesichert ist, doch zu Hoffnungen berechtigt, sind
aber gerade überzeugt, daß, je kräftiger das Verfassungsleben in Oestreich auf¬
blühe, um so eigenartiger sich auch die Gesammtpolitik des Staates entwickeln
wird. Was Preußen Deutschland näher bringt, eben das entfernt Oestreich
von Deutschland. Es wäre doch eine wunderbare Erscheinung, wenn Oestreich
in dem Augenblicke, wo es seine verschiedenen Nationen der Idee des Staa¬
tes zu unterwerfen sich abmüht, in Deutschland als Vertreter und Vorkämpfer
des Nationalitätsprincips aufträte.

Deutschland strebt nach, einer staatlichen Centralisation, zu der die Gemein¬
samkeit der geistigen, wieder materiellen Interessen es befähigt. Oestreich müht
sich ab, seinen bunten Völkercomplex zu einem Staate zu vereinigen. Die
deutsche Staatengruppe, wie die östreichische Völkergruppe können ihr Ziel nur
erreichen, wenn jeder Theil den andern ungestört an seinem Werke arbeiten
läßt. Die größte Hemmung für beide wäre es, wenn die sogenannten Reform¬
ideen sich verwirklichen sollten. Gesetzt, es gelänge die Trias ins Werk, zu
setzen (und bei aller Abneigung gegen diese Form der Consolidirung müssen
wir doch zugestehen, daß die Trias wirklich eine Idee ist. die einzige, die von
großdeutscher Seite aufgestellt werden kann), was würden die Folgen sein?
Die Coalition der Mittelstaaten würde unzweifelhaft zu jeder Zeit auf Seite
der schwächern Großmacht stehen; sie würde, nachdem sie Oestreich empor¬
gehoben, sofort im Anschluß an Preußen einen Schutz gegen den übermächtig
gewordenen Kaiserstaat suchen. Vor Allem aber würde sie dem Staate oppo-
niren, dem die Verhältnisse gerade ein actives Eingreifen in europäische Fra¬
gen aufnöthigten. Die Einführung der Trias wäre die förmliche Neutralitäts¬
erklärung Oestreichs. Preußens und Deutschlands.

Daß die beiden Großmächte auf die Dauer eine solche Stellung nicht
würden ertragen können, ist klar. Sie würden über die Mittelstaaten hinweg


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/58>, abgerufen am 15.05.2024.