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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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land verfiel. Wer die Bedeutung der Form in der Kunst zu würdigen weiß,
wird hierin allein schon einen tiefgreifenden Unterschied zwischen Byron und
den Jungdeutschen erkennen.

Auch war er keineswegs einer jener stets verneinenden Geister wie die mei¬
sten seiner Nachfolger. Nock hatte sein Gemüth sich vieles Positive bewahrt,
das er fromm verehrte. Denn, vor Allem, er war Engländer. Nicht ohne
Neid erkennen wir Deutschen an diesem zuchtlosen Menschen, wie die sittliche
Haltung des Mannes gesichert und gehoben wird, wenn er der Sohn ist eines
großen, stolzen, mächtigen Volkes. Niemals kann ein Brite in den Schmutz
des heimathloser Literatenthums versinken, darin unsre Börne und Heine sich
wohlgefällig wälzten, niemals kann es ihm in den Sinn kommen, sein Vater¬
land als das Land der Dummen und der Feigen zu verhöhnen. Auch dem ver¬
bannten Engländer bleibt sein Volk das erste der Erde. Wohl haßte der
englische Adel in Byron den Mann der festländischen Begriffe, wohl ver¬
sichern die frommen Literarhistoriker des Landes noch heute unermüdlich
-- (wir wollen das in seiner Dummheit unübersetzbare Wort in der Ur¬
sprache wiederholen) -- dirs ti-igdt äark kalte? vt I^ore! L^iciu sei ganz und
gar unengliscb. Die Zeit wird kommen, da mein gerechter urtheilt und Tho¬
mas Moore zustimmt, der in jedem Worte seines Freundes erfreut den Lands¬
mann wieder erkannte. Von einigen schlimmen und vielen guten Eigenthüm¬
lichkeiten seines Volks hatte Byron sich befreit, doch er bekämpfte sie mit dem
Zorne des Liebenden. Der Kern seines Wesens blieb englisch; schon der Ge¬
danke, ein anderes Volk über das seine zustellen, wäre ihm unmöglich gewesen.
An tausend Wendungen seiner Werke kann der Fremde dies errathen, und wie
viele mehr mögen es dem Engländer zeigen! Selbst seine Freigeisterei, die den
Gewohnheiten seiner Heimath aufs schroffste widersprach, wie deutlich verräth
sie den Mann von englischer Erziehung durch das geheime Grauen, das sie be¬
gleitet. Gewalt anthun mußte er seinem englischen Wesen, um zu der fest¬
ländischen Geistesfreiheit sich hindurchzuringen, und doch ist ihm dies nie völ¬
lig gelungen. Noch mehr, mit all seinem Radicalismus blieb Byron der eng¬
lische Lord, eine hocharistotratische Natur, getreu den Vorurtheilen wie den
Tugenden seines Standes, ein großherziger Beschützer der Niedriggeborenen, ein
Abgott seiner Diener und der Massen in Italien und Griechenland, die den
echten Adel leicht erkennen und willig sich ihm beugen. Also befangen in den
Anschauungen seines Volkes und seines Standes war er bewahrt vor dem
Aeußersten des abstracten Radicalismus seiner Nachfolger. Es war eine grobe
Selbsttäuschung, wenn H. Heine sich gegen den Vorwurf verwahrte, er sei an¬
gesteckt von byronischer Zerrissenheit. Die jungdeutschen Schriftsteller sind lei¬
der unzweifelhaft ärmer an Pietät und an Hoffnung, ihre Seele ist verbitterter
und frecher als der englische Dichter in seinen unseligsten Stunden.


land verfiel. Wer die Bedeutung der Form in der Kunst zu würdigen weiß,
wird hierin allein schon einen tiefgreifenden Unterschied zwischen Byron und
den Jungdeutschen erkennen.

Auch war er keineswegs einer jener stets verneinenden Geister wie die mei¬
sten seiner Nachfolger. Nock hatte sein Gemüth sich vieles Positive bewahrt,
das er fromm verehrte. Denn, vor Allem, er war Engländer. Nicht ohne
Neid erkennen wir Deutschen an diesem zuchtlosen Menschen, wie die sittliche
Haltung des Mannes gesichert und gehoben wird, wenn er der Sohn ist eines
großen, stolzen, mächtigen Volkes. Niemals kann ein Brite in den Schmutz
des heimathloser Literatenthums versinken, darin unsre Börne und Heine sich
wohlgefällig wälzten, niemals kann es ihm in den Sinn kommen, sein Vater¬
land als das Land der Dummen und der Feigen zu verhöhnen. Auch dem ver¬
bannten Engländer bleibt sein Volk das erste der Erde. Wohl haßte der
englische Adel in Byron den Mann der festländischen Begriffe, wohl ver¬
sichern die frommen Literarhistoriker des Landes noch heute unermüdlich
— (wir wollen das in seiner Dummheit unübersetzbare Wort in der Ur¬
sprache wiederholen) — dirs ti-igdt äark kalte? vt I^ore! L^iciu sei ganz und
gar unengliscb. Die Zeit wird kommen, da mein gerechter urtheilt und Tho¬
mas Moore zustimmt, der in jedem Worte seines Freundes erfreut den Lands¬
mann wieder erkannte. Von einigen schlimmen und vielen guten Eigenthüm¬
lichkeiten seines Volks hatte Byron sich befreit, doch er bekämpfte sie mit dem
Zorne des Liebenden. Der Kern seines Wesens blieb englisch; schon der Ge¬
danke, ein anderes Volk über das seine zustellen, wäre ihm unmöglich gewesen.
An tausend Wendungen seiner Werke kann der Fremde dies errathen, und wie
viele mehr mögen es dem Engländer zeigen! Selbst seine Freigeisterei, die den
Gewohnheiten seiner Heimath aufs schroffste widersprach, wie deutlich verräth
sie den Mann von englischer Erziehung durch das geheime Grauen, das sie be¬
gleitet. Gewalt anthun mußte er seinem englischen Wesen, um zu der fest¬
ländischen Geistesfreiheit sich hindurchzuringen, und doch ist ihm dies nie völ¬
lig gelungen. Noch mehr, mit all seinem Radicalismus blieb Byron der eng¬
lische Lord, eine hocharistotratische Natur, getreu den Vorurtheilen wie den
Tugenden seines Standes, ein großherziger Beschützer der Niedriggeborenen, ein
Abgott seiner Diener und der Massen in Italien und Griechenland, die den
echten Adel leicht erkennen und willig sich ihm beugen. Also befangen in den
Anschauungen seines Volkes und seines Standes war er bewahrt vor dem
Aeußersten des abstracten Radicalismus seiner Nachfolger. Es war eine grobe
Selbsttäuschung, wenn H. Heine sich gegen den Vorwurf verwahrte, er sei an¬
gesteckt von byronischer Zerrissenheit. Die jungdeutschen Schriftsteller sind lei¬
der unzweifelhaft ärmer an Pietät und an Hoffnung, ihre Seele ist verbitterter
und frecher als der englische Dichter in seinen unseligsten Stunden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/63>, abgerufen am 29.05.2024.