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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Die Sephardim stehen' unter einem Chacham Baschi (Oberrabbiner), der
sich mit einem Nabbinenrath (Bosdin) umgibt. Die Aschkenasim, weiche sich
in mehre Gemeinden gespalten haben, besitzen kein gemeinschaftliches geistliches
Oberhaupt. Beide Classen indem das gemein, daß sie nicht gern arbeiten und
außerordentlich zeitig heirathen. Gewerbe-reihende gibt es unter ihnen nicht
viel über zweihundert, die übrigen studiren den Talmud und lassen europäi¬
sches Mitleid durch Almosen für sich sorgen. Aehnlich verhält sichs mit den
800 Sephardim und den 1,300 Aschkenasim, welche in Safed wohnen; nur
41 von ihnen erwerben sich ihr Brod durch Arbeit. Nicht besser steht es mit
den 881 Aschkenasim und den 633 Sephardim, die in Tiberias leben; alle be¬
ziehen Almosen aus Europa, die meisten beschäftigen sich lediglich mit dem
Studium des Talmud, nur 17 treiben einen Kram oder ein Handwerk. Wenig
Vortheilhafteres ist von den Juden in Hebron und in Jaffa zu berichten.

Die Juden in Aegypten, etwa fünftausend an Zahl, wohnen fast nur in
Kairo und Alexandrien und sind mit geringen Ausnahmen Sephardim. In
Kairo bestehen zwei jüdische Gemeinden, die der Karaiten und die der Rabba-
nitcn. ^Die ersteren, früher sehr zahlreich, sind jetzt bis auf ungefähr fünfzig
Familien zusammengeschmolzen. Die letzteren, gegen dreihundert Familien
stark, werden von einem Rabbiner regiert, der ihnen Recht spricht, ohne Je¬
mand verantwortlich zu sein. Einige jüdische Kaufleute in Aegypten, z. B. der
Bankier Peito, sind sehr reich, die meisten Juden Kairos und Alexandriens
aber leben in großer Armuth. Viele nähren sich als Wasser- und Lastträger,
andre als Makler und Geldwechsler.- Handwerker trifft man nur wenige un¬
ter ihnen, und diese sind meist Scidenweber oder Uhrmacher.

Ungewöhnlich zahlreich sind die Juden in Tunis, Tripolis und in Algier,
sowie in Orca und Tlemezen angesiedelt, doch sind genaue Zahlenangaben
über diesen Theil der Diaspora nicht vorhanden*), und wir wissen nur, daß
derselbe fast ausschließlich aus Sephardim besteht und in Sitten und Gebräu¬
chen mit den Juden Marokkos große Aehnlichkeit hat. Ueber die letzteren sind
wir durch Grabery v. Hemsös noch immer werthvolle Schrift "das Sultanat
Moghrib ni At'sa" ziemlich genau unterrichtet. In derselben ist die Zahl der
marokkanischen Juden (wohl zu hoch) auf 839,500 angegeben, von denen
2.500 auf Tanger, 4.200 auf Tetuan, 1.300 auf die Millay (das Ghetto) von
El Araisch. 9.000 auf Fez. 5.000 auf Meknäs. 7.000 auf Er Rabatt. 2.000 aus
Tcfza, 5.000 auf Marratsch (die Hauptstadt). 4,000 auf Magador,, 1.800 auf
Tedncst, 1,000 auf Agnat und die Uebrigen auf die verschiedenen kleinern



D. Red.
-) Nach Klöden lebe" in Tunis 120,000, in Tripolis 12,000, in Algerien 30.000.

Die Sephardim stehen' unter einem Chacham Baschi (Oberrabbiner), der
sich mit einem Nabbinenrath (Bosdin) umgibt. Die Aschkenasim, weiche sich
in mehre Gemeinden gespalten haben, besitzen kein gemeinschaftliches geistliches
Oberhaupt. Beide Classen indem das gemein, daß sie nicht gern arbeiten und
außerordentlich zeitig heirathen. Gewerbe-reihende gibt es unter ihnen nicht
viel über zweihundert, die übrigen studiren den Talmud und lassen europäi¬
sches Mitleid durch Almosen für sich sorgen. Aehnlich verhält sichs mit den
800 Sephardim und den 1,300 Aschkenasim, welche in Safed wohnen; nur
41 von ihnen erwerben sich ihr Brod durch Arbeit. Nicht besser steht es mit
den 881 Aschkenasim und den 633 Sephardim, die in Tiberias leben; alle be¬
ziehen Almosen aus Europa, die meisten beschäftigen sich lediglich mit dem
Studium des Talmud, nur 17 treiben einen Kram oder ein Handwerk. Wenig
Vortheilhafteres ist von den Juden in Hebron und in Jaffa zu berichten.

Die Juden in Aegypten, etwa fünftausend an Zahl, wohnen fast nur in
Kairo und Alexandrien und sind mit geringen Ausnahmen Sephardim. In
Kairo bestehen zwei jüdische Gemeinden, die der Karaiten und die der Rabba-
nitcn. ^Die ersteren, früher sehr zahlreich, sind jetzt bis auf ungefähr fünfzig
Familien zusammengeschmolzen. Die letzteren, gegen dreihundert Familien
stark, werden von einem Rabbiner regiert, der ihnen Recht spricht, ohne Je¬
mand verantwortlich zu sein. Einige jüdische Kaufleute in Aegypten, z. B. der
Bankier Peito, sind sehr reich, die meisten Juden Kairos und Alexandriens
aber leben in großer Armuth. Viele nähren sich als Wasser- und Lastträger,
andre als Makler und Geldwechsler.- Handwerker trifft man nur wenige un¬
ter ihnen, und diese sind meist Scidenweber oder Uhrmacher.

Ungewöhnlich zahlreich sind die Juden in Tunis, Tripolis und in Algier,
sowie in Orca und Tlemezen angesiedelt, doch sind genaue Zahlenangaben
über diesen Theil der Diaspora nicht vorhanden*), und wir wissen nur, daß
derselbe fast ausschließlich aus Sephardim besteht und in Sitten und Gebräu¬
chen mit den Juden Marokkos große Aehnlichkeit hat. Ueber die letzteren sind
wir durch Grabery v. Hemsös noch immer werthvolle Schrift „das Sultanat
Moghrib ni At'sa" ziemlich genau unterrichtet. In derselben ist die Zahl der
marokkanischen Juden (wohl zu hoch) auf 839,500 angegeben, von denen
2.500 auf Tanger, 4.200 auf Tetuan, 1.300 auf die Millay (das Ghetto) von
El Araisch. 9.000 auf Fez. 5.000 auf Meknäs. 7.000 auf Er Rabatt. 2.000 aus
Tcfza, 5.000 auf Marratsch (die Hauptstadt). 4,000 auf Magador,, 1.800 auf
Tedncst, 1,000 auf Agnat und die Uebrigen auf die verschiedenen kleinern



D. Red.
-) Nach Klöden lebe» in Tunis 120,000, in Tripolis 12,000, in Algerien 30.000.
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[0076] Die Sephardim stehen' unter einem Chacham Baschi (Oberrabbiner), der sich mit einem Nabbinenrath (Bosdin) umgibt. Die Aschkenasim, weiche sich in mehre Gemeinden gespalten haben, besitzen kein gemeinschaftliches geistliches Oberhaupt. Beide Classen indem das gemein, daß sie nicht gern arbeiten und außerordentlich zeitig heirathen. Gewerbe-reihende gibt es unter ihnen nicht viel über zweihundert, die übrigen studiren den Talmud und lassen europäi¬ sches Mitleid durch Almosen für sich sorgen. Aehnlich verhält sichs mit den 800 Sephardim und den 1,300 Aschkenasim, welche in Safed wohnen; nur 41 von ihnen erwerben sich ihr Brod durch Arbeit. Nicht besser steht es mit den 881 Aschkenasim und den 633 Sephardim, die in Tiberias leben; alle be¬ ziehen Almosen aus Europa, die meisten beschäftigen sich lediglich mit dem Studium des Talmud, nur 17 treiben einen Kram oder ein Handwerk. Wenig Vortheilhafteres ist von den Juden in Hebron und in Jaffa zu berichten. Die Juden in Aegypten, etwa fünftausend an Zahl, wohnen fast nur in Kairo und Alexandrien und sind mit geringen Ausnahmen Sephardim. In Kairo bestehen zwei jüdische Gemeinden, die der Karaiten und die der Rabba- nitcn. ^Die ersteren, früher sehr zahlreich, sind jetzt bis auf ungefähr fünfzig Familien zusammengeschmolzen. Die letzteren, gegen dreihundert Familien stark, werden von einem Rabbiner regiert, der ihnen Recht spricht, ohne Je¬ mand verantwortlich zu sein. Einige jüdische Kaufleute in Aegypten, z. B. der Bankier Peito, sind sehr reich, die meisten Juden Kairos und Alexandriens aber leben in großer Armuth. Viele nähren sich als Wasser- und Lastträger, andre als Makler und Geldwechsler.- Handwerker trifft man nur wenige un¬ ter ihnen, und diese sind meist Scidenweber oder Uhrmacher. Ungewöhnlich zahlreich sind die Juden in Tunis, Tripolis und in Algier, sowie in Orca und Tlemezen angesiedelt, doch sind genaue Zahlenangaben über diesen Theil der Diaspora nicht vorhanden*), und wir wissen nur, daß derselbe fast ausschließlich aus Sephardim besteht und in Sitten und Gebräu¬ chen mit den Juden Marokkos große Aehnlichkeit hat. Ueber die letzteren sind wir durch Grabery v. Hemsös noch immer werthvolle Schrift „das Sultanat Moghrib ni At'sa" ziemlich genau unterrichtet. In derselben ist die Zahl der marokkanischen Juden (wohl zu hoch) auf 839,500 angegeben, von denen 2.500 auf Tanger, 4.200 auf Tetuan, 1.300 auf die Millay (das Ghetto) von El Araisch. 9.000 auf Fez. 5.000 auf Meknäs. 7.000 auf Er Rabatt. 2.000 aus Tcfza, 5.000 auf Marratsch (die Hauptstadt). 4,000 auf Magador,, 1.800 auf Tedncst, 1,000 auf Agnat und die Uebrigen auf die verschiedenen kleinern D. Red. -) Nach Klöden lebe» in Tunis 120,000, in Tripolis 12,000, in Algerien 30.000.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/76>, abgerufen am 31.05.2024.